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Wirtschaftssicherheit ist Standortpolitik.

adventtr via Getty Images

Warum Europa jetzt gegenüber China handeln muss – im Interesse seiner Unternehmen. Hier liest du den Gastbeitrag von Franziska Brantner aus der Wirtschaftswoche.

Die Produktionslinie steht still. Nicht wegen technischer Probleme, nicht wegen fehlender Aufträge – sondern weil ein kritisches Bauteil nicht geliefert wird. Was vor Jahren noch als unwahrscheinliches Szenario galt, ist für viele europäische Unternehmen zur bitteren Realität geworden. Die Chip-Krise rund um Nexperia war nur ein Vorbote. Die Verwundbarkeit Europas ist kein temporäres Problem, sondern strukturell – und sie wird ohne entschlossenes Handeln zunehmen.

Die Spielregeln haben sich geändert

Jahrzehntelang funktionierte ein einfaches Prinzip: Effiziente globale Lieferketten, spezialisierte Produktion, kostenoptimierte Beschaffung. Doch die Rahmenbedingungen haben sich fundamental gewandelt. China ist längst nicht mehr nur Produktionsstandort und Absatzmarkt, sondern verfolgt mit seinem 14. Fünf-Jahres-Plan eine klare Strategie: massive Subventionen für Schlüsselindustrien mit dem Ziel, globale Lieferketten zu kontrollieren. Andere Staaten – von den USA über Südkorea bis Japan – haben längst verstanden, dass wirtschaftliche Souveränität über Wettbewerbsfähigkeit entscheidet. Für europäische Unternehmen bedeutet das: Selbst bei optimalen Bedingungen werden strategische Produktionen weiter abwandern. Schlimmer noch – im Konfliktfall können wirtschaftliche Verflechtungen zur Waffe werden. Der Zugang zu Halbleitern, Batterien oder seltenen Erden wird zum geopolitischen Hebel.

Bundesaußenminister Johann Wadephul steht vor einer zentralen Aufgabe: Er muss als Vertreter Europas in China auftreten – dialogbereit, aber mit klarem Kompass. Unsere Sicherheit ist unteilbar: wirtschaftlich, außen- und verteidigungspolitisch. Deutsche Unternehmen brauchen einen Außenminister, der ihre Interessen nicht nur versteht, sondern aktiv vertritt - ohne Naivität gegenüber systemischem Wettbewerb, aber auch ohne die Brücken für wirtschaftlichen Austausch abzubrechen.

Europa ist nicht machtlos – wenn es seine Stärken nutzt

Die gute Nachricht: Europa verfügt über enorme Trümpfe. Wir haben eine innovative Industrie, exzellente Forschungseinrichtungen und den größten Binnenmarkt der Welt. Was fehlt, ist eine Wirtschaftspolitik, die diese Stärken strategisch nutzt, statt sie dem vermeintlichen Selbstlauf des Marktes zu überlassen. Die Entwicklung des Silicon Saxony u.a. mit der erfolgreichen Ansiedlung von TSMC in Dresden zeigt, was möglich ist, wenn Planungssicherheit, politische Unterstützung und industrielle Kompetenz zusammenkommen. Silicon Saxony ein riesiger Erfolg für Deutschland, da jeder dritte in Europa produzierte Chip dort entsteht. Aber Einzelerfolge reichen nicht.
Europa braucht einen Systemwechsel in seiner Wirtschaftspolitik – im ureigenen Interesse seiner Unternehmen. Vier Säulen für einen wettbewerbsfähigen Standort:

1. Rahmenbedingungen, die Innovation ermöglichen

Unternehmen brauchen wettbewerbsfähige Energiepreise, besonders in der rohstoffverarbeitenden Industrie. Sie brauchen pragmatische Regulierung, etwa beim Recycling, um Kreislaufwirtschaft tatsächlich zu ermöglichen. Innovation muss Vorrang haben vor bürokratischer Perfektion.

2. Strategische Investitionen in Zukunftstechnologien

Kein europäisches Land kann allein mit den Industrieprogrammen Chinas oder der USA mithalten. Deshalb braucht es einen gemeinsamen europäischen Investitionsrahmen für strategische Wertschöpfungsketten – von der Forschung über die Rohstoffversorgung bis zur Produktion. Der European Chips Act war ein Anfang. Was fehlt, ist eine umfassende europäische Industriestrategie, die Batterietechnologie, Halbleiter, grüne Technologien und kritische Rohstoffe gleichermaßen umfasst. Wer die Schwierigkeiten von Intel oder Northvolt mit Schadenfreude kommentiert hat, übersieht: Jedes verlorene Werk ist ein verlorener Knotenpunkt in europäischen Wertschöpfungsketten. Das schwächt nicht nur einzelne Unternehmen, sondern ganze Branchen. Das geplante europäische Zentrum für kritische Rohstoffe und strategischer Rohstoffeinkauf durch die EU-Kommission sind wichtige Schritte. Auch eine kritische Rohstoffreserve für die Verteidigungsindustrie – wie sie unsere Partner längst haben – würde Planungssicherheit schaffen.

3. Schutz europäischer Wertschöpfung

Wenn chinesische Anbieter für Metallschrott astronomische Preise zahlen, geht es nicht um fairen Wettbewerb – es geht darum, europäische Recyclingkapazitäten zu zerstören und Abhängigkeiten zu schaffen. Europa muss seine Marktmacht geschlossen nutzen: durch Local-Content-Vorgaben bei öffentlicher Vergabe, konsequente Anwendung von Anti-Dumping-Instrumenten und Maßnahmen, die sicherstellen, dass kritische Sekundärrohstoffe im europäischen Kreislauf bleiben. Mit den Mitteln aus dem Sondervermögen ergibt sich eine einmalige Gelegenheit: Die notwendige Sanierung von Brücken und Schienennetz lässt sich mit dem Aufbau innovativer, KI-basierter und klimaneutraler Leitmärkte verknüpfen. Wenn öffentliche Vergabe an besonders innovative und souveräne Technologien und Wertschöpfungsketten gekoppelt wird, entstehen Referenzprojekte, die europäischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile verschaffen – im Binnenmarkt und darüber hinaus.
Jahrzehntelang hat China seinen Marktzugang daran gekoppelt, dass ausländische Unternehmen vor Ort produzieren und in Joint Ventures Technologie teilen mussten. Warum sollte Europa seine Marktmacht nicht ebenso strategisch nutzen?

4. Souveränität durch Partnerschaften

Autarkie ist weder möglich noch wünschenswert. Aber Abhängigkeit von einzelnen Akteuren ist gefährlich. Europa muss sein Netzwerk internationaler Partnerschaften ausbauen – verlässlich, fair und nachhaltig. Rohstoffpartnerschaften, Technologiekooperationen und Recyclingallianzen können Resilienz schaffen und gleichzeitig neue Märkte erschließen.

Ökologie und Ökonomie gehören zusammen.
Der Aufbau einer gesicherten, resilienten Wirtschaft ist kein Gegensatz zur ökologischen Transformation – er ist deren Voraussetzung. Ohne eigene Entwicklung und Produktion von Batterien, Halbleitern und grünen Technologien bleibt Europa abhängig und verwundbar. Klimaneutralität und wirtschaftliche Souveränität bedingen einander.

Resilienz kostet – Verwundbarkeit kostet mehr.
Ja, eine aktive Wirtschaftssicherheitspolitik hat ihren Preis. Diversifizierte Lieferketten, strategische Reserven, Investitionen in europäische Produktion – das alles kostet Geld. Aber die Alternative – Produktionsausfälle, Erpressbarkeit, Abwanderung ganzer Industrien – kostet ein Vielfaches. Und sie verlagert die Kosten auf die Allgemeinheit.

Europa steht vor einer Weichenstellung. Entweder wir gestalten die Rahmenbedingungen für eine wettbewerbsfähige, resiliente Wirtschaft aktiv mit – oder wir schauen zu, wie andere die Spielregeln setzen und europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb strukturell benachteiligt werden.
Wirtschaftssicherheit ist Standortpolitik. Unternehmen brauchen nicht nur offene Märkte, sondern auch verlässliche Lieferketten, Zugang zu kritischen Rohstoffen und faire Wettbewerbsbedingungen. Eine starke, resiliente, klimaneutrale Wirtschaft entsteht nicht von selbst. Sie entsteht, wenn Politik zusammen mit Unternehmen Verantwortung übernimmt – entschlossen, europäisch und mit dem Vertrauen, dass sich Gestaltungswille am Ende auszahlt.
Für Unternehmen. Für Beschäftigte. Für Europa.
 

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