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Die Linke droht sich im Widerspruch zu verheddern

Porträtfoto eines Mannes.
© Nadine Stegemann

Deutschland muss nicht sparen, sondern investieren. Die Bedingungen sind ideal. Eine Steuerdebatte braucht es jetzt nicht. Ein Gastbeitrag.

Wenn Deutschland ein gutes Land bleiben will, muss es sich verändern. Es muss künftig ökologischer wirtschaften und seinen Wohlstand gerechter verteilen. Dafür brauchen wir eine andere, neue Politik: Eine Politik, die nicht nur auf die Corona-Krise reagiert, sondern die Krisenbekämpfung stärker mit dem sozial-ökologischen Umbau des Landes verbindet.

Dazu gilt es erstens die Corona-Krise zu bewältigen, die uns sozial und ökonomisch schwer getroffen hat. Zweitens sind die Weichen auf Klimaneutralität zu stellen, damit die Wirtschaft stark bleibt und gute Arbeitsplätze bietet. Dafür sind große Investitionen erforderlich – in die Produktion erneuerbarer Energien, den Verkehr, den Umbau der Industrie und der Landwirtschaft, in Forschung und Innovation, in die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Zusammenhang. Drittens hat die Corona-Krise die soziale Ungleichheit im Land noch einmal verschärft. War das schon vor der Pandemie ein großes gesellschaftliches Problem, bedarf es jetzt erst recht einer Antwort.

Diese großen Aufgaben bringen zum Wahljahr 2021 eine Debatte zurück nach Deutschland, die wir lange nicht mehr geführt haben: Es geht um das richtige Verhältnis von Sparsamkeit und Investitionen, von Steuern und Gerechtigkeit. So sehr dies miteinander verwoben ist, braucht es doch spezifische Antworten.

Schuldenbremse ist ökonomisch und politisch falsch

Die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Auswirkungen ist ohne Frage teuer. Doch die Gesellschaft würde einen weit höheren Preis bezahlen, wenn der Staat die vielen Milliarden nicht in die Hand nähme. Es ist aber nachvollziehbar, dass Menschen schummerig wird, wenn sie hören, um welch hohe Summen es geht. Tatsächlich steigt die Schuldenquote des deutschen Staates in einem Jahr von unter 60 Prozent auf voraussichtlich mehr als 70 Prozent bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP).Wer, so wird gefragt, soll das Ganze bezahlen? Um hier zu beruhigen, setzt die amtierende Bundesregierung auf eine zügige Tilgung der Schulden und eine rasche Rückkehr zur rigiden Schuldenbremse ab 2022. Beides ist aber ökonomisch und politisch falsch.

Wenn in einer Wirtschaftskrise gespart wird, verschärft sie sich. Wenn alle sparen, also zu wenig Geld ausgegeben wird, entstehen Arbeitslosigkeit und neue Wirtschaftskrisen. Wir sollten aus der Finanz- und Eurokrise unsere Lektion gelernt haben: Die damalige Austeritätspolitik hat Menschen Arbeit und Existenz gekostet und dem Populismus Auftrieb gegeben, nicht eine zu lockere Fiskalpolitik.

Für eine Einordnung der derzeitigen Verschuldung ist nicht die absolute Höhe der Kredite aussagekräftig, sondern ihr Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Landes. Deutschland ist ein ökonomisch sehr, sehr leistungsfähiges Land. Entsprechend ist nicht so sehr die Frage, wie hoch exakt die Schuldenquote, bzw. Verschuldung ist, sondern vielmehr, ob wir in der Lage sind, die großen Aufgaben dieses Jahrzehnts zu stemmen.

Bedingungen für Investitionen optimal

Hinzu kommt, dass die Zinsen seit Jahren schon extrem niedrig oder gar negativ sind, und es auf absehbare Zeit sein werden, so dass der Staat dafür, dass er sich Geld leiht, faktisch nichts zahlt. Deutsche Staatsanleihen sind als Sicherheiten sehr begehrt. Da Deutschland die größte Volkswirtschaft der Eurozone ist, müssen Banken und Versicherungen deutsche Anleihen als Sicherheiten halten und Länder ihre Euro-Währungsreserven darin anlegen.

Die Bedingungen für Investitionen sind also optimal. Wenn man Kredite zu null Zinsen aufnehmen kann, diese Kredite nutzt, zu investieren, dadurch die Wirtschaft nach der Krise gedeiht, neue Arbeitsplätze schafft und so Steuern eingenommen werden, schrumpfen wiederum die Schulden. So war es auch nach der Finanzkrise, aus der Deutschland mit einer Schuldenquote von 82 Prozent hervorging. 2012 bis 2019 fiel die Schuldenquote – das heißt die Höhe der Schulden gemessen am Wirtschaftswachstum, also dem BIP – wieder auf unter 60 Prozent. Ein Großteil davon war einem höheren BIP geschuldet, nur ein kleiner Teil dem Rückgang der Verschuldung.

Schon vor der Corona-Krise hat Deutschland zu wenig investiert. Der Investitionsrückstand in den Kommunen – nicht sanierte Brücken, Schulen, marode Freibäder – beläuft sich nach einer Befragung der KfW auf 147 Milliarden Euro. Nötig sind zudem große Investitionen in den ökologischen Umbau der Wirtschaft. Ja, einsparen müssen wir drastisch, vor allem CO2. Entsprechend ist nicht jede Investition gut, nicht jedes Wachstum brauchen wir. Mit dem Green New Deal – dem europäischen Investitionsprogramm – und der in Europa entwickelten Taxonomie sind Kriterien entwickelt worden, wie man Wachstum ökologisch steuern kann. Weniger vom Alten, mehr vom Neuen ist die Devise.

Tilgungsfristen für Kredite verlängern

Mit der Transformation der Wirtschaft verbindet sich auch ein Kampf um die Rolle Europas in einer veränderten Weltordnung. Europa droht, technologisch, industriell und damit politisch abhängig zu werden. Wenn es ein starker Akteur sein will, braucht es eine nachhaltige, gemeinsame Finanzpolitik.

Nimmt man diese Analyse ernst, sind andere Schlüsse zu ziehen als die der Großen Koalition. Erstens sollten die Tilgungsfristen für die Corona-bedingten Kredite deutlich verlängert werden. Zweitens sollten wir auf der europäischen Ebene den Stabilitäts- und Wachstumspakt und in Deutschland die Schuldenbremse reformieren. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion erfordert eine gemeinsame Koordinierung und Regeln zu Obergrenzen öffentlicher Ausgaben. Aber wenn diese Regeln ohne ökonomischen Sinn zu eng geschnürt sind und das politisch Gebotene verhindern, müssen sie verändert werden. Die Schuldenbremse sollte um eine Regel zugunsten öffentlicher Investitionen ergänzt werden.

Dass Deutschland in den letzten Jahren politisch stabiler geblieben ist als viele europäische Nachbarn liegt auch daran, dass die Bundesregierung so viel Geld ausgegeben hat. Es ist nämlich eine Mär, dass die Große Koalition besonders sparsam war. Die Ausgaben des Bundes ohne Zinsen stiegen zwischen 2012 und 2019 um fast 25 Prozent. In Italien stiegen die Staatsausgaben im gleichen Zeitraum nur um knapp 10 Prozent. Dass die Verschuldung in Deutschland trotzdem zurückgegangen ist, liegt daran, dass die Zinsen gesunken sind, und Steuereinnahmen und Einnahmen der Sozialversicherungen aufgrund des Wachstums schneller wuchsen als die Ausgaben. Wenn die Bundesregierung Deutschland in den letzten Monaten ihrer Amtszeit einen Sparkurs aufnötigt, den sie selbst nie umgesetzt hat, wäre das ein Witz der Geschichte.

Steuerbetrug bekämpfen, Konzerne besteuern

Bei der Frage, wie mit den Corona-bedingten Krediten umzugehen ist, droht sich allerdings auch die politische Linke in einem Widerspruch zu verheddern. Wenn sie vorschlägt, dass die Kredite durch neue Steuern oder Abgaben – einen neuen Soli, eine Vermögensabgabe – getilgt werden sollen, argumentiert sie implizit, dass Kreditaufnahme ein Problem sei. Sicherlich braucht Deutschland ein gerechteres Steuersystem. Aber nicht in erster Linie, um Investitionen zu finanzieren oder Corona zu überwinden, sondern um die beschriebene dritte große Aufgabe zu bewältigen: das Problem der Ungerechtigkeit in Deutschland anzugehen. Dies hat einen Grund für sich und in sich.

Finanztransaktionen und digitale Konzerngewinne zu besteuern, Steuerbetrug zu bekämpfen – das muss ganz oben auf die Gerechtigkeitstagesordnung. Geschieht das nicht, sind jede Steuer und jede Steuererhöhung Anreize zur Steuerflucht. Nicht auf dem Höhepunkt der ökonomischen Krise, aber sobald die wirtschaftliche Erholung wieder stabil ist, sollten sehr hohe Einkommen mehr Einkommenssteuer zahlen und große Vermögen überhaupt wieder besteuert werden. Im Gegenzug können Gering- und Normalverdienende entlastet werden. Wenn der Niedriglohnsektor zurückgedrängt wird, der Mindestlohn steigt und für viel mehr Menschen ein Tarifvertrag gilt, dann wachsen der soziale Zusammenhalt und das Vertrauen in das Gemeinwesen. Das brauchen wir, damit die großen und notwendigen Veränderungen gelingen können.

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