Unser Küchentisch ist die Eckkneipe

Franziska Brantner und Felix Banaszak haben einen Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung verfasst. Hier könnt ihr den Beitrag, der am 14.06.25 erschienen ist, in voller Länge lesen.
Der Blick auf unser Land verändert sich, wenn man aufhört, in Vorhaben eines Koalitionsvertrags zu denken, Erledigtes abzuhaken und über Spiegelstriche zu streiten. Betrachtet man die politischen Herausforderungen aus dem Pausenraum des Pflegedienstes, dem Vereinsheim oder der Fabrikhalle, wird aus abstrakten Aufgaben wieder Lebensrealität.
Es ist dieser Blick, der uns in den vergangenen Jahren zu oft abhandengekommen ist. Der Fluch des Administrierens, in dem jedes Alltagsproblem mit einem Gesetzestext oder einem Haushaltstitel beantwortet werden will – er überfällt jede Regierung. Und ja: auch eine Partei wie unsere, die den Staat eigentlich nicht für die Lösung jedes Problems hält. Klimaschutz als technokratisches Projekt scheitert dann an der Lebenswirklichkeit, der Kampf gegen Kinderarmut endet im Streit um Beamtenstellen.
Ein Blick aufs Handy reicht, um die Dimension der Probleme zu erahnen. Das Leben wird teurer, die Wohnungssuche zur Odyssee. Deutschland droht den Anschluss an die Zukunftsmärkte zu verlieren, Innovations- und Investitionsschwäche gehen Hand in Hand. Die zunehmende Ungleichheit, das Erstarken des Rechtsextremismus, die Erosion der gewohnten Weltordnung und über allem der drohende Kollaps der Ökosysteme – diese Krisen sind nicht abstrakte Phänomene, sondern Alltagserfahrung. Sie bedeuten Angst, vor Krieg, vor der nächsten Hitzewelle – oder vor der Gasrechnung am Monatsende. Unsere große Aufgabe ist es, für diese Realitäten die richtige Sprache zu finden, zwischen Alarmismus und Ignoranz, und von der Gesellschaft akzeptierte Handlungen daraus abzuleiten.
Dabei ist der Umgang mit Klima- und Naturschutz die soziale, wirtschaftliche und demokratische Schlüsselfrage unserer Gesellschaft. Sie entscheidet darüber, ob Menschen Anlass für Mut und Hoffnung haben, weil wir unseren Kindern ein Erbe vermachen, auf das wir stolz sein können. Und ob sie das Gefühl haben, mündige Gestalterinnen ihres Lebens zu sein – oder bloß Objekt politischer Maßnahmen. Wir wollen Verbündete suchen, wo heute viele allein gelassen werden, wie zum Beispiel die Mittelständlerin, die investieren will, aber an Genehmigungen scheitert – oder an der Unsicherheit, ob Investitionen in Nachhaltigkeit sich nach einem Regierungswechsel noch auszahlt.
Eine Gesellschaft, die mit diesen Zumutungen konfrontiert ist, braucht mehr denn je die Perspektive zum individuellen Aufstieg. Wenn Schule vor der Last der Aufgaben resigniert, werden Chancen von Kindern zum Zufallsprodukt. Wenn Arbeit nicht vor Armut schützt oder eigenes Wohneigentum ermöglicht, wird Leistung zur Enttäuschung. Gute Sozialpolitik heißt nicht: ein Euro mehr Mindestlohn. Gute Sozialpolitik heißt: Teilhabe und Selbstbestimmung, und zwar für alle, durch gezielte Investitionen und Förderung da, wo sie am dringendsten gebraucht wird.
Der Schlüssel für eine grüne Politik der Zukunft, die diese Herausforderungen entschlossen angeht und dafür Unterstützung mobilisiert, statt Widerstand auszulösen, ist ein einfaches Begriffspaar: Ehrlichkeit – und Empathie.
Ehrlichkeit heißt: Sagen, was ist. Vertrauen schwindet dort, wo Politik ausweicht, beschönigt oder zu offensichtlichen Problemen nicht mal die passende Sprache findet. Deshalb wollen wir unsere Ziele klar aufzeigen, Zumutungen transparent benennen, Kompromisse erklären.
Ehrlichkeit heißt aber nicht: Sagen, wer jetzt was zu tun hat, und basta. Unser Angebot ist eine Politik, die Lebensrealitäten anerkennt, bevor sie sie verändern will. Wer Veränderungen fordert, muss Wege aufzeigen, wie Menschen mitgehen können. Wer Zumutungen abverlangt, muss sie sozial abfedern. Dieser Wandel braucht eine lebendige Zivilgesellschaft, engagierte Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Initiativen, Kommunen. Demokratische Politik ist nicht Vollzugsorgan, sondern Partnerin einer aktiven Bürgergesellschaft.
Opposition ist für uns dabei kein Rückzug ins Prinzipielle. Sie ist eine Chance, politische Verantwortung neu zu denken: durch Orientierung, nicht allein durch Lautstärke. Durch Vorschläge, nicht durch Empörung. Politischer Erfolg heißt nicht, die anderen scheitern zu lassen – sondern das Leben der Leute konkret zu verbessern. Gleichzeitig stellen wir klar: Wer Zukunftsfragen ignoriert oder rückabwickeln will, wird auf entschiedenen Widerstand stoßen. Der fossile Rollback, der Angriff auf den Green Deal, ist ein Angriff auf die Zukunft. Wir stellen uns dem mit aller Kraft entgegen.
Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Sondern redlich. Nicht darum, alle Antworten zu kennen – sondern mit anderen nach ihnen zu suchen. Politik ist dann glaubwürdig, wenn sie den Alltag der Menschen nicht nur verwaltet, sondern zum Ausgangspunkt ihres Handelns macht.
Ehrlichkeit und Empathie, dafür stehen viele Orte der Begegnung. Unser Küchentisch ist die Eckkneipe, ist der Marktplatz, das Weinfest und die Betriebsversammlung.
Was wir jetzt machen wollen? Mehr Gespräch, auch mit den leiseren Tönen, aber auch mehr Leidenschaft. Anerkennen, wo Menschen zweifeln, hadern, sich zurückziehen. Und dahin gehen, wo der Applaus noch nicht wartet. Denn das kann sich schnell wieder ändern.