Wir Grünen müssen das Recht auf Wissen über Gentechnik verteidigen

Neue Gentechnik-Verfahren wiederholen alte Heilsversprechungen: Wie sollen die GRÜNEN damit umgehen? Ein Plädoyer für eine sorgfältige Regulierung. Ein Debattenbeitrag von Harald Ebner.

Porträtfoto eines Mannes.

© harald-ebner.de

Harald Ebner

Der 2011 Sprecher der Grünen-Fraktion für Gentechnik. Er ist Mitglied und Vorsitzender unserer Fraktion im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages. Mitglied Translations of Mitglied NounFrequency member Mitglied, Glied, Teilnehmer, Angehörige, Abgeordnete fellow Fellow, Kerl, Gefährte, Mann, Bursche, Mitglied

Wir GRÜNEN begleiten neue Technologien immer auch mit der gebotenen Vorsorge für Umwelt und Gesundheit. Das zeichnet uns aus. Auch die Gentechnik begleiten wir jetzt schon seit drei Jahrzehnten und sind dabei zu einer differenzierten und immer wieder aktualisierten Bewertung gelangt.

Im Bereich Landwirtschaft ist die bisherige Bilanz verheerend. Wir haben aber viel dazu beigetragen, dass es in Europa immerhin ein wichtiges Regelwerk dafür gibt. Das sind vor allem sorgfältige Prüfungen vor einer Zulassung und Kennzeichnung von Produkten, die Gentechnik enthalten. Das bedeutet für die Verbraucher: immer auch wissen, was drin ist.

Diese Errungenschaften, dieses Recht auf Wissen müssen wir verteidigen. Das ist nötig, denn Befürworter neuer Gentechnik wollen viele ihrer Anwendungen, beispielsweise auch der Gen-Schere CRISPR, von der Regulierung ausnehmen, um Kosten zu sparen und sie besser verkaufen zu können. Aber wer versucht, den Menschen Produkte unterzujubeln, die sie ablehnen, verspielt fahrlässig Vertrauen in Wirtschaft und Politik.

Eine neue Befragung vom Juli 2018 bestätigt erneut die große Ablehnung der Deutschen gegenüber der Gentechnik: 79 Prozent sind für ein Verbot im Bereich Landwirtschaft. Noch mehr, nämlich 93 Prozent, wollen Risikoprüfungen für alle Pflanzen die „gezielt gentechnisch verändert werden“ – also auch für neue Gentechnik. Wer wenn nicht wir GRÜNEN sollte dieses Anliegen ernst nehmen? Unsere Aufgabe als Partei der Nachhaltigkeit und der vorsorgenden Technikfolgenabschätzung ist es, die Bundesregierung beim Wort zu nehmen und dafür zu sorgen, dass sie endlich ihre Gentechnik-Hausaufgaben macht. Das im Juli erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu neuen Gentechnik-Verfahren wird die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen und darf von Bundesregierung und Behörden nicht als Freibrief für eigenmächtige Entscheidungen darüber dienen, was Gentechnik ist und was nicht – ohne die gesellschaftliche Debatte und den eindeutigen Bürgerwillen zu beachten.

Die geltenden Gentechnik-Regeln sind alles andere als Überregulierung. Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 die „besondere Sorgfaltspflicht“ des Gesetzgebers bei der Regulierung von Gentechnik festgestellt. Auch die CRISPR-Entdeckerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna nennen das Verfahren ein „mächtiges Werkzeug für Gentechnologie“ und die „neue Macht, die Evolution zu kontrollieren“.

Dass es sich bei gezielten Eingriffen ins Erbgut um Gentechnik handelt, liegt auf der Hand. Auch die CRISPR-Fürsprecher argumentieren zwiespältig. Einerseits soll es angeblich etwas anderes sein als Gentechnik, um der Regulierung zu entgehen. Andererseits wollen die Unternehmen nicht auf Patentschutz verzichten. Die Konzerne haben sich längst Zugang zu den Grundlagenpatenten auf die Verfahren gesichert und melden selbst Patente auf bestimmte Anwendungen, neue Verfahren und damit entwickelte Pflanzen an. Dabei unterscheiden die Konzerne in ihren Patentanmeldungen sehr klar zwischen Gentechnik und herkömmlicher Züchtung. Mittelständische Züchter, die bisher mit dem Sortenschutz arbeiten, der ihnen freien Zugang gewährt, können im teuren Wettstreit um Patente nicht mithalten, auch wenn die Kosten der Technologie selbst gering sind.

Dass die neue Gentechnik im Prinzip relativ einfach und kostengünstig anzuwenden ist, macht Regulierung und Kontrolle umso wichtiger. Biohacker, die nach Lust und Laune Gene von Lebewesen editieren und die dann in die Umwelt entlassen, sind keine vertrauenerweckende Vision. Wenn aber bestimmte Anwendungen von der Regulierung ausgenommen werden, entfallen jegliche Auflagen.

Auch schon kleine DNA-Änderungen können enorme Wirkung haben, zum Beispiel beinlosen Mäusen wieder Beine machen. Durch einen gezielten CRISPR-Eingriff, durch den lediglich 17 Basenpaare „eingeschaltet“ wurden, haben amerikanische Forscher Mäusen die Eigenschaft, Beine zu entwickeln, wieder zurückgegeben, die zuvor durch den Einbau von Schlangen-Erbgut „ausgeschaltet“ worden war. Dabei wird eine solche Veränderung von weniger als 20 Basenpaaren von manchen noch nicht einmal als gentechnischer Eingriff angesehen.

Unsere Aufgabe ist es, das umzusetzen, was im Gentechnikgesetz steht: neue Technologien bewerten und regeln. Pflanzen, die mit Genome Editing in ihrem Erbgut verändert werden, unterscheiden sich in aller Regel auch dann von Pflanzen aus herkömmlicher Mutationszüchtung, wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt werden. Das haben jetzt auch Mitarbeiter des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz (BVL) und des Julius-Kühn-Instituts (JKI) festgestellt, bemerkenswerterweise in einem gemeinsam mit Vertretern der Industrie verfassten Fachartikel. Der Eingriff verändert alle Sicherheitskopien im Erbgut gleichermaßen auf einmal und hinterlässt so eine Art genetischen Fingerabdruck. Das kann zur Entstehung von Pflanzen führen, die sich auch in ihren biologischen Eigenschaften deutlich von denen aus konventioneller Züchtung unterscheiden. Darum müssen sie einer umfassenden Risikobewertung unterzogen werden, bevor sie zugelassen werden. Die Vertreter der deutschen Behörden kommen im trauten Einklang mit der Industrie im erwähnten Artikel übrigens trotz der festgestellten Unterscheidbarkeit zum gegenteiligen Schluss. Die abenteuerliche Begründung: unterschiedliche Regelungen für Produkte neuer Gentechnik wie CRIPSR in verschiedenen Teilen der Welt könnten Probleme für den Welthandel bedeuten. Das kann aber beim besten Willen kein Grund sein, das Vorsorgeprinzip aufzugeben und auf jede Risikoprüfung zu verzichten. Wollen wir uns den weltweit niedrigsten Sicherheitsstandards anpassen?

Regulierung ist kein Widerspruch zur Forschungsfreiheit, die gilt – unter dem Schutz von Mensch und Ökosystem – selbstverständlich auch für Gentechnik. Forschungsfreiheit bedeutet aber eben nicht schrankenlose Umsetzungs- und Vermarktungsfreiheit für alle Ergebnisse des Erfindergeists.

Die Versuchung, Probleme ganz einfach mit einer Technik zu lösen, übt schon immer eine besondere Faszination auf uns Menschen aus. Bei komplexeren Fragestellungen funktioniert das allerdings meistens nicht. Für die Ernährungssicherheit bei wachsender Weltbevölkerung stehen ganz andere, vor allem gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren wie Zugang zu Land und Wasser, gesunde Böden, Wissensvermittlung, gerechte Handelsbeziehungen und nachhaltige Konsumstile im Mittelpunkt, wie auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) 2011 in einem umfangreichen Bericht dargelegt hat. Bei der Lösung dieser Probleme hilft weder alte noch neue Gentechnik. Und auch wenn es konkret um höhere Erträge oder Klimaanpassungen wie Trockenheits- und Salztoleranz geht, sind konventionelle Züchtungsmethoden gentechnischen Verfahren bislang meist eindeutig überlegen. Denn solche Eigenschaften beruhen oft auf komplexen Zusammenspielen mehrerer Gen-Orte, die mit dem „Baukasten-Ansatz“ der Gentechnologen nicht erreicht werden können.

Wir GRÜNEN führen schon seit Jahrzehnten eine offene und grundsätzliche, kontroverse und differenzierte Diskussion über rote, grüne, weiße, graue, alte und schließlich auch neue Gentechnik. Wir unterscheiden dabei schon lange zwischen beherrschbaren, weil geschlossenen Labor-Systemen und medizinischen Anwendungen auf der einen Seite und auf der anderen Seite gentechnisch veränderten Pflanzen und Tieren, die unkontrollierbar und nicht rückholbar ins Ökosystem freigesetzt werden. Konventionelle Züchtung arbeitet mit dem Rüstzeug der Evolution, den natürlichen Mechanismen von Genregulation und Vererbung. Neue und alte Gentechnik können diese Spielregeln übergehen. Wenn wir mit neuen, angeblichen präzisen Werkzeugen ins Erbgut eingreifen, müssen wir unerwünschte Nebenwirkungen und Gefahren so weit möglich ausschließen. Das europäische Recht sieht aus gutem Grund die verfahrensbasierte Regulierung vor.

Unser grüner Landesverband Baden-Württemberg hat erst vor wenigen Wochen einen neuen Gentechnik-Beschluss gefasst, und zwar ohne Gegenstimme oder Gegenrede. Klare Botschaft: unabhängig von Potenzialen muss auch neue Gentechnik geregelt, geprüft und gekennzeichnet werden – auch in Zukunft muss „Gentechnik“ draufstehen, wo Gentechnik drin ist. Dafür werden und müssen wir GRÜNEN weiter kämpfen, auch gegen die politischen Unterstützer der Gentechnik-Lobby, von denen es in anderen Parteien schon mehr als genug gibt.