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Wissenschaft im Grundsatzprogramm – ein Thesenpapier

Wissenschaft soll zu den wesentlichen Menschheitszielen beitragen: Frieden, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben mit und in der Natur und deren Bewahrung für zukünftige Generationen weltweit. Wissenschaft bedeutet, dass die Methoden, Daten und Informationen nachvollziehbar offengelegt werden und der aktuelle Wissensstand ständig hinterfragt und auf der Basis neuer Erkenntnisse aktualisiert wird. Ein Debattenbeitrag zum Grundsatzprogramm.

Die wissenschaftliche Herangehensweise ist eine wichtige Kulturpraxis für das Verständnis der Welt und erlaubt den argument- und faktenbasierten Dialog. Zur Natur von Wissenschaft gehört, dass die Methoden, Daten und Informationen, die zu einer Erkenntnis geführt haben, nachvollziehbar offengelegt werden. Ebenso ist Teil der Wissenschaft, dass es keine endgültigen Wahrheiten gibt und der aktuelle Wissensstand ständig hinterfragt und auf der Basis neuer Erkenntnisse aktualisiert wird.

Wir wollen, dass sich diese Wissenschaft in einem normativen ethischen Rahmen bewegt, so dass sie zu den wesentlichen Menschheitszielen und -herausforderungen beiträgt: Frieden, Gerechtigkeit und ein würdiges Leben mit und in der Natur und deren Bewahrung für zukünftige Generationen.

Für das neue Grundsatzprogramm schlagen wir daher die Aufnahme folgender Grundsätze und Ziele vor:

Wissenschaft und Forschung sind wichtige Grundpfeiler unserer Kultur

Wissenschaft und Forschung tragen dazu bei, das Grundbedürfnis von Menschen nach Erkenntnis und Verstehen zu stillen und eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Die systematische Betrachtung der Welt hat insbesondere durch das Erkennen von Kausalbeziehungen dazu geführt, dass die Welt gestaltet werden konnte und der Lebensstandard in vielen Teilen der Erde gestiegen ist.

Dieses etwas mechanistische und positivistische Weltverständnis trägt allerdings auch dazu bei, dass oft das technisch Machbare und weniger das Notwendige umgesetzt wird. Dabei wird übersehen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auch eine soziale und ethische Dimension haben und sich soziale und technische Entwicklungen gegenseitig bedingen. Trotz der Notwendigkeit von fachlichen Spezialisierungen muss die Kooperation und Zusammenarbeit unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen besonders gefördert werden. Dazu gehört auch Selbstreflektion als Teil einer umfassenden Wissenschaftsethik, die über eine Selbstregulierung hinaus auch die Grundlagen guter wissenschaftlicher Praxis umfasst.

Wissenschaft und Forschung müssen als Gemeingüter betrachtet werden und entsprechend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

Ein Rückzug der öffentlichen Hand aus Forschung und Lehre sowie die Finanzierung von Lehrstühlen durch private Unternehmen und Stiftungen verringert die demokratische Legitimierung und Unabhängigkeit von Forschung und auch die Breite der Disziplinen und Forschungsfragen. Die Höhe der Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Verteilung der Mittel muss grundgesetzkonform sein, demokratischen Prozessen folgen und die Freiheit der Wissenschaft garantieren. Es muss immer eine Balance zwischen angewandter Forschung, insbesondere zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung, und einer Forschung, deren Hauptziel der Erkenntnisgewinn ist, geben.

Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen allgemeinverständlich dargelegt werden.

Wissenschaft hat eine Bringschuld an die Gesellschaft. Die Erkenntnisse müssen für verschiedene Zielgruppen, seien es Schüler, Wirtschaftsunternehmen oder Politikerinnen, verständlich aufbereitet werden. Die transparente Diskussion und Bewertung der Ergebnisse gemeinsam mit anderen Teilen der Gesellschaft ist intrinsischer Teil und Aufgabe von Wissenschaft.

Wissenschaftsbildung (scientific literacy) ist ein wichtiger Pfeiler der schulischen und universitären sowie außerschulischen Ausbildung

Das Verständnis darüber, dass Wissenschaft ein Prozess ist, welche Bedeutung die Wahl der Methoden und Annahmen hat, wie in unterschiedlichen Disziplinen gearbeitet wird und wie entsprechend die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Ergebnissen bewertet wird, sollte Teil von Bildung sein. Es reicht nicht zu vermitteln, dass der hohe Verbrauch fossiler Energieträger zur Erderwärmung beiträgt, sondern es muss dargelegt werden, welche Messergebnisse, funktionellen Kenntnisse und Modellannahmen zu dieser Erkenntnis führen. Ein besseres Verständnis von Wissenschaft als solcher führt auch dazu, das Vertrauen in die Wissenschaft und wissenschafts-basierte Evidenz zu stärken und die Macht von Fake-News und Verschwörungstheorien zu begrenzen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen unabhängig von weltanschaulichen und ideologischen Zielvorstellungen bewertet und umgesetzt werden. Das gilt nicht nur für naturwissenschaftliche Disziplinen, sondern auch für die Geistes-, Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Während Klimaforscher mittlerweile sehr ernst genommen werden, werden Forschungsergebnisse beispielsweise der Gen-, Agrar-, Wirtschafts- oder Bildungsforschung oft nicht zur Kenntnis genommen oder sogar diskreditiert. Auch hier gilt, zwischen den Forschungsergebnissen und der Bewertung ihrer gesellschaftlichen Relevanz zu trennen. Wichtig sind unabhängige Mechanismen und Institutionen (unter Beteiligung von Wissenschaftler/innen und Nichtwissenschaftler/innen), welche die Bewertung vornehmen. Wenn das Risiko beispielsweise auf Allergene einer gentechnisch veränderten Weizensorte im Vergleich zu einer konventionell gezüchteten geringer ist, ist das ein (für die Betroffenen erfreuliches) wissenschaftliches Ergebnis. Die daran anschließenden Fragen, beispielsweise inwieweit die Abhängigkeit von bestimmten Techniken zu ökonomischen Abhängigkeiten oder Verwerfungen führt oder wie sich gegen Schmetterlingslarven resistenter Bt-Mais systemisch auswirkt, bedürfen auch sozial- geistes- oder politikwissenschaftlicher Expertise. Die Handlungsfelder liegen sehr wahrscheinlich außerhalb der Labore und betreffen Änderungen im Patentrecht oder der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU.

„Open Science“; offene Wissenschaft als eine Strategie zur Öffnung des Wissenschaftssystems und Erhöhung der Transparenz wird unterstützt.

Open Science hat viel Dimensionen und beschreibt generell die Öffnung der Forschung von der Transparentmachung des Forschungsprozesses selber bis hin zu den Daten und Forschungsergebnissen via open access sowie der Einbindungen Ehrenamtlicher (Citizen Science). Mit dieser Öffnung gehen Risiken für individuelle Wissenschaftler/innen einher, weil beispielsweise Nachwuchswissenschaftler/innen darauf angewiesen sind, als Nachweis ihrer wissenschaftlichen Fähigkeit neue Forschungsergebnisse als erste zu publizieren. Zudem müssen neue Finanzierungsmodelle zur Sicherung der Qualität von Forschungsergebnissen über peer review Prozesse sowie der Publikation von Aufsätzen eingeführt werden, die die Arbeit der Wissenschaftler/innen honorieren und die Macht der Verlage reduzieren. Diese verschiedenen Interessenskonflikte müssen unter der Zielvorgabe der Öffnung transparent ausgehandelt werden.

Das Verhältnis von wissenschaftlichem Wissen und anderen gesellschaftlichen Teilsystemen und Wertesystemen muss immer wieder offen reflektiert werden.

Die letzten Fragen, die Fragen nach dem „Warum“, ebenso wie subjektive Fragen wie danach, wo die Grenze für einzelne Menschen zwischen gesund und krank verläuft, lassen sich nicht allein wissenschaftlich, sondern nur im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft klären. Umso wichtiger ist es, bei politischen Entscheidungen Klarheit darüber zu erlangen, wo und wie wissenschaftliche Erkenntnisse eine Rolle spielen, und wo es um andere Dinge wie Selbstwirksamkeit oder um ethische Fragen wie Gerechtigkeit geht.

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