10-Punkte Fahrplan: Kohleausstieg rechtsverbindlich einleiten

Porträtfoto von Annalena Baerbock.
© Urban Zintel

Annalena Baerbock zeigt mit diesem 10-Punkte-Fahrplan einen Weg auf, wie der Einstieg in den Kohleausstieg auf Grundlage der Empfehlungen der Kohlekommission unverzüglich, verbindlich und weitestgehend entschädigungsfrei umgesetzt werden kann.

Ende Januar hat die Kohlekommission der Bundesregierung ihren Abschlussbericht zum Kohleausstieg vorgelegt. Fast drei Monate später gibt es innerhalb der Bundesregierung weiterhin keine klare Position, wann und wie die ersten Kohleblöcke abgeschaltet werden sollen. Noch nicht einmal konkrete Gespräche mit den Kraftwerksbetreibern hat es gegeben. Das ist fahrlässig.

Nachdem die Große Koalition den Kohleausstieg in eine Kommission verlagerte, weil ihr der Mut fehlte, selbst über das Ende der Kohleverstromung zu entscheiden, darf sie jetzt nicht den historischen Fehler begehen und den Kompromiss von Kohle-Gewerkschaft, über Energiewirtschaft bis hin zu den Umweltverbänden verschleppen und verwässern. Angesichts dessen, dass die Bundesregierung bereits das Klimaziel 2020 deutlich reißt, darf nun nicht das nächste Ziel - bis 2022 insgesamt 12,5 Gigawatt (GW) an Kohlekapazität vom Netz zu nehmen - durch Trödelei von Beginn an gefährdet werden.

Der Kohlekompromiss ist ohnehin nur ein Kompromiss und mit Blick auf das Endjahr nicht auf dem Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens - weswegen den Revisionsklauseln eine zentrale Rolle zukommt. Gerade deswegen sind die ersten beiden Phasen der Abschaltung von Kohlekraftwerken bei gleichzeitiger Erhöhung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien so zentral. Zumal eine rechtssichere Abschaltung einen zeitlichen Vorlauf braucht. Auch für die Menschen vor Ort braucht es endlich Klarheit und vor allem Zukunftsperspektiven für eine Zeit nach der Kohle.

Ein gesetzlicher Rahmen in Form eines Kohleausstiegsgesetzes mit einem konkreten Abschaltplan sowie eines Maßnahmengesetzes, welches festschreibt, wie der Bund den Strukturwandel in den Regionen genau fördern will, muss daher jetzt auf den Weg gebracht werden. Denn klar ist auch: Strukturhilfen darf es nur geben, wenn im Gegenzug verbindlich Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Die jetzt im Raum stehenden 40 Milliarden Euro der Bundesregierung über 20 Jahre müssen an einen konkreten Kohleabschaltplan geknüpft sein. Ansonsten droht im weiteren Prozess nicht nur der Klimaschutz unter die Räder zu geraten. Vielmehr ist eine Kopplung der Gelder an konkrete Abschaltungen von Kraftwerken ebenso essentiell, um sicherzustellen, dass diese Gelder auch im Sinne von Beschäftigungsgarantien für die Arbeitnehmer*innen in der Region eingesetzt werden. Mit diesem 10-Punkte-Fahrplan zeigen wir einen Weg auf, wie der Einstieg in den Kohleausstieg auf Grundlage der Empfehlungen der Kohlekommission unverzüglich, verbindlich und weitestgehend entschädigungsfrei umgesetzt werden kann:

10-Punkte Fahrplan für den Kohleausstieg

"10-Punkte Fahrplan: Kohleausstieg rechtsverbindlich einleiten - Vorschläge der Kohlekommission endlich umsetzen" (PDF)

1. Gesetzlich fixierte Stilllegungen in den ersten beiden Phasen

Stilllegungen bis 2022

In einem Kohleausstiegsgesetz wird nach Gesprächen mit den Betreibern die entschädigungsfreie Stilllegung der neben der Sicherheitsreserve zusätzlichen 3 GW Braunkohle und 4 GW Steinkohle aufgrund Kraftwerksalter und Inflexibilität festlegt. Die Übergangsfrist bis zur Stilllegung beträgt 1-2 Jahre.

Zur Sicherung der Empfehlungen der Kohlekommission, dass durch die Stilllegungen keine Arbeitsplätze gefährdet werden, müssen im Rahmen der vereinbarten Strukturbeihilfen ausreichend Finanzmittel zum Zwecke der Stilllegung von Kraftwerken bereitstehen, damit den bisher im Tagebau und in den Braun- und Steinkohlekraftwerken Beschäftigten weiterhin berufliche Perspektiven eröffnet werden.

Stilllegungen ab 2022

Analog zur ersten Phase wird für den zweiten Teil des Kohleausstiegsgesetzes für die Zeit nach 2022 auf Grundlage von Gesprächen zwischen der Bundesregierung und den Kraftwerksbetreibern ein verbindlicher Abschaltplan von Kohlekraftwerken, deren Betriebsdauer älter als 25 Jahre – und damit entschädigungsfrei – ist, verbunden mit einer Übergangsfrist zur Abschaltung von 3-4 Jahren, festgelegt. Um bei angeschlossenen Tagebauen von Braunkohlekraftwerken die möglichen Entschädigungen durch vorzeitige Eingriffe in das Eigentumsrecht zu klären, wird von Seiten der Bundesregierung ein Wirtschaftsprüfer zur Kostenermittlung beauftragt.

Für Kraftwerke, deren Betriebsdauer zum Zeitpunkt ihrer Stilllegung weniger als 25 Jahre beträgt, sind Entschädigungen im Lichte des Kommissionsberichts zu prüfen. Dies gilt bei Braunkohlekraftwerken auch für die angeschlossenen Tagebaue. Aufgrund des mangelnden Wettbewerbs bei der Braunkohle muss dies über Einzelvereinbarungen laufen. Bei der Steinkohle kann dies über Ausschreibungen mit Stilllegungsprämien oder ebenfalls Einzelvereinbarungen erfolgen. Eine Möglichkeit bietet in Anlehnung der Entschädigungsleistungen die Formel für die Sicherheitsbereitschaft abzüglich der Kosten für die Reservehaltung. Sie besteht aus zwei Komponenten: Den entgangenen Deckungsbeiträgen am Strommarkt für vier Jahre und den Kosten der Reservevorhaltung über vier Jahre. Zusätzlich sind ggf. die mit den Tagebauen verbundenen Kosten zu berücksichtigen. Die Entschädigung ist beihilferechtlich zulässig auszugestalten. Anlagen, bei denen die Umstellung von Kohle auf emissionsarme Brennstoffe überwiegend im Rahmen des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG) finanziert wird, erhalten keine zusätzliche Entschädigungsleistung.

Zu berücksichtigen ist bei der Höhe der Entschädigungen, dass einige Betreiber aufgrund der ab August 2021 geltenden bindenden Vorgaben für Großfeuerungsanlagen (BREF/EU-BVT-Vorgaben) ein Interesse an einer Abschaltung haben, da bei ihnen die (technischen) Nachrüstungen nicht wirtschaftlich sind. Daher sollten für Kohlekraftwerke, für die die neuen BREF/EU-BVT-Vorgaben gelten und deren Betriebsdauer unter 25 Jahren liegt, Stilllegungsprämien ausgeschrieben werden. Eine Übersicht, welche Kohlekraftwerke nach jetzigem Stand die Vorgaben nicht einhalten, findet sich in Anlage 2 sowie Anlage 3.

Jede Stilllegung steht dabei unter dem Prüfvorbehalt der Bundesnetzagentur zu einer möglichen Systemrelevanz (§ 13b EnWG). Diese Einigungen müssen bis zum 30. Juni 2020 im Kohleausstiegsgesetz festgelegt werden.

2. Untersagung von neuen Tagebauen im Bundesberggesetz festschreiben

Im Lichte der Ergebnisse der Kohlekommission muss bis zur Sommerpause das Bundesberggesetz (BBergG) novelliert werden. Darin muss festgelegt werden, dass keine neuen Tagebaue und Erweiterungen bestehender Tagebaue mehr erschlossen werden dürfen. Dazu bedarf es u.a. einer Änderung von § 2 BBergG. Dabei gilt es die kurzfristigen Abschaltungen von Kraftwerken bis 2022 so umzusetzen, dass der Hambacher Wald sowie die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Berverath, Mannheim, Morschenich sowie Oberwestrich und Unterwestrich und im ostdeutschen Revier die Dörfer Proschim, Mühlrose, Pödelwitz und Obertitz erhalten bleiben. Einhergehend ist damit das Verbot von Zwangsenteignungen zur Erschließung neuer Tagebaue. Bis zum endgültigen Beschluss muss ein vollumfängliches Moratorium verhängt werden.

3. Rahmen für Revisionsklauseln entwickeln

Die Kohlekommission hat sich auf Zwischenüberprüfungen (Revisionsklauseln) für die Jahre 2023, 2026, 2029 und 2032 zur Abschaltung von Kraftwerkskapazitäten geeinigt. Bereits jetzt bedarf es der Festlegung eines institutionellen und methodischen Rahmens. Dieser muss Kriterien und Indikatoren für die mögliche beschleunigte Abschaltung von Kohlekapazitäten, resultierend aus den beschlossenen Klimaschutzzielen definieren. Dies gilt auch mit Blick auf das klimapolitisch notwendige Vorziehen des Enddatums 2038. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden und Versorgungssicherheit garantiert wird sowie der Netzausbau zügig voranschreitet. Dieses Monitoring muss kontinuierlich durch ein unabhängiges Expertengremium begleitet werden.

4. Maßnahmen für Strukturwandel festschreiben

Um den Strukturwandel zielgerichtet zu gestalten, müssen einhergehend mit dem Kohleausstiegsgesetz entsprechende Förderprogramme in einem Maßnahmengesetz aufgelegt werden, die sich am Bedarf der Menschen vor Ort orientieren und zusammen mit ihnen entwickelt werden. Ziel muss es sein, dadurch die Arbeitnehmer*innen in den Regionen und Branchen zu unterstützen, die von den Strukturveränderungen betroffen sind. Zudem sollten die Kohlekonzerne und ihre Zulieferfirmen bei verbindlicher Zusage zum Standort dabei unterstützt werden, sich in Richtung Erneuerbare Energien, Speichertechnologien und weiterer Zukunftstechnologien weiterzuentwickeln. Das ist essentiell, um Kompetenz, Arbeitsplätze und Identität in den Regionen zu halten – gerade für das ostdeutsche Revier. Daher ist eine Kopplung eines Teils der Strukturhilfen an konkrete Abschaltungen von Kraftwerken auch so wichtig. Wenn die Strukturgelder unabhängig von einem konkreten Abschaltplan an die entsprechenden Bundesländer gegeben werden, droht gerade im ostdeutschen Revier, dass das Geld zwar erstmal an die Bundesländer fließt, die entsprechenden Unternehmen dann aber nicht umgebaut werden. Diese Kopplung von finanziellen Mitteln sollte ähnlich wie beim EU-Fonds zur Anpassung an die Globalisierung mit einer Standortzusage erfolgen, damit die Mittel aus den Strukturbeihilfen auch wirklich genutzt werden, um für die Zeit während und nach der Abschaltung der Kraftwerke die Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Auch eine ‚Taskforce Strukturwandel‘ ist sinnvoll. Sie fährt in die Kohleregionen und entwickelt gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren zielgenaue Konzepte. Aber auch Forschungs- und Kultureinrichtungen müssen dort ebenso wie Bundesbehörden angesiedelt werden. Zudem braucht es einen Ausbau der Infrastruktur als unverzichtbare Basis der Entwicklung. Sicherzustellen ist dabei, dass es nur Strukturwandelhilfen gibt, wenn im Gegenzug ein verbindlicher Abschaltplan für Kohlekraftwerke gesetzlich festgelegt wird.

5. Rahmen zur Finanzierung von Ewigkeits- und Folgelasten schaffen

Um die Finanzierung aller Rekultivierungs- und Nachfolgelasten nach Beendigung des Braunkohleabbaus abzusichern, werden die in den Kohleunternehmen dafür bestimmten Rückstellungen in einem öffentlich-rechtlichen Fonds sichergestellt. Die Finanzmittel des Fonds werden durch eine Abgabe auf die bis zur endgültigen Stilllegung der Tagebaue noch abgebaute Braunkohle ergänzt. Finanzvolumen der Stiftung sowie Abgabenhöhe werden auf Basis eines unabhängigen Gutachtens – etwa durch Wirtschaftsprüfer – über die Kostenschätzung aller Rekultivierungs- und Nachfolgelasten festgelegt.

6. Kohleausstieg mit Strommarktdesign verzahnen

Durch den Kohleausstieg und den damit verbundenen Erneuerbaren-Ausbau muss ein angepasstes Strommarktdesign sowie die Ausrichtung des Netzausbaus darauf geschaffen werden. Dafür müssen noch in diesem Jahr Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Strommarktdesign erarbeitet werden. Falls im Erzeugungs- und Lastbereich Situationen entstehen, so dass Versorgungsengpässe drohen, ist ein regional ausgerichteter ökologischer Flexibilitätsmarkt das Mittel der Wahl. Er stellt die Erneuerbaren Energien ins Zentrum der Stromerzeugung. Beim ökologischen Flexibilitätsmarkt bemisst der Regulator (etwa die Bundesnetzagentur), wie groß eine zu erwartende Versorgungslücke ist, und schreibt die entsprechende Menge an zusätzlich benötigten Kapazitäten aus. Im Rahmen einer Auktion bestimmt dann der kostengünstigste Bieter die Höhe des zu zahlenden Preises für die verlässliche Bereitstellung der benötigten Kapazitäten. Grundlage der Entscheidung für einen Bieter sind folgende Kriterien: Emissionen, Flexibilität, Verfügbarkeit und Regionalität. So gewährleisten wir die Versorgungssicherheit und sorgen gleichzeitig dafür, die Laufzeit von Kohlekraftwerken nicht unnötig zu verlängern.

7. Erneuerbaren-Ausbau zügiger und verbindlicher voranbringen

Der Kohleausstieg kann nur gelingen, wenn parallel dazu die Erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden und die Erneuerbaren-Ausbauziele gesetzlich festgeschrieben werden. Dabei müssen gleichzeitig die Ausbaudeckel für Ökostrom gestrichen (§ 1), die Ausbaupfade für Ökostromtechnologien angehoben (§ 4) und die Eigenstromregelungen (§ 61) im EEG nach Klimaschutzgesichtspunkten ausgerichtet werden. Letzteres führt dazu, dass Eigenstrom aus Erneuerbaren Energien sowie hocheffizienter KWK von der EEG-Umlage befreit und damit noch attraktiver wird.

8. Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz mit Blick auf Kohleausstieg novellieren

Das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) ist eine wesentliche Komponente in Hinblick auf die Ausstiegsmechanismen. Dazu muss das Gesetz novelliert und in diesem Zusammenhang bis 2030 verlängert werden. Darin ist die Umstellung der Fernwärmeerzeugung auf Gas, Abwärme und erneuerbare Wärme mit einer Gesetzesnovelle zu forcieren. Bei der Umstellung muss sichergestellt werden, dass ein Anteil der eingesetzten Energie aus Erneuerbaren Energien stammt und das dieser Anteil sukzessive ansteigt. Dazu braucht es eine Anpassung des Kohle-Ersatzbonus sowie einer Weiterentwicklung in Richtung ‚Grüne Fernwärme‘.

9. Maßnahmen zur Einführung einer CO2-Bepreisung angehen

Um eine ökologische Lenkungswirkung zu erreichen, ist neben dem Ordnungsrecht auch ein CO2-Mindestpreis im Rahmen des europäischen Emissionshandels (ETS) nötig. Damit werden fossile Energieträger stärker bepreist und emissionsarme Energieträger werden günstiger. Dies muss vorrangig in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarstaaten angegangen, notfalls aber auch national durchgesetzt werden. Die CO2-Bepreisung muss am Ende aufkommensneutral ausgestaltet sein, was bedeutet, dass der Staat darüber keine zusätzlichen Einnahmen generiert. Die Gelder werden vollständig und transparent für die Entlastung der Gesellschaft sowie für wirksamen Klimaschutz verwendet.

10. Wettbewerbsfähigkeit der energie- und außenhandelsintensiven Industrie wahren

Mit dem Kohleausstieg einhergehend braucht es eine sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft, durch die klimafreundliche Industrieprozesse gefördert werden. Auf dem Weg dahin sollten im Lichte der Vereinbarungen der Kohlekommission besonders außenhandels- und energieintensive Branchen u.a. auf Grundlage der EU-Strompreiskompensationsliste entlastet werden.