Neue Fragen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik

Wie können soziale Sicherungssysteme so weiterentwickelt werden, dass sie ein menschenwürdiges Leben für alle garantieren? Welche Leitplanken können Staaten im Zeitalter von Monopolen und weltweitem Handel noch geben? Wie verteilen wir Zeit, Wohlstand und Arbeit sinnvoll so, dass alle Menschen Raum, Sicherheit und einen bezahlbaren Ort für Solidarität, Familie und Selbstbestimmung haben? Diese und viele weitere Fragen wollen wir in unserem Programmprozess mit der gesamten Gesellschaft diskutieren. Hier gibt es einen Überblick zum Themenbereich Wirtschafts- und Sozialpolitik - mit ersten Leitfragen und Workshopergebnissen vom Startkonvent zum Grundsatzprogramm.

Das weltweite Wirtschaften hat dazu geführt, dass Regeln, die für einen sozialverträglichen Kapitalismus etwa im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft geschaffen wurden, ihre Verbindlichkeit und Wirkmächtigkeit verloren haben. Sie werden ausgehebelt, umgangen und finden keine Entsprechung auf globaler Ebene. Die inzwischen vorherrschende Art des Kapitalismus im Zeitalter der Digitalisierung ist in vielen Bereichen wieder eine primitive und ungezügelte, ähnlich der frühen Phase der Industrialisierung. Neben Arbeitnehmerrechten, Umwelt- und Verbraucherschutz geraten vor allem Mensch-Mensch-Verhältnisse weltweit unter Druck. Neue Armut ist entstanden, Armut trotz und manchmal sogar durch Arbeit, und gleichzeitig auch neuer Reichtum, Reichtum ohne Arbeit. Genauso erleben wir eine Kommerzialisierung bis in den letzten privaten Winkel hinein durch Konzerne, die keine Grenzen, dafür aber jedes Detail unseres Lebens kennen.

Gerade in Zeiten der Umbrüche, in der alte Arbeiten und Arbeitsbedingungen verschwinden, braucht es für neuen Unternehmermut genauso wie für die Ausdauer der Beschäftigten das Versprechen, dass man nicht bodenlos fällt. Ein Weg könnte sein, starke demokratische Institutionen als Fundament für eine neue Gemeinsamkeit zu etablieren, die Begegnungen ermöglichen und so für gemeinsame Lebenswirklichkeiten der Unterschiedlichen sorgen. Zu diskutieren ist, welches dafür die wichtigen Institutionen sind und welches die öffentlichen Güter in einer Gesellschaft, die altert und durch Einwanderung in Bewegung bleibt. Doch wie können wir diese Institutionen finanzieren, auch in strukturschwachen Gegenden, in denen sie sich scheinbar kaum mehr lohnen? Und welche neuen Instrumente können helfen, eine faire Finanzierung des Gemeinwohls, aus der sich gerade die Stärksten nicht verabschieden können, sicher zu stellen?

Dringenden Veränderungsbedarf hat auch unser soziales Sicherungssystem, denn es schützt in Not nicht vor Elend und garantiert den Menschen keine Anerkennung, wenn sie mal ohne Arbeit, krank, alt oder einfach nur auf sich alleine gestellt sind bei der Bewältigung des Lebens und der Erziehung ihrer Kinder. Wir wollen über Möglichkeiten für eine Garantiesicherung für Kinder, junge und ältere Menschen oder gar für alle, also auch für Erwachsene diskutieren, um ihnen ein Leben in Würde und Teilhabe zu garantieren, ganz gleich der jeweiligen Lebensumstände. Und darüber, wie wir ein neues Verständnis der Daseinsvorsorge und des Allgemeinwohls schaffen und was das für den europäischen Binnenmarkt, unseren Föderalismus und die kommunale Daseinsvorsorge bedeutet. Außerdem wollen wir endlich den alten Begriff der Solidarität mit dem Leben von heute füllen, um eine Idee von Zusammenhalt auch für die vielfältige Gesellschaft zu entwickeln.

Wir brauchen deshalb neue soziale Leitplanken, die auch dem Aufprall eines globalen, digitalen Kapitalismus standhalten, und verbindliche Regeln für weltweit operierende Unternehmen. Regeln, die ihre Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellten vor Ausbeutung schützen, die es verhindern, dass mit Datenmacht oder Monopolen Grundrechte, Demokratie, Nahrungsmittelsicherheit, Natur und Selbstbestimmung in Gefahr geraten, und die dafür sorgen, dass sich auch globale Unternehmen nicht ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl entziehen. Politische Macht muss besser organisiert sein als neue Monopole – von Saatgut bis Freundesdaten.

Leitfragen und Workshopergebnisse

Um den Einstieg in die Debatten zu erleichtern, hat der Bundesvorstand die Vielzahl der Themen in sechs Bereiche geordnet und jeweils Leitfragen erarbeitet. Denn wir stehen erst am Anfang, und am Anfang stehen Fragen, keine Antworten. Auf dem Startkonvent am 13. und 14. April 2018 haben wir in Workshops zu den einzelnen Themen offen debattiert. Hier gibt es die Leitfragen und ersten Workshopergebnisse zu den Themen Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Leitfragen: Wirtschafts- und Sozialpolitik

Ist unser mehrdimensionaler grüner Gerechtigkeitsbegriff noch zeitgemäß? Erfassen wir damit die bestehende Ungleichheit und Ungerechtigkeit?


Wie können soziale Sicherungssysteme so weiterentwickelt werden, dass sie ein menschenwürdiges Leben für alle in dieser volatilen, digitalen Welt garantieren, wo Erwerbsverläufe immer unstetiger werden und der Faktor Arbeit eine andere Rolle spielen wird?

Wie schaffen wir ein gutes Leben, Solidarität, Teilhabe und fairen Wettbewerb, wenn die digitale, globale Wirtschaft vor allem in Monopolen funktioniert? Welche Leitplanken können Staaten im Zeitalter von Monopolen und weltweitem Handel noch geben? Wie können globale Konzerne und Finanzakteure reguliert werden, um unsere Demokratie zu retten?

Wie verteilen wir Zeit, Wohlstand und Arbeit sinnvoll so, dass alle Menschen Raum, Sicherheit und einen bezahlbaren Ort für Solidarität, Familie und Selbstbestimmung haben?

Wie schaffen wir soziale Teilhabe in einer globalisierten Welt? Brauchen wir ein neues Verständnis der Daseinsvorsorge und des Allgemeinwohls und was bedeutet ein europäischer Binnenmarkt für Föderalismus und kommunale Daseinsvorsorge?

Wie schützen wir globale Gemeingüter als notwendigen Beitrag für internationale Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen Privateigentum und nationaler Souveränität (Wasser, Erde, Atmosphäre)? Wer bestimmt darüber und wie gehen wir mit dem Scheitern bisheriger Schutzprozesse um?

Workshop: Eine menschenwürdige Politik der sozialen Gerechtigkeit

Workshopleitung: Jamila Schäfer


1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Innerhalb des Workshops wurde vor allem die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) kontrovers diskutiert. Hier gab es grob gesagt zwei Lager. Erstere forderten einen radikalen Schnitt, der mit der Abschaffung von Hartz IV einhergehen müsse. Letztere sahen im BGE ein Instrument welches genutzt werden könne, um die bestehenden sozialen Systeme anzupassen und zu verbessern. Es zeigte sich, dass selbst unter den klaren Befürwortern des BGE die Einsicht vorherrschte, dass es gesellschaftliche Gruppen geben kann, denen ein BGE allein nicht ausreicht und hier der Staat zusätzliche Hilfe bereitstellen müsse.

2.
Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Die GRÜNEN seien die einzige Partei, die einen wirklich individuellen Ansatz, in dem der Mensch und nicht die bürokratische Ausgestaltung im Mittelpunkt stehe, verfolgen würden. Diese Fokussierung des grünen Denkens wurde in den Ergebnissen der Arbeitsgruppen deutlich. Es herrschte Konsens darüber, dass soziale Gerechtigkeit nicht nur national gedacht werden dürfe. Unser individuelles Leben, unser Wirtschaftssystem, habe konkrete Auswirkungen auf die Lebensrealitäten anderer Menschen in anderen Ländern. Gerade dieses globale Denken von Gerechtigkeit sei etwas, was uns Grüne auszeichne, da nur wir Forderungen erheben würden, die beispielsweise die Abbildung ökologischer Kosten in der Preisbildung fordern würden.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiterverfolgen?

Ein einhelliger Wunsch der Teilnehmenden bestand darin, dass im Grundsatzprogrammprozess diskutiert werden solle, ob es nicht auch andere Modelle als die Besteuerung von Lohnarbeit geben könne, die unsere sozialen Systeme finanzieren. Als Stichworte fielen hier die Transaktionsteuern, ökologische Besteuerung oder auch die Besteuerung von Produktivitätssteigerung durch Maschinen.

Workshop: Soziale Teilhabe in einer globalen Welt und globale Gemeingüter

Workshopleitung: Ska Keller


1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Wie wird die „Welt von morgen“ aussehen und wie kommen wir dahin?

Zahlreiche Chancen aber auch Gefahren haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Beantwortung dieser Frage identifiziert. Beispielsweise erwarten sie Konflikte zwischen den Interessen von Großkonzernen (Monopolbildung) und den der Menschen.

Die Themen Daseinsvorsorge und soziale Teilhabe verknüpfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Fragen nach Rechtsstaat, Bildung, Existenzsicherung und kultureller Teilhabe. Globale Allgemeingüter wie Wasser, Luft, allgemeine Menschenrechte, Wissenschaft und Gesundheit müssen geschützt werden.

Nationalismus sei bei der Beantwortung globaler Fragen hinderlich.

2.
Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Der Zusammenhang zwischen fairen globalen Wertschöpfungsketten und Hartz IV hat einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer überrascht. Produzierten Arbeiterinnen und Arbeiter weltweit Kleidung zu fairen Löhnen, stiegen die Preise für Kleidung auch in Deutschland. Das müsse dann auch bei Hartz IV berücksichtigt werden.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiterverfolgen?

Wie schaffen wir soziale Teilhabe in einer globalisierten Welt und brauchen wir ein neues Verständnis der Daseinsvorsorge und des Allgemeinwohls?

Vielversprechende Lösungsansätze sehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer erweiterten Wohlstandsmessung nach sozialen und ökologischen Kriterien sowie einer Neudefinition von Betätigung und Arbeit. Auch das sanktionsfreie Grundeinkommen und ein kostenloser öffentlicher Personen-Nahverkehr können einen Beitrag zur sozialen Teilhabe leisten.

Um die globalen Allgemeingüter zu sichern, sollten sich die GRÜNEN weiter mit der Gemeinwohlökonomie, CO2-Steuer und fairem Handel beschäftigen. Für die Abschaffung von klimaschädlichen Subventionen sollten die GRÜNEN auch künftig eintreten und versuchen eine wirksame Vermögens- und Erbschaftsteuer einzuführen.