Neue Fragen der Ökologie

Müssen wir uns als Menschen selbst begrenzen, um die Natur zu bewahren und ökologisch nachhaltig zu handeln? Können wir uns auf Innovationen verlassen, um die ökologischen Probleme zu lösen? Brauchen wir eine Wirtschaftsordnung ohne Wachstum? Diese und viele weitere Fragen wollen wir in unserem Programmprozess mit der gesamten Gesellschaft diskutieren. Hier gibt es einen Überblick zum Themenbereich Ökologie - mit ersten Leitfragen und Workshopergebnissen vom Startkonvent zum Grundsatzprogramm.

Die Klimakrise stellt uns seit Jahrzehnten vor große Herausforderungen. Doch ist sie inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir die Folgen überall auf der Welt sehen können.Wie so oft trifft es diejenigen in den ärmeren Weltregionen und mit den kleineren Geldbeuteln am härtesten, denn sie können sich etwa gegen Hochwasser, Dürren und schlechte Luft kaum schützen. Wir haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch die Erfahrung machen müssen, dass es zwar an Lippenbekenntnissen für einen konsequenten Klimaschutz und den Schutz der Natur gerade in Deutschland kaum mangelt, doch ein verpflichtender Plan, mit dem beispielsweise der Kohleausstieg organisiert oder die Umstellung der Mobilität auf nachhaltige Antriebstechniken forciert würde, wurde bislang von keiner Bundesregierung vorgelegt.

Die ökologischen Fragen stellen sich inzwischen sehr viel radikaler als noch 2002, als „Mitte des Jahrhunderts“ noch weit weg klang. Unsere größte Herausforderung ist, dass wir radikaler sein müssen, und gleichzeitig das Brett, das wir bohren, anscheinend immer dicker wird. Gerade weil es nun immer härter und heftiger um Macht und um Geld geht. Und weil ein Teil unserer bisherigen Antworten mit unseren eigenen Zielen kollidiert. Die immensen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende, von der Ausweisung neuer Windeignungsgebiete über den Maisanbau bis zum Netzausbau sind nur das eine. Überall gibt es Nutzungskonflikte, nicht zuletzt mit dem Artenschutz. Gleichzeitig nimmt das Artensterben in beängstigendem Maße zu.

Zugleich stellt sich auch umgekehrt die Frage, in wie weit technischer Fortschritt, eine Verzahnung der Energiewende mit der Digitalisierung sowie neue Techniken in der Landwirtschaft Konflikte minimieren können, und ob es eines neuen qualitativen Wachstums geradezu bedarf. In einer ökologisch nachhaltigen, ressourcensparenden und öko-effizienten Welt würden wir vielleicht ganz automatisch weniger verbrauchen, also ein Leben jenseits des Wachstumszwangs führen können. Aber wie könnte eine solche Gesellschaft aussehen? Was würde das für unser Sozialsystem, für die Wirtschaft, für die Forschung und für unser Leben bedeuten? Was ist unser Anreiz für die betroffenen Regionen und Beschäftigten? Und was, wenn weltweit eben doch nicht alle mitziehen? Klar ist, ohne eine intensive Nutzung digitaler Techniken werden wir es nicht schaffen, unseren Energieverbrauch so dramatisch zu senken, dass wir die Energiewende zum Erfolg führen können.

Wir müssen die Globalisierung ökologisch gestalten, wenn diese Erde für künftige Generationen noch bewohnbar sein soll. Es braucht deshalb ein sozial-ökologisches Welthandelssystem, in dem freier Handel nicht zur Ausbeutung ganzer Weltregionen führt und nicht die sozialen und ökologischen Regeln umschifft, sondern zu deren Stärkung dient. Wir wollen über eine europäische Energieunion, über Strukturwandelfonds für Regionen und Beschäftigte, eine neue ökologische Steuerreform und über Klima- und Sozialzölle reden. Wir arbeiten an einer Zukunft, in der wir die Natur und das Klima konsequent schützen, um die Lebensgrundlagen für die Menschheit zu erhalten. In der wir über den Umbau hin zu einer ökologischen Produktions- und Lebensweise, zu ökologisch ausgerichteten Steuersystemen und Finanzmärkten, zu ökologischer Landwirtschaft und Mobilität nicht nur reden, sondern mit klaren Konzepten unterlegen und die Kraft haben, ihn auch umzusetzen.

Leitfragen und Workshopergebnisse

Um den Einstieg in die Debatten zu erleichtern, hat der Bundesvorstand die Vielzahl der Themen in sechs Bereiche geordnet und jeweils Leitfragen erarbeitet. Denn wir stehen erst am Anfang, und am Anfang stehen Fragen, keine Antworten. Auf dem Startkonvent am 13. und 14. April 2018 haben wir in Workshops zu den einzelnen Themen offen debattiert. Hier gibt es die Leitfragen und ersten Workshopergebnisse zum Thema Ökologie.

Leitfragen: Ökologie

Müssen wir uns als Menschen selbst begrenzen, um die Natur zu bewahren und ökologisch nachhaltig zu handeln?Können wir uns auf Innovationen verlassen, um die ökologischen Probleme zu lösen bzw. mit ihren Auswirkungen umzugehen? Brauchen wir eine Wirtschaftsordnung ohne Wachstum?

Wie, für wen und wo sichern wir menschenwürdiges Leben und Überleben in einer vom Menschen bereits massiv geschädigten Umwelt (Klimaanpassung)? Was bedeutet es zum Beispiel für die Menschen, wenn durch das Insektensterben die Lebensmittelproduktion immer aufwändiger und unerschwinglicher wird?

Wie weit reicht die Freiheit des Menschen, wenn es um das eigene Überleben und die Rettung der Welt geht? Greifen wir in die Ökosysteme ein, um sie zu stabilisieren (Geo-Engineering)?

Wie schaffen wir internationale Gerechtigkeit und gleiche Wohlstandschancen für die Länder des Südens, ohne die Erde weiter rasant zu erschöpfen? Wie schaffen wir es, dass insbesondere rohstoffreiche Länder ihre Ressourcen im Boden belassen (Entschädigungen)?

Braucht der globale Handel Schranken, wenn ökologische und soziale Standards nicht automatisch zu Wettbewerbsvorteilen führen, oder auch zugunsten ökologischer regionaler Produkte, auch wenn dies die Entwicklungschancen des globalen Südens oder die Exportchancen der deutschen Industrie schmälern kann? Und wie würde eine sinnvolle globale Arbeits- und Produktionsteilung aussehen, die Entwicklungschancen fair verteilt?

Workshop: Internationaler Klimaschutz und Globalisierung

Workshopleitung: Benedikt Mayer

1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Es wurde diskutiert, was es konkret bedeutet, das Pariser Klimaabkommen umzusetzen – sowohl im Kleinen auf kommunaler Ebene als auch im Großen im Hinblick auf die Frage, wie eng wir uns für mehr Klimaschutz auf Wirtschaft und Industrie zubewegen, um eine Transformation der Wirtschaft zu vollziehen.

Die Diskussion zeigte, dass Klimaschutz bereits Geschäftsmodell ist und – solange wir im Kapitalismus leben – Industrie und Wirtschaft auch nur dadurch für Klimaschutz zu gewinnen sind. Eine zentrale Konfliktlinie ist hier: Wie viel Kapitalismus und wie viel Ökodiktatur brauchen wir für ambitionierten Klimaschutz? Daran knüpft an: Wie machen wir Politik im Rahmen von Paris und trotzdem mit maximaler individueller Freiheit?

2. Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Die Diskussion um die Rolle Deutschlands als führende Wirtschafts- und Exportnation zeigte ein wesentliches Spannungsfeld auf: Wie fördern wir einen internationalen ökologischen Technologietransfer, der das Nord-Süd-Gefälle verringert bzw. im Extremfall Technologieentwicklung bei uns im Wesentlichen nur noch dem Globalen Süden dienen soll? Zu wenig diskutiert scheint bislang auch die Frage, welche Rolle Vergabe spielen kann für mehr Klimaschutz.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiter verfolgen?

Zu klären ist, wie radikal das Grundsatzprogramm werden soll: Lösen wir uns von Umsetzungsfragen und beschreiben vor allem, was wir tatsächlich brauchen für ernsthaften Klimaschutz? Wie gelingt uns der Spagat zwischen Radikalität und Umsetzbarkeit? Und wie stark achten wir vor diesem Hintergrund beim Grundsatzprogramm auf Akzeptanz?

Workshop: Der Mensch in der vom Menschen gemachten Umwelt

Workshopleitung: Jutta Paulus

Freiheit in den planetaren Grenzen

Vor dem Hintergrund der Übernutzung der planetaren Ressourcen und der Überschreitung der ökologischen Belastungsgrenzen z.B. beim Artensterben, dem Stickstoff-Kreislauf und der Klimakrise, haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops über zwei Themenkomplexe diskutiert. Erst wurde besprochen, ob „degrowth“ (Postwachstum) notwendig ist und wie es gestaltet werden könnte ohne die Freiheiten der Bevölkerung einzuschränken. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ob Geoengeneering eingesetzt werden sollte um die Folgen der Klimakrise zu begrenzen und wie Deutschland sich verhalten sollte, wenn andere Länder, die noch stärker von der Klimakrise betroffen sind, Geoengeneering ohne internationale Vereinbarungen einsetzen.

1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Postwachstum

In unserer Gesellschaft ist Wachstum bisher als Notwendigkeit angesehen worden, aber die weltweit begrenzten Ressourcen und die Notwendigkeit die Klimaziele von Paris einzuhalten, machen ein „weiter so“ mit unbegrenztem Wachstum unmöglich. Noch haben wir die Möglichkeit zu entscheiden, ob eine Wachstumswende „by design or by disaster“ passiert. Es wurde daher diskutiert, wie „degrowth“ gestaltet werden kann oder ob Investitionen in nachhaltige Technologien ein Ausweg sein könnten.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass die Abkehr vom Wachstum als Norm nur mit einem Prozess der Partizipation und Teilhabe, also ohne Zwang gelingen kann. Dabei stellt der enorme Zeitdruck die größte Hürde dar. Je länger die Wachstumswende dauert, desto drastischer müssen die Maßnahmen sein, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.

Bisher hat Wachstum ein Anstieg an Wohlstand für die meisten Menschen bedeutet. Bei einem Wachstumsrückgang drängt sich die Frage nach einer Verteilung von Wohlstand auf. Wie verteilt sich die Last einer Wachstumswende?

Geoengeneering

Geoengeneering ist eine Bekämpfung der Auswirkungen der Klimakrise, aber sie bekämpft nicht die Ursachen.

Internationale Verabredungen sollten angestrebt werden, die klären welche Eingriffe in die Ökosysteme vertretbar sind. Dabei ist zu befürchten, dass durch solche Verträge die Anreize, die Ursachen der Klimakrise zu bekämpfen, abnehmen.

2. Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Die Debatte über die Grenzen von Wachstum ist kompliziert. Häufig verstehen Menschen Degrowth als Angriff auf den eigenen Wohlstand. Die bayerischen GRÜNEN waren allerdings an erfolgreiche Kampagnen beteiligt, wie NOlympia und der Verhinderung der dritten Startbahn am Münchener Flughafen, die den Fokus darauf gesetzt haben, dass Wachstum kein Selbstzweck sein darf. Diese Kommunikationsstrategie war einfacher und erfolgreicher als über die ökologischen Folgen des Flughafenausbaus bzw. Olympia zu sprechen.

Ein weiterer interessanter Aspekt der Debatte war die Ansicht, dass Wachstum nicht grundsätzlich das Problem darstellt, sondern der Verbrauch von begrenzten Ressourcen.

Ein besonders wichtiges Argument in der Debatte um „degrowth“ ist, dass „degrowth“ nicht unser Ziel ist, sondern dass der Planet für uns Menschen bewohnbar bleibt und ein unkontrollierter katastrophaler Wachstumsrückgang passiert, wenn wir nichts unternehmen.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiterverfolgen?

Postwachstum

Wie können wir in einer globalisierten Welt ohne Zwang zu einer Post-Wachstums-Gesellschaft finden?

Lösungsansätze wären zum Beispiel die Subventionierung von nachhaltigen Produkten oder Regularien zur Verlängerung der Lebenszeiten von Produkten.

Geoengeneering

Welcher Eingriff in die Ökosysteme ist „vertretbar“?

Im Grundsatzprogramm können nicht einzelne Technologien des Geoengeneerings diskutiert werden, aber es muss geklärt werden, welche moralischen und technologischen Ansprüche wir an solche Maßnahmen stellen.