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Artikel

Neue Fragen in der Wissenschaftsgesellschaft und Bioethik

Wie bewahren wir auch unter neuen technischen Möglichkeiten eine Ethik der Forschung? Setzen wir alles um, was geht? Wer entscheidet das? Wie erhalten wir eine unabhängige und vielfältige Forschungslandschaft? Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus und was bedeutet das für die Landwirtschaft hier und in der Welt? Diese und viele weitere Fragen wollen wir in unserem Programmprozess mit der gesamten Gesellschaft diskutieren. Hier gibt es einen Überblick zum Themenbereich Wissensgesellschaft und Bioethik - mit ersten Leitfragen und Workshopergebnissen vom Startkonvent zum Grundsatzprogramm.

Forschung und Wissenschaft entschlüsseln in immer größerem Tempo die Geheimnisse unserer Welt. Biotechnologie, Nanotechnologie oder Gentechnik können Krankheiten ausrotten oder heilen, sie können Leben verlängern – theoretisch sogar den Tod überflüssig machen. Sie machen Prozesse und Erfindungen möglich, die uns vor schwierige ethische Fragen stellen. So sprechen wir Grünen uns gegen Genveränderungen bei Lebensmitteln aus, sollten aber noch einmal hinterfragen, ob bestimmte neue Technologien nicht helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo die Klimakrise für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorgt. Das hieße jedoch, die in marktschädlichen Oligopolen organisierten Konzerne so zu regulieren, dass sie in neuer Form am Ende der Allgemeinheit, also zum Beispiel auch den Kleinbauern des Südens dienen. Wir werden also über die Frage unseres Umgangs mit neuen Techniken sprechen und genauso darüber, wie und über welche Anpassungsstrategien dieses Ziel künftig erreicht werden kann.

Welche Hebel haben wir als Politik, um das Recht auf Nahrungsmittel durchzusetzen?
Eine Antwort wäre, auf uns selbst zu zeigen. Es schadet ja nicht uns, sondern vor allem den Menschen in anderen Weltregionen, wenn wir auf der nördlichen Erdhalbkugel weiter so viel Fleisch essen. Verlangt die Frage danach, wie wir zehn Milliarden Menschen ernähren und trotzdem eine halbwegs intakte Natur haben, eine Begrenzung der Fleischproduktion und des Fleischkonsums?

Lebensfragen sind meist Ethikfragen. Und gerade deshalb sowohl höchst politisch als auch höchst privat. Damit unsere Gesellschaft über diese Fragen einen Konsens herstellen kann, müssen wir vor allem Wege finden, wie wir eine offene und faire Debatte führen können. Nicht alles, was möglich ist, ist auch richtig. Wo endet die Anwendung von Forschung, wenn sie der Bekämpfung schlimmster Krankheiten oder eben der Nahrungsmittelsicherheit in allen Weltregionen dient? Wir müssen heute passende Verfahren für eine solche Verständigung entwickeln. Was wiegt mehr: das mögliche Ende von tödlichen Krankheiten oder die Verteidigung der Würde des Menschen vor Klonen? Alles heikel, ja, aber genau deswegen wollen wir darüber sprechen.

Leitfragen und Workshopergebnisse

Um den Einstieg in die Debatten zu erleichtern, hat der Bundesvorstand die Vielzahl der Themen in sechs Bereiche geordnet und jeweils Leitfragen erarbeitet. Denn wir stehen erst am Anfang, und am Anfang stehen Fragen, keine Antworten. Auf dem Startkonvent am 13. und 14. April 2018 haben wir in Workshops zu den einzelnen Themen offen debattiert. Hier gibt es die Leitfragen und ersten Workshopergebnisse zu den Themen Wissensgesellschaft und Bioethik.

Leitfragen: Wissensgesellschaft und Bioethik

Wie bewahren wir auch unter neuen technischen Möglichkeiten eine Ethik der Forschung? Setzen wir alles um, was geht? Wer entscheidet das? Wie erhalten wir eine unabhängige und vielfältige Forschungslandschaft?

Wie sichern wir in einer Zeit sozialer Medien und dezentraler Nachrichten- und Meinungsproduktion einen demokratischen Konsens über objektive Wahrheiten? Gibt es Objektivität in einer subjektiven Welt? Wie sichern wir das Recht des Menschen auf Nichtwissen und Rückzug von Informationen, wenn diese allgegenwärtig sind? Müssen wir die Freiheit zur Selbstbestimmung schützen vor dem Zwang, sich selbst zu gestalten und zu optimieren?

Wie alt wollen wir eigentlich werden und was hält die Natur und die Menschenwürde aus?

Wie sieht die Ernährung der Zukunft aus und was bedeutet das für die Landwirtschaft hier und in der Welt?

Welchen rechtlichen Rahmen braucht es für neue Techniken der Reproduktionsmedizin?

In welchem Verhältnis stehen Menschenwürde und Selbstbestimmung, wenn z.B. die Verfahren zur Bestimmung von Gendefekten immer einfacher werden?

Workshop: Mittel zum Leben - Landwirtschaft, Tierschutz und Ernährung quo vadis?

Workshopleitung: Christian Meyer
Input: Thomas Dosch, ehemaliger Präsident von Bioland Deutschland


1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Die kontroverseste Debatte entzündete sich im Workshop an der Frage, wie die GRÜNEN mit der neuen CRISPR/Cas-Methode in der Gentechnik umgehen sollten und ob diese mehr Chancen oder mehr Risiken birgt, insbesondere auch ob diese am Ende eher Kleinbauern oder Großkonzernen nützt. Eine weitere Frage war, welche Mittel im Bereich Verbraucher- und Tierschutz wo am sinnvollsten sind: Was wollen wir verbieten, was wollen wir fördern und wo reicht lediglich eine Kennzeichnung aus?

2. Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Dass sich auch Biotierhaltung letztlich nicht an den Bedürfnissen der Tiere orientiert und deshalb im neuen Grundsatzprogramm eine Landwirtschaft beschrieben werden muss, die sich an diesen Bedürfnissen orientiert. Eine weitere interessante Meinungsäußerung war, dass es gut sei, einmal grundsätzlich über das Thema Gentechnik zu debattieren und sie nicht als kategorisch schlecht einzustufen.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiterverfolgen?

In den Programmprozess müssen auch andere Personen mit praktischer Erfahrung eingebunden werden, hier vor allem die Bäuerinnen und Bauern. Das Grundsatzprogramm muss eine Antwort auf die Frage geben: Wie ernährt sich die Welt? Zudem sollte das Programm definieren, was aus grüner Sicht mit einem Tier gemacht werden darf und was nicht. Zudem müssen gesundheitliche Aspekte behandelt werden, zum Beispiel wie sich die Politik dazu verhalten soll, dass ein großer Teil der Bevölkerung übergewichtig ist und dass durch die zunehmende Antibiotikaresistenz in Folge der Massentierhaltung in Zukunft bestimmte Krankheiten nicht mehr geheilt werden können.

Workshop: Neue Fragen in der Wissensgesellschaft und der Bioethik

Workshopleitung: Katja Dörner
Inputs:
Kirsten Kappert-Gontert, MdB
Mareice Kaiser, Journalistin und Autorin u.a. von „Alles inklusive. Aus dem Leben mit meiner behinderten Tochter“

1. Welches sind im Themenbereich die am dringlichsten diskutierten Fragen und welche Antwortmöglichkeiten oder Konfliktlinien haben sich in der Debatte herausgebildet?

Ein großer Teil drehte sich um die Fragen rund um Schwangerschaft und Pränataldiagnostik. Hier wurde vor allem diskutiert, wie es gewährleistet werden kann, dass trotz der enormen und schnellen Entwicklung in diesem Bereich die Selbstbestimmung der Frauen sichergestellt werden kann. Dazu sind aufgeklärte unabhängige und gute Beratung notwendig. Dass die Entscheidung der Frauen nicht eingeschränkt werden darf, war weithin Konsens. (Entscheidungen kann man nicht beurteilen, die man selbst nicht treffen muss.) Im Bereich der Genom-Editierung wurde die Frage der Kontrolle und der (Wissenschafts-)Finanzierung diskutiert.

2. Welcher Aspekt, welche Meinung oder welches Argument in der Debatte war am überraschendsten?

Es gab durchaus einen positiven Bezug auf Genom-Editierung oder Genom-Therapien in bestimmten Bereichen, zum Beispiel bei der Prävention. Die Geburt behinderter Kinder zu verhindern, darf nicht Ziel dieser Therapien und Forschung sein. Generelle Verbote (vor allem im Bereich Pränataldiagnostik) wurden als nicht zielführend angesehen – zumal es keine einheitlichen Europäischen Standards gibt.

3. Welche Fragen und welche Lösungsansätze sollten die GRÜNEN im Grundsatzdebattenprozess weiterverfolgen?

Die Debatten über die Möglichkeiten, Chancen und Gefahren müssen gesellschaftlich immer wieder diskutiert werden. Es darf keine Selbstverständigung des Möglichen geben. Das Leben für Menschen mit Behinderung und für Eltern mit behinderten Kindern muss sehr viel leichter werden. Dazu braucht es eine radikale Umsetzung der Inklusion. Wir müssen Fragen, wie wir damit umgehen, dass bestimmte Regelungen nur international Sinn machen. Wie erreichen wir das?

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