"Wer in seinem Leben gearbeitet hat, sollte eine Rente bekommen, die vor Armut im Alter schützt"
July 31, 2019Ein Debattenbeitrag zum grünen Grundsatzprogramm der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Soziales und Gesundheit.
Wer in seinem Leben gearbeitet hat, sollte danach eine Rente bekommen, die vor Armut im Alter schützt. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Arbeit angemessen bezahlt wird, alle Zeiten der Berufstätigkeit auch für den späteren Rentenbezug anerkannt werden und es die Möglichkeit gibt, zwischen Zeiten mit niedrigen Arbeitszeiten und Vollzeitarbeit zu wechseln. Dies bedeutet natürlich auch, das Zeiten in denen gesellschaftlich notwendige Arbeiten wie Kindererziehung und Pflege von Eltern und Angehörigen geleistet werde, angemessen im späteren Rentenbezug anerkannt werden.
Heute
werden vor allem Frauen in Zeiten von Kindererziehung und Pflege der
Angehöri-gen häufig in Minijobs gedrängt. Eine geringfügige
Beschäftigung (Minijob) ist ein Beschäftigungsverhältnis, bei dem
das Arbeitsentgelt eine bestimmte Grenze (im Moment 450 Euro) nicht
überschreitet (geringfügig entlohnte Beschäftigung, sog. Minijob)
oder das nur kurze Zeit andauert (kurzfristige Beschäftigung).
Daraus ergeben sich zurzeit in Deutschland
sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Besonderheiten.
Gering-fügig Beschäftigte sind nach deutschem Recht in der
gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht
beitragspflichtig. Sie können sich von der
Rentenver-sicherungsbeitragspflicht befreien lassen, während die
Arbeitgeber*innen einen redu-zierten Betrag zur Kranken- und
Rentenversicherung zahlen müssen, woraus kein
Krankenversicherungsschutz für die und den geringfügig
Beschäftigten entsteht, wohl aber ein – wenn auch vergleichsweise
geringer – Rentenanspruch. Die Arbeitgeber*innen tragen in der
Regel die Pauschalsteuer der geringfügigen Beschäftigungen.
Ihre
Beliebtheit erreichen Minijobs durch ihre Steuer- und
Sozialbeitragsfreiheit, sofern man sich von der Leistung des
Eigenanteils zur Rentenversicherung befreien lässt. Diese Jobs
versprechen kurzfristig ein gutes Zusatzeinkommen. Viele Menschen,
vor allem Frauen, verzichten jedoch auf die Einzahlung der eigenen
Anteile an der Rentenver-sicherung und erwerben so keine
Betragszeiten. Gleichzeitig ist der rasch steigende Anteil an der
eigenen Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben beim
Übersteigen Freibetragsgrenzen für viele Beschäftigte in Minijobs
der Grund, nicht mehr arbeiten zu wollen.
Minijobs werden
so zur Armutsfalle für viele Frauen im Alter. Wir möchten daher,
das in jeder Beschäftigung, egal ob für wenige Stunden im Monat
oder in Vollzeitarbeit, sozial-versicherungspflichtig ist. Bisherige
Übergänge mit unterschiedlichen Ansprüchen in Minijobs, Midijobs
und
„normaler“ vollständig versicherungspflichtiger Arbeit müssen
verschwinden, um allen Arbeitnehmer*innen den Wechsel zwischen
verschiedenen Arbeitszeitmodellen zu ermöglichen.
Zur
Geschichte dieses deutschen Sondermodells
Bereits
nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911 konnten
vorübergehende Dienstleistungen in der Kranken- und
Invalidenversicherung versicherungsfrei bleiben.
Bereits
1981 wollte die sozialliberale Bundesregierung die
Versicherungsfreiheit von geringfügig Beschäftigten generell
abschaffen, um so Einnahmeausfällen bei der Sozialversicherung
entgegenzuwirken und den Sozialversicherungsschutz der Arbeit-nehmer
im Teilzeitbereich, insbesondere von Frauen, zu verbessern. Nach den
Protesten insbesondere der Zeitungsverleger und der
Wohlfahrtsverbände wurden die Minijobs beibehalten.
Ab
1999 wurden pauschal Sozialversicherungsbeiträge für die
Krankenversicherung und für die Rentenversicherung eingeführt, die
von den Arbeitgebern zu tragen waren. Auf Antrag konnten die
Beschäftigten auf die Versicherungsfreiheit in der
Rentenversicherung verzichten. Die
Sozialversicherungsbeitragsfreiheit für geringfügige Beschäftige
im Nebenerwerb wurde gestrichen.
2003 führte die
rot-grüne Bundesregierung jedoch diese Sozialversicherungsbeitags
für Personen
mit einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung wieder
ein. Sie schuf damit einen finanziellen Anreiz, eine Nebentätigkeit
aufzunehmen. Wer sich in seiner Hauptbeschäftigung Überstunden
auszahlen lässt oder durch Aufstockung der Arbeitszeit ein höheres
Gehalt erzielt, muss dafür die üblichen Abgaben leisten. Wer
dagegen zusätzlich einen Minijob annimmt, zahlt dafür selbst kaum
etwas in die Sozialkassen ein bzw. wird in der Regel nicht nach
seinem normalen Steuersatz veranlagt, sondern pauschal besteuert.
Zwar entlastet diese Regelung Niedrigverdiener*innen, die zwei
Arbeitsstellen übernehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen,
aber auch unnötigerweise Gutverdiener*innen
mit einer
Nebentätigkeit.
Die
bisherige rechtliche Lage
Für
Minijobber gelten grundsätzlich die gleichen Regelungen wie für
„normale“ Arbeits-verhältnisse; sie gelten nach dem Teilzeit-
und Befristungsgesetz
als
Teilzeitbeschäftigte und haben im Arbeitsrecht die gleichen Rechte
wie Vollzeitbeschäftigte. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz hat der
Minijobber Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krank-heitsfall und auf
Feiertagsvergütung. Und auch im Kündigungsschutz macht das Gesetz
für eine geringfügige Beschäftigung keinen Unterschied. Das
Bundesurlaubsgesetz ist für geringfügige Beschäftigungen anwendbar
und regelt den
Urlaubsanspruch.
Minijob-Beschäftigte
haben Anspruch auf die gleichen Bruttostundenlöhne wie in einer
vergleichbaren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. In der
Praxis verdienen sie aber brutto weitaus weniger. Viele Arbeitgeber
vor allem im Dienstleistungssektor nutzen die fehlende Tarifbindung
aus und zahlen Minijober*innen nur Löhne in Höhe des Mindestlohns.
Eine
geringfügige Beschäftigung ist ein Beschäftigungsverhältnis, bei
dem das Arbeits-entgelt eine bestimmte Grenze nicht überschreitet
oder das nur kurze Zeit andauert. Daraus ergeben sich zurzeit in
Deutschland verschiedene sozialversicherungsrechtliche und
steuerrechtliche Besonderheiten.
Geringfügig Beschäftigte
sind nach deutschem Recht in dieser Beschäftigung in der
gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht
versicherungspflichtig. Sie können sich von der
Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Der Arbeitgeber trägt
die pauschale Besteuerung und reduzierten Beitrag zur Kranken- und
Rentenver-sicherung. Daraus folgt aber kein
Krankenversicherungsschutz für den Arbeitnehmer.
Die
Realität
Ursprünglich
als unkomplizierter Einstieg für „Hausfrauen“ zum Berufseinstieg
gedacht, ist diese Beschäftigungsform längst aus dem Ruder
gelaufen. Etwa jedes fünfte Beschäfti-gungsverhältnis in
Deutschland (ca. 7,6 Millionen) ist heute ein Minijob.
Für
einen Großteil der Menschen im Minijobs (ca. 4,8 Millionen, davon
ca. 3,2 Millionen Frau¬en), stellte der Minijob die einzige
Erwerbstätigkeit dar. Minijobbende
müssen
zwar selbst keine Steuern und Sozialabgaben abführen, erwerben aber
auch keine bzw. nur sehr geringe eigenständige Ansprüche in der
Rentenversicherung, sofern sie sich von diesen Ansprüchen nicht
befreien lassen.
Minijobs sorgen für Minilöhne.
Beispiel: Eine verheiratete, kinderlose Frau mit Steuer-klasse V
erhält bei einem Bruttolohn von 13,50 € ca. 7 € netto.
Als Minijobberin würde sie für die gleiche Arbeit 13,50 €
netto (bei
Befreiung von der Rentenversicherung) erhalten. Real dürfte sie den
Mindestlohn bekommen. Dies gilt auch für viele Menschen im Hartz
IV-Bezug. Ihre Notlage wird von vielen Arbeitgebern durch Minijobs
ausgenutzt. Mit Minijobs ohne Auf- und Ausstiegsperspektive sorgt der
Hartz IV-Bezug für die soziale Grundsiche-rung und die
Sozialversicherung. Arbeitgeber beschäftigen sie dann wiederum nur
in Höhe des Mindestlohns für Ihre Arbeit.
Minijobs sind
häufig Jobs für Menschen für die es keine anderen Angebote auf dem
Arbeitsmarkt gibt. Sie sind niedrig entlohnt, haben keine
Ausstiegschancen und werden überdurchschnittlich von Frauen
ausgeübt.
Minijobs führen nur selten in ein
Normalarbeitsverhältnis. Weniger als 10 % der Minijobber
gelingt dieser Aufstieg. Viele Frauen verbleiben so Ihr gesamtes
Erwerbsleben in Minijobs, auch wenn die Phase der Kindererziehung,
durch die sie diese Erwerbsform begründen, längst vorbei ist.
Minijobs stellen durch die Steuer- und
Sozialversicherungsfreiheit einen Fehlanreiz dar. So können Minijobs
auch für Menschen in gesicherten Erwerbsverläufen durch die
Trennung vom Lebenspartner und durch fehlende soziale Absicherung im
Rentenalter ein hohes Armutsrisiko im Alter bedeuten.
Für
die meisten Frauen bedeutet die Geburt Ihrer Kinder eine Zäsur in
Ihrer Berufstätig-keit. Und für viele bleibt es nicht einfach bei
einer Pause vom Job. Das Ehegattensplitting befördert den Eintritt
in einen Minijob, weil die Entlohnung eines Minijobs bei der
gemein-samen Steuererklärung im Gegensatz zu Jobs mit einem höheren
Gehalt als 450 Euro monatlich nicht berücksichtigt wird. Sie sind so
häufig in der Elternzeit geringfügig be-schäftigt und sitzen damit
in einer Falle, aus der sie sich kaum befreien können. Schuld daran
ist das Steuersystem. Der Aufstieg aus einem Minijob gelingt nur
selten, weil er sich finanziell kaum lohnt. Minijobs behindern so die
bessere Integration von Frauen in das Berufsleben. Durch die
gemeinsame Besteuerung wird der Wiedereinstieg Frauen in das
Erwerbsleben nach einer Elternzeit mit teilweise über 50 % igen
Abzügen
bestraft.
Viele Beschäftigte nehmen die geringen
Stundenlöhne in Minijobs nur deshalb hin, weil der Minijob nur ein
Zuverdienst zum eigenen Haupteinkommen oder – bei ausschließlich
geringfügig Beschäftigten – zum Einkommen der Familie ist.
Minijobs fördern das „Zuver-diener*innenmodell
“
und damit die soziale Abhängigkeit von Frauen oder Männern
gegenüber Ihren Partner*innen.
In einzelnen Branchen
arbeiten mittlerweile extrem viele Minijobber*innen, sei es als
Neben- oder Haupttätigkeit. Im Gesundheits- und Sozialwesen sind
rund 760 000 geringfügig Beschäftigte tätig, im Gastgewerbe 870
000 und im Einzelhandel 970 000. Damit profitieren diese
Wirtschaftszweige massiv von dieser staatlich geförderten
Beschäftigungsform.
Minijobber
sind fast immer von den Möglichkeiten der Weiterbildung und der
beruflichen Entwicklung ausgeschlossen, weil Arbeitgeber
Teilzeitbeschäftigten
diese
Ansprüche verweigern und ihnen keine Aufstiegschancen geben.
Die
abgabenrechtliche Privilegierung von geringfügigen
Beschäftigungsverhältnissen ist sozialpolitisch nicht zu
unterstützen. Die ursprünglich erwarteten
beschäftigungspoliti-schen Ziele sowohl für Arbeitgeber*innen als
auch für Arbeitnehmer*innen wurden nie erreicht. Sie werden durch
beträchtliche Nachteile für die Solidargesellschaft erkauft.
Geringfügige Beschäftigungen verlagern Gegenwartsprobleme. Es
werden kurzfristige Beschäftigungen subventioniert, Altersarmut
geschaffen und soziale Abhängigkeit vor allem von Frauen gefördert.
Unsere
Ziele
Um
eine behutsame Überführung der bestehenden geringfügigen
Beschäftigungsver-hältnisse In regulär besteuerte und
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen,
sollte zuerst die Möglichkeit der Befreiung von der
Rentenversicherungs-pflicht aufgehoben werden. In den folgenden
Schritten muss die sozialversicherungs-pflichtige Sonderbehandlung in
der Krankenversicherung und der Arbeitslosenver-sicherung abgeschafft
werden. Die steuerliche Begünstigung sollte in jährlichen Schritten
abgebaut werden. Diese beiden Schritte sollten für Minijobber mit
einer sozialversiche-rungspflichtigen Hauptbeschäftigung sofort
gelten. Heute arbeiten fast 2,8 Millionen Arbeitnehmer neben einer
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zusätzlich in einem
Minijob. Sie erwerben hier häufig keine zusätzlichen
Rentenansprüche.
Über eine Million Rentner*innen
arbeiten in Minijobs. Sie sollten steuer- und
sozial-versicherungsrechtlich mit anderen Beschäftigten
gleichgestellt werden. Die Abgaben und Arbeitslosenversicherung
würden in ihrem Fall
entfallen.
Im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen
in Privathaushalten
sollten
durch staatliche Unterstützung zusätzlich zu den bestehenden
Regelungen einfache Strukturen geschaffen werden, die eine flexible,
sozialversicherungspflichtige und versteuerte Beschäftigung in
Privathaushalten ermöglichen.
Die
Veränderungen in der Sozialversicherungspflicht und in der
Steuerpflichtigkeit aller Jobs ab dem 1.Euro sorgt für zusätzliche
Steuereinnahmen. Diese Einnahmen sollen durch spürbare Erhöhung der
Grundfreibeträge ausgeglichen werden.