Hochwasserkatastrophe

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten

Ein Fluss ist über das Ufer getreten und hat eine Brücke zum einsturz gebracht.
picture alliance/dpa | Boris Roessler

Die Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz macht deutlich, dass wir die Menschen und unsere Städte, Dörfer und Infrastrukturen vor Extremwettern besser schützen müssen. Annalena Baerbock und Dr. Irene Mihalic ziehen erste Lehren aus der Hochwasserkatastrophe und zeigen auf, wie Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestaltet werden können.

Die Starkregenfälle und das Hochwasser der vergangenen Tage in Teilen Deutschlands mit mindestens 170 Toten – viele Menschen werden noch vermisst – ist eine der schlimmsten Naturkatastrophen der deutschen Geschichte. Häuser sind in den Fluten verschwunden und Straßen, Bahngleise und Brücken zerstört. Ganze Existenzen der Menschen vor Ort sind vernichtet. Die Versorgung mit Trinkwasser und Strom ist in einigen Regionen zusammengebrochen. Es wird Jahre dauern, bis alle Häuser, Kitas, Klärwerke, die vielen zerstörten Gebäude wieder aufgebaut, die mehr als 600 km zerstörten Bahngleise repariert und Brücken sowie Straßen wieder instandgesetzt sind. Erste Schätzungen von Expert*innen gehen von Schäden durch die Hochwasser-Katastrophe von mehreren Milliarden Euro aus. Deshalb braucht es jetzt schnelle und unbürokratische Hilfen für die Betroffenen und für den kommunalen Wiederaufbau in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern.

Beeindruckend ist, wie Hilfsorganisationen, Helferinnen und Helfer sofort anpackten und unterstützen. Ihnen allen gilt ein besonderer Dank.

In den betroffenen Regionen sind lokal extreme Regenmengen von bis zu 250 Liter pro Quadratmeter in kürzester Zeit gefallen. Das Wasser hat kleine Bäche in reißende Ströme verwandelt und ganze Ortsteile verwüstet. Die Katastrophe reiht sich in eine Folge von klimabedingten Naturkatastrophen ein, die wir in den vergangenen Jahren in Deutschland und Europa erlebt haben: Die Klimakrise wird uns mehr und extremere Unwetter bringen, häufigere und langanhaltende Dürrephasen, Waldbrände, Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Die Ereignisse machen deutlich, dass wir die Menschen und unsere Städte, Dörfer und Infrastrukturen vor solchen Extremwettern besser schützen müssen.

Neben Klimaanpassungsmaßnahmen muss der Katastrophenschutz und die Katastrophenhilfe für solche überregionalen Ereignisse für die Zukunft besser ausgestaltet werden. Es ist jetzt Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen die Schwachstellen zu analysieren und daraus zu lernen. Denn diese wurden teils bereits bei vorangegangenen Extremereignissen wie Waldbränden oder auch in der COVID-19-Pandemie sichtbar und haben in der aktuellen Lage noch mal an Brisanz gewonnen. Dabei muss es unser gemeinsamer Anspruch sein, die Stärke unserer föderalen Struktur zu nutzen und zugleich die überregionale Zusammenarbeit zu stärken. So stellen wir sicher, dass die richtige Hilfe am richtigen Ort zur richtigen Zeit ankommt. Nur so können Menschen besser geschützt, Schäden begrenzt und unsere Infrastruktur bewahrt werden.

Dazu gehört:

1. Zusammenarbeit im föderalen Katastrophenschutz stärken – Zentralstelle beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz schaffen

Katastrophenschutz ist in Deutschland laut Grundgesetz zuallererst Aufgabe der Bundesländer. Das ist historisch gewachsen und auch sinnvoll, da die Behörden und Organisationen vor Ort im Katastrophenschutzfall regionale Besonderheiten am besten kennen und handlungs- und leistungsfähig sind. Das Rückgrat dieser föderalen Struktur bilden die überwiegend ehrenamtlichen Mitglieder der Hilfsorganisationen. Durch den dezentralen Aufbau unseres Hilfeleistungssystems ist auch sichergestellt, dass Hilfe schnell in allen Teilen des Landes verfügbar ist. Der Bund trägt in Deutschland die Verantwortung für den Zivilschutz im Verteidigungsfall und kann auf Anfrage der Länder mit seinen Fähigkeiten die Länder im Katastrophenfall unterstützen.

Doch es ist an der Zeit, diese Strukturen mit Blick auf große Naturkatastrophen, Unglücksfälle und besondere Lagen, die das gesamte Bundesgebiet betreffen oder bundesländer- und regionenübergreifend sind, weiterzuentwickeln. Der Grundsatz für die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss die Dezentralität bei starker Koordinierung sein. Dazu muss das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer Zentralstellenkompetenz für den Bevölkerungsschutz zur Unterstützung der Länder ausgestattet werden, neben einer erheblichen personellen Aufstockung. Ähnliches gibt es beispielsweise im polizeilichen Bereich mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Dies bedarf einer Änderung im Grundgesetz.

Wir wollen, dass der Bund in bestimmten Lagen besonderen Ausmaßes koordinierende Aufgaben übernimmt und den Informationsfluss steuert. Das BBK muss dann z.B. auch Bewertungen und Handlungsempfehlungen an die Länder geben dürfen. Hierzu müssen auf Bundesebene alle Informationen über Fähigkeiten, Ressourcen sowie Entwicklungen zusammenlaufen und fortlaufende Lagebilder erstellt werden. Dabei ist es notwendig, dass Länder und Kommunen zukünftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend Informationen an den Bund melden. Hierzu zählen z. B. Informationen über die Verfügbarkeit von Einsatzmittel der Feuerwehren mit Standortinformationen, die Verfügbarkeit von Intensivbetten, Unterbringungskapazitäten, der Status der kritischen Infrastruktur oder die Bereitschaft von Hubschraubern oder anderer Spezialkapazitäten der Bundeswehr und des Gesundheitssektors. Durch diese bessere Koordinierung können Fähigkeiten und Ressourcen schnellstmöglich an dem Ort zur Verfügung stehen, an dem sie benötigt werden. So werden auch die Hilfsorganisationen entlastet. Dabei ist wichtig, dass die Daten fortlaufend aktualisiert und nach Möglichkeit live und tagesaktuell abgerufen werden können.

Bund und Länder müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass diese Struktur auf der Landesebene gespiegelt wird. Dazu bedarf es der Einrichtung entsprechender Landeskatastrophenschutzstellen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Informationen aus den Kommunen zügig die Landes- und Bundesebene erreichen und umgekehrt. Dazu wird es u.a. flächendeckend wirkungsvolle Landesgesetze zum Katastrophenschutz, Katastrophenschutzbedarfspläne und ein organisatorisches und technisches Ineinandergreifen von Krisenstabs- und Leitstellen-Arbeit geben müssen. Nur durch einen linearen Führungsaufbau, einheitliche Software, klare Zuständigkeiten und notwendige Doppelungen bzw. Rückfallebenen kann Überlastung und Überforderung wichtiger lokaler Strukturen vorgebeugt werden.

Valide Lageinformationen sind im Bevölkerungsschutz essentiell und entscheiden oft über den Erfolg der Maßnahmen. Wir wollen, dass diese allen jederzeit zur Verfügung stehen: durch die Vereinheitlichung von Schnittstellen und Software, Digitalisierung analoger Strukturen, Standardisierung notwendiger Kennzahlen und verpflichtende Meldeverfahren und insbesondere den Ausbau des gemeinsamen Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) zu einem gemeinsamen, ständigen Krisenstab der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr, respektive des Bevölkerungsschutzes.

Die operativen Fähigkeiten des Technischen Hilfswerks (THW) wollen wir mit dem BBK besser verzahnen und zusammenführen. Des Weiteren wollen wir die Fähigkeiten der Hilfsorganisationen und weiterer Partner der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr mit denen des THW stärker verzahnen und an das BBK und das GMLZ anbinden.

Durch den Bund beschaffte bzw. betriebene Einsatzmittel wie etwa die Zivilschutzhubschrauber oder andere am Boden gebundene Einsatzmittel sollen in Organisation, Steuerung und Verfügbarkeit im Einsatzfall stärker an das BBK angebunden und an neue Herausforderungen wie etwa die Ausstattung von Rettungshubschraubern mit Rettungswinden angepasst werden. Dazu werden wir die Zuweisungsverfügung dieser Einsatzmittel an die Länder weiterentwickeln.

Ein besonderes Augenmerk muss auf den Schutz kritischer Infrastruktur (KRITIS) gelegt werden, um die Versorgung der Menschen auch in einer Krise weiterhin sicherstellen zu können. Dafür muss neben dem Schutz vor Cyber-Angriffen der physische Schutz als gemeinsame Aufgabe von Betreibern kritischer Infrastrukturen stärker in den Fokus rücken. Durch ein KRITIS-Dachgesetz können vorsorgende Maßnahmen bei den Betreibern gestärkt, eine Basis für das gemeinsame Handeln von privaten und staatlichen Betreibern in der Krise gelegt und so die Versorgungssicherheit der Menschen direkt erhöht werden.

2. Nationale-Resilienz-Strategie

Katastrophen nationaler Tragweite sind ressortübergreifende Lagen, die eine ressortübergreifende Steuerung benötigen. Dabei können die Anforderungen und benötigten Bedarfe so unterschiedlich wie die denkbaren Szenarien sein. Eine Pandemie ist in erster Linie eine Herausforderung für den Bereich der Öffentlichen Gesundheitsversorgung. Sie fordert aber auch ein enges Zusammenspiel mit den Organisationen des Katastrophenschutzes. Naturkatastrophen können großflächig KRITIS, wie z.B. die Stromversorgung, außer Funktion setzen. Die Wiederherstellung erfordert ein enges Zusammenspiel von Privatwirtschaft und Katastrophenschutz. In der Folge können u.a. Lieferketten unterbrochen werden und die Lebensmittelversorgung gefährdet sein. Die Klimakrise droht diese Gefahren weiter zu verschärfen.

Darüber hinaus stellen sogenannte hybride Gefahren, die äußere Sicherheit schwierig machen, eine große Gefahr für unsere Gesellschaft dar. Das „Sendai Rahmenwerk“ zur Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen beschreibt die Notwendigkeit der Katstrophenvorsorge mit der Zielsetzung der Steigerung der Resilienz gegenüber Katastrophen. Deutschland hat sich zur Umsetzung des Rahmenwerks verpflichtet. Das BBK hat gemeinsam mit vielen Akteuren erste Schritte zur Umsetzung unternommen.

Wir wollen, dass eine Nationale-Resilienz-Strategie das Dach für alle Aktivitäten zur Katastrophenvorsorge und Erhöhung der Resilienz der Bevölkerung in Deutschland wird. Dazu müssen wir eine umfassende, ressortübergreifende Nationale-Resilienz-Strategie entwickeln, die diesem Anspruch gerecht wird. Die Erarbeitung und Zusammenführung der Strategie muss ressortübergreifend gebündelt werden und die Länder mit einbeziehen.

3. Verbesserung der Warnsysteme im Bevölkerungsschutz

In Katastrophenfällen ist eine frühzeitige und vielfältige Kommunikation eines der entscheidenden Kriterien, um Menschen zu schützen und Schäden zu verringern. Eine moderne Krisenkommunikation muss unterschiedliche Medienkanäle nutzen, um sicherzustellen, dass alle Bevölkerungsgruppen erreicht werden. Dazu gehört auch, dass die Informationen verständlich aufbereitet sind und klare Handlungsempfehlungen enthalten. Die Warnungen müssen so gestaltet werden, dass sie besonders vulnerable Gruppen wie beispielsweise ältere Menschen oder Personen mit Behinderungen erreichen. Zusammen mit den Ländern wollen wir eine gesetzliche Grundlage für die Schaffung eines Hilfe- und Evakuierungsregisters schaffen, mit dem im Katastrophenfall besonders hilfsbedürftige Menschen schnell unterstützt oder gerettet werden können. Essenziell ist auch die Schaffung eines flächendeckenden Netzes von verschiedenen und lageangepassten Kommunikationskanälen, die von Sirenen über den Weckruf bis hin zu digitalen Plattformen wie z.B. der Warn-App „NINA“ für umfangreiche Hinweise reichen sowie eines Ausbaus des Modularen Warnsystems (MoWas) des BBK. Zusätzlich zu den bestehenden Warnwegen braucht es ein robustes und niedrigschwelliges System für Notfallnachrichten durch Cell Broadcasting. In vielen Ländern wie Griechenland, Italien, Rumänien oder Israel wird dieses System in Katastrophenfällen erfolgreich genutzt. Mit Cell Broadcasting erreicht man alle Empfänger in einer Funkzelle – man braucht nicht mal ein Smartphone dafür. Ein normales Handy reicht aus. Dazu braucht es auf Bundesebene schnell eine Anordnung durch die Bundesnetzagentur und ggf. auch eine gesetzliche Verpflichtung im Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) für die Betreiber, die diesen Dienst zur Verfügung stellen.

4. Stärkung der Frühwarnsysteme und Krisenforschung

Auch wenn manche Wetterphänomene wie Starkregenereignisse verhältnismäßig schwierig vorherzusehen sind, weil sie häufig sehr kurzfristig und lokal auftreten, braucht es hier weitere Forschung und ein engmaschiges Monitoring von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dazu wollen wir die Unwetter-Forschung beim Deutschen Wetterdienst (DWD) stärken, um lokale und kleinräumige Vorhersagen von Wetterereignissen besser treffen zu können. Außerdem möchten wir die Forschung für zivile Sicherheit stärker mit der Klimaforschung verschränken, um die Ergebnisse in die Katastrophenszenarien der zuständigen Behörden einfließen zu lassen. Zusätzlich muss die Weiterentwicklung der Mess- und Beobachtungsinfrastruktur und der Datenauswertung auch in neuen, interdisziplinären Modellverbünden auf Dauer sichergestellt werden. In einem ersten Schritt sollen für die Klima- und Klimafolgenforschung 100 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt werden. Die Forschungsprojekte sollen zum Ziel haben, die Ergebnisse der Modellierungen sobald wie möglich in die Hochwasserschutzplanungen und Katastrophenschutzpläne vor Ort einfließen zu lassen.

In Regionen mit einem hohen Risiko für Extremwetterereignisse wie Hochwasser oder Tornados können Freiwillige im Sinne des lokalen Selbstschutzes das Monitoring von Hochwassermeldungen und Unwetterwarnungen des DWD als Teil der Feuerwehren oder Wasserwehren übernehmen, um so frühzeitig mögliche Einsätze vorzubereiten. Spezielle Wasserwehren, oft als Teil der Feuerwehren, werden in einigen Regionen, u.a. in Thüringen und in Sachsen-Anhalt, seit einiger Zeit erprobt. Wir regen an, deren Erfahrungen in einem länderweiten Modellprojekt aufzugreifen und als Teil des Hochwasserschutzes zu verstetigen.

5. Ehrenamt im Katastrophenschutz stärken und Spontanhelfer*innen besser einbinden

Die rund 1,8 Millionen ehrenamtlichen Mitglieder der Blaulichtorganisationen bilden mit ihrem freiwilligen Engagement das Rückgrat des Bevölkerungsschutzes und der Katastrophenhilfe und damit eine wichtige Säule der Inneren Sicherheit in Deutschland. Damit sind mehr als 90 Prozent der Einsatzkräfte in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. Dieser wichtige Beitrag für unsere Gesellschaft braucht mehr Anerkennung, die über die aktuelle Katastrophe hinausgeht.

Wir brauchen deshalb ein Ehrenamtskonzept für die Blaulichtorganisationen, welches das Ehrenamt fördert, Barrieren abbaut und Anerkennung ausdrückt. Um dem Nachwuchsmangel bei den Hilfsorganisationen entgegen zu wirken, müssen Werbemaßnahmen für ein Engagement auch durch den Bund mit unterstützt und neue Formen eines Miteinanders von Ehrenamt und Teilzeit-Hauptamt entwickelt werden. Zudem muss das Ehrenamt an Schulen und Hochschulen Bestandteil und Gegenstand des Unterrichts bzw. Bildungsangebots sein.

Zusammen mit den Ländern wollen wir die Regelungen in den Katastrophen- und Brandschutzgesetzen der Länder dahingehend harmonisieren und ausbauen, dass die Sonderurlaube und Freistellungen von Freiwilligen (auch in Hilfsorganisationen) zum ehrenamtlichen Einsatz bundesweit unbürokratisch, schnell und bei Lohnfortzahlung ermöglicht wird. Kein Ehrenamtlicher sollte das Engagement für die Gesellschaft vor dem Arbeitgeber verstecken müssen oder Nachteile erfahren. Ein Arbeitgeber, der freiwilliges Engagement unterstützt, darf ebenfalls keine Nachteile erfahren. Eine Rahmengesetzgebung zur Helfer*innenfreistellung und Erstattung sollte im Rahmen der Innenministerkonferenz (IMK) erarbeitet werden.

Eine Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit kann auch mit vielen kleinen aber wertschätzenden Maßnahmen ausgedrückt werden. Eine bundesweit gültige Ehrenamtskarte kann Vergünstigungen für öffentliche Einrichtungen vorsehen oder im Ehrenamt erlernte Fähigkeiten können im Beruf, Ausbildung oder Studium anerkannt werden.

Ein wichtiger Bestandteil der Wertschätzung ist zudem, dass Ausrüstung, Ausstattung und Liegenschaften jederzeit auf dem neuesten Stand sind. Den Sanierungsbedarf bei den Liegenschaften des THW wollen wir entschieden angehen.

Ehrenamtliches Engagement wollen wir auch auf digitale Bereiche ausweiten und z.B. ein Cyber-Hilfswerk einrichten.

Zudem möchten wir Spontanhelfer*innen besser in die professionellen Strukturen einbinden. Dafür braucht es eine bundesweite Plattform, die Hilfe nach Bedarf und Fähigkeit koordiniert. Ein solches „Bundes-Freiwilligen-Kontakt-Zentrum“ bündelt dann sowohl personelle Ressourcen als auch die Verfügbarkeit von Spezialmaschinen und ordnet diese regional zu, wo sie gebraucht werden. Dazu zählt schweres Gerät wie Traktoren von Landwirten, Baumaschinen von Unternehmer*innen, oder Fähigkeiten von Handwerker*innen oder Gesundheitspersonal.

In Großbritannien gibt es dies etwa mit den „Volunteer Reception Centres“ und einer App zur Koordination von Freiwilligen.

6. Notfallseelsorge stärken und den Helfenden helfen

Bei Katastrophen mit vielen Opfern kommt es nicht nur auf deren medizinische Versorgung, sondern auch auf die psychosoziale und seelsorgerische Krisenintervention an. Die Notfallseelsorge muss durch eine bessere Koordinierung ihrer Einsätze vor Ort gestärkt werden. Auch hier müssen die Helfenden für die Zeit des Einsatzes flächendeckend vom Beruf freigestellt werden. Aber nicht nur die Opfer und deren Angehörige brauchen in der Zeit der Krise psychosoziale Unterstützung. Auch die Hilfe für die Helfenden selbst muss weiter gestärkt werden und darf auch nach dem Ende des Einsatzes nicht aus dem Blick geraten. Zusammen mit den Ländern wollen wir eine flächendeckende gesetzliche Regelungslage von Versorgungsansprüchen und Zuständigkeiten in der psychosozialen Notfallversorgung schaffen.

Die Koordinierungsstelle „NOAH“ zur Nachsorge, Opfer- und Angehörigenhilfe beim BBK wollen wir weiterentwickeln und für Katastrophen besonderen Ausmaßes im Inland nutzbar machen, die bisher nur für deutsche Staatsangehörige bei Katastrophen im Ausland gelten. Dadurch können Menschen in Krisenlagen geschulte Beratung erfahren und kommunale Stellen entlastet werden.

7. Europäische Zusammenarbeit stärken und gemeinsame Flugstaffel aufbauen

Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt. Große Schadenslagen können schnell mehrere Staaten betreffen oder einzelne Länder überfordern. So auch im aktuellen Fall, wo Regionen in Belgien oder Österreich ebenfalls stark betroffen sind. Die Europäische Kommission hat aus diesem Grund den Aufbau gemeinsamer europäischer Reserven, der „rescEU“, initiiert, die zunächst von der Bundesregierung ablehnend betrachtet wurden. Die europäischen Reserven halten unter anderem Löschflugzeuge zur Bekämpfung von Vegetationsbränden, Rettungshubschrauber zur Notfallversorgung oder auch Hochleistungspumpen für Überschwemmungen vor. Die gegenseitige Unterstützung im Katastrophenfall ist nicht nur gelebte Solidarität innerhalb der europäischen Wertegemeinschaft, sondern ist am Ende auch für die Mitgliedsstaaten günstiger, als wenn jedes Land eigene und umfassende Spezialressourcen vorhält. Die Reserve bildet vor allem die Möglichkeit, bei besonders schweren Schadenlagen die betroffenen Staaten bestmöglich zu unterstützen.

Wir wollen, dass der europäische Katastrophenschutzmechanismus und die europäische Reserve „rescEU“ weiter ausgebaut werden und Deutschland eine aktive Rolle bei der Weiterentwicklung einnimmt sowie zusätzliche Ressourcen einbringt. Wir wollen außerdem, dass die länderübergreifende Zusammenarbeit durch Übungen verschiedener Nationen gestärkt wird.

8. Technik und Fähigkeiten den veränderten Lagen anpassen

Die Zunahme an Extremwettereignissen bedarf einer Anpassung an die Technik und Fähigkeiten des Katstrophenschutzes. Im besonderen Maße stellen die Starkregenereignisse sowie die Dürreperioden und Hitzewellen eine Gefahr dar, die fortlaufende Anpassungen des Katastrophenschutzes erfordern. Die in den vergangenen Jahren angestoßenen Investitionen des Bundes in das THW sowie in die ergänzende Ausstattung des Katastrophenschutzes müssen fortgeschrieben und angepasst werden. Dazu gehört insbesondere eine Stärkung der Luftrettung in Verantwortung des Bundes sowie die Beschaffung von Löschflugzeugen oder entsprechenden Hubschraubern. Darüber hinaus müssen mehr geländefähige und wasserführende Fahrzeuge beschafft werden. Die Notfallversorgung mit Trinkwasser, Funkmasten und Strom muss ausgebaut werden.

Die Veränderung der Katastrophenszenarien bedarf neben der veränderten Ausstattung auch eine angepasste Ausbildung der haupt- und ehrenamtlichen Kräfte.

9. Stärkere Betrachtung von Krisenszenarien und Durchführung von ressort- und ebenübergreifende Übungen

Die Herausforderungen im Katastrophenschutz unterliegen einer ständigen Veränderung, dennoch lassen sich Trends erkennen und potenzielle Risiken sind bekannt. Das BBK erstellt jährliche Risikoanalysen, die bisher wenig Einfluss auf die praktische Arbeit in den Ländern und Kommunen finden. Auf der anderen Seite sind die operativen Fähigkeiten in den Kommunen kaum auf Landes- und Bundesebene bekannt. Zuletzt gibt es wenige gemeinsame Übungen, die alle Ebenen umfassen. Die Länder- und Ressortübergreifende Krisenmanagementübung (LÜKEX) bildet zwar einen großen Mehrwert für die Betrachtung möglicher Szenarien und Abläufe, der operative Mehrwert ist aufgrund der Konzeption als Übung der aufgerufenen Krisenstäbe, ohne operative Einheiten, jedoch gering.

Wir wollen, dass gemeinsame und ressortübergreifende sowie risikobasierte Übungen von Bund, Ländern und Kommunen regelmäßig stattfinden und Erkenntnisse aus den Übungen implementiert werden. Dazu gehört ggf. auch eine Stärkung der Krisenzentren und Leitstellen von Bund, Ländern und Kommunen. Ein Transfer von Wissen und Risikobewertungen muss zwischen den Ebenen gefördert und ausgebaut werden. Auf dieser Grundlage sind ebenfalls Schutzkonzepte für Gefahrenlagen und gefährdete Regionen zu erstellen. Zudem sollte das BBK niedrigschwellig Informationen und Bildungsangebote für Bürger*innen zu Prävention und Verhalten während einer Gefahrenlage bereitstellen.

10. Notfallreserven stärken

Wir brauchen eine stärkere Notfallbevorratung von Gütern, die in der Krise knapp sind und gebraucht werden. Die COVID-19-Krise hat uns auf dramatische Weise gezeigt, dass Schutzausrüstung nicht in ausreichendem Maße vorhanden war. Der Bund hat inzwischen auf diese Situation reagiert und die für den Verteidigungsfall vorgesehene Sanitätsmittelbevorratung um entsprechende Komponenten erweitert sowie eine Nationale Reserve Gesundheitsschutz auf den Weg gebracht. Eine umfassende Vorhaltung von Reserven kennen wir in Deutschland aktuell vor allem aus dem Bereich der Versorgung mit Lebensmittel, die im Rahmen des Ernährungssicherstellungs- und Vorsorge-Gesetz geregelt ist.

Außerdem müssen die Kapazitäten zur medizinischen Versorgung, Notunterbringung und Verpflegung von Menschen weiter ausgebaut werden. Dazu wollen wir ein Gesundheitsversorgungssicherstellungs-Gesetz auf den Weg bringen, das in einer Krise die stationäre und ambulante Gesundheitsversorgung und die Versorgung mit Medizinprodukten, Medikamenten und Schutzausrüstung sicherstellt, analog zu anderen elementaren Versorgungsgütern wie Lebensmitteln.

Darüber hinaus ist systematisch zu prüfen, für welche Güter eine Notfallbevorratung notwendig ist oder andere Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müssen, um in großflächigen oder langanhaltenden Katastrophenlagen eine Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dabei muss sichergestellt werden, dass die strategischen Reserven und Bevorratungen in der Krise unter verschiedenen Szenarien auch dort verfügbar sind, wo sie benötigt werden.