Debattenbeitrag

"Wer in seinem Leben gearbeitet hat, sollte eine Rente bekommen, die vor Armut im Alter schützt"

Ein Debattenbeitrag zum grünen Grundsatzprogramm der Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit, Soziales und Gesundheit.

Wer in seinem Leben gearbeitet hat, sollte danach eine Rente bekommen, die vor Armut im Alter schützt. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Arbeit angemessen bezahlt wird, alle Zeiten der Berufstätigkeit auch für den späteren Rentenbezug anerkannt werden und es die Möglichkeit gibt, zwischen Zeiten mit niedrigen Arbeitszeiten und Vollzeitarbeit zu wechseln. Dies bedeutet natürlich auch, das Zeiten in denen gesellschaftlich notwendige Arbeiten wie Kindererziehung und Pflege von Eltern und Angehörigen geleistet werde, angemessen im späteren Rentenbezug anerkannt werden.

Heute werden vor allem Frauen in Zeiten von Kindererziehung und Pflege der Angehöri-gen häufig in Minijobs gedrängt. Eine geringfügige Beschäftigung (Minijob) ist ein Beschäftigungsverhältnis, bei dem das Arbeitsentgelt eine bestimmte Grenze (im Moment 450 Euro) nicht überschreitet (geringfügig entlohnte Beschäftigung, sog. Minijob) oder das nur kurze Zeit andauert (kurzfristige Beschäftigung). Daraus ergeben sich zurzeit in Deutschland sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Besonderheiten. Gering-fügig Beschäftigte sind nach deutschem Recht in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht beitragspflichtig. Sie können sich von der Rentenver-sicherungsbeitragspflicht befreien lassen, während die Arbeitgeber*innen einen redu-zierten Betrag zur Kranken- und Rentenversicherung zahlen müssen, woraus kein Krankenversicherungsschutz für die und den geringfügig Beschäftigten entsteht, wohl aber ein – wenn auch vergleichsweise geringer – Rentenanspruch. Die Arbeitgeber*innen tragen in der Regel die Pauschalsteuer der geringfügigen Beschäftigungen.

Ihre Beliebtheit erreichen Minijobs durch ihre Steuer- und Sozialbeitragsfreiheit, sofern man sich von der Leistung des Eigenanteils zur Rentenversicherung befreien lässt. Diese Jobs versprechen kurzfristig ein gutes Zusatzeinkommen. Viele Menschen, vor allem Frauen, verzichten jedoch auf die Einzahlung der eigenen Anteile an der Rentenver-sicherung und erwerben so keine Betragszeiten. Gleichzeitig ist der rasch steigende Anteil an der eigenen Zahlung von Steuern und Sozialversicherungsabgaben beim Übersteigen Freibetragsgrenzen für viele Beschäftigte in Minijobs der Grund, nicht mehr arbeiten zu wollen.

Minijobs werden so zur Armutsfalle für viele Frauen im Alter. Wir möchten daher, das in jeder Beschäftigung, egal ob für wenige Stunden im Monat oder in Vollzeitarbeit, sozial-versicherungspflichtig ist. Bisherige Übergänge mit unterschiedlichen Ansprüchen in Minijobs, Midijobs und „normaler“ vollständig versicherungspflichtiger Arbeit müssen verschwinden, um allen Arbeitnehmer*innen den Wechsel zwischen verschiedenen Arbeitszeitmodellen zu ermöglichen.

Zur Geschichte dieses deutschen Sondermodells

Bereits nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911 konnten vorübergehende Dienstleistungen in der Kranken- und Invalidenversicherung versicherungsfrei bleiben.

Bereits 1981 wollte die sozialliberale Bundesregierung die Versicherungsfreiheit von geringfügig Beschäftigten generell abschaffen, um so Einnahmeausfällen bei der Sozialversicherung entgegenzuwirken und den Sozialversicherungsschutz der Arbeit-nehmer im Teilzeitbereich, insbesondere von Frauen, zu verbessern. Nach den Protesten insbesondere der Zeitungsverleger und der Wohlfahrtsverbände wurden die Minijobs beibehalten.

Ab 1999 wurden pauschal Sozialversicherungsbeiträge für die Krankenversicherung und für die Rentenversicherung eingeführt, die von den Arbeitgebern zu tragen waren. Auf Antrag konnten die Beschäftigten auf die Versicherungsfreiheit in der Rentenversicherung verzichten. Die Sozialversicherungsbeitragsfreiheit für geringfügige Beschäftige im Nebenerwerb wurde gestrichen.

2003 führte die rot-grüne Bundesregierung jedoch diese Sozialversicherungsbeitags für Personen mit einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung wieder ein. Sie schuf damit einen finanziellen Anreiz, eine Nebentätigkeit aufzunehmen. Wer sich in seiner Hauptbeschäftigung Überstunden auszahlen lässt oder durch Aufstockung der Arbeitszeit ein höheres Gehalt erzielt, muss dafür die üblichen Abgaben leisten. Wer dagegen zusätzlich einen Minijob annimmt, zahlt dafür selbst kaum etwas in die Sozialkassen ein bzw. wird in der Regel nicht nach seinem normalen Steuersatz veranlagt, sondern pauschal besteuert. Zwar entlastet diese Regelung Niedrigverdiener*innen, die zwei Arbeitsstellen übernehmen, um überhaupt über die Runden zu kommen, aber auch unnötigerweise Gutverdiener*innen mit einer Nebentätigkeit.

Die bisherige rechtliche Lage

Für Minijobber gelten grundsätzlich die gleichen Regelungen wie für „normale“ Arbeits-verhältnisse; sie gelten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz als Teilzeitbeschäftigte und haben im Arbeitsrecht die gleichen Rechte wie Vollzeitbeschäftigte. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz hat der Minijobber Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krank-heitsfall und auf Feiertagsvergütung. Und auch im Kündigungsschutz macht das Gesetz für eine geringfügige Beschäftigung keinen Unterschied. Das Bundesurlaubsgesetz ist für geringfügige Beschäftigungen anwendbar und regelt den Urlaubsanspruch.

Minijob-Beschäftigte haben Anspruch auf die gleichen Bruttostundenlöhne wie in einer vergleichbaren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. In der Praxis verdienen sie aber brutto weitaus weniger. Viele Arbeitgeber vor allem im Dienstleistungssektor nutzen die fehlende Tarifbindung aus und zahlen Minijober*innen nur Löhne in Höhe des Mindestlohns.

Eine geringfügige Beschäftigung ist ein Beschäftigungsverhältnis, bei dem das Arbeits-entgelt eine bestimmte Grenze nicht überschreitet oder das nur kurze Zeit andauert. Daraus ergeben sich zurzeit in Deutschland verschiedene sozialversicherungsrechtliche und steuerrechtliche Besonderheiten.

Geringfügig Beschäftigte sind nach deutschem Recht in dieser Beschäftigung in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nicht versicherungspflichtig. Sie können sich von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Der Arbeitgeber trägt die pauschale Besteuerung und reduzierten Beitrag zur Kranken- und Rentenver-sicherung. Daraus folgt aber kein Krankenversicherungsschutz für den Arbeitnehmer.

Die Realität

Ursprünglich als unkomplizierter Einstieg für „Hausfrauen“ zum Berufseinstieg gedacht, ist diese Beschäftigungsform längst aus dem Ruder gelaufen. Etwa jedes fünfte Beschäfti-gungsverhältnis in Deutschland (ca. 7,6 Millionen) ist heute ein Minijob.

Für einen Großteil der Menschen im Minijobs (ca. 4,8 Millionen, davon ca. 3,2 Millionen Frau¬en), stellte der Minijob die einzige Erwerbstätigkeit dar. Minijobbende müssen zwar selbst keine Steuern und Sozialabgaben abführen, erwerben aber auch keine bzw. nur sehr geringe eigenständige Ansprüche in der Rentenversicherung, sofern sie sich von diesen Ansprüchen nicht befreien lassen.

Minijobs sorgen für Minilöhne. Beispiel: Eine verheiratete, kinderlose Frau mit Steuer-klasse V erhält bei einem Bruttolohn von 13,50 € ca. 7 € netto. Als Minijobberin würde sie für die gleiche Arbeit 13,50 € netto (bei Befreiung von der Rentenversicherung) erhalten. Real dürfte sie den Mindestlohn bekommen. Dies gilt auch für viele Menschen im Hartz IV-Bezug. Ihre Notlage wird von vielen Arbeitgebern durch Minijobs ausgenutzt. Mit Minijobs ohne Auf- und Ausstiegsperspektive sorgt der Hartz IV-Bezug für die soziale Grundsiche-rung und die Sozialversicherung. Arbeitgeber beschäftigen sie dann wiederum nur in Höhe des Mindestlohns für Ihre Arbeit.

Minijobs sind häufig Jobs für Menschen für die es keine anderen Angebote auf dem Arbeitsmarkt gibt. Sie sind niedrig entlohnt, haben keine Ausstiegschancen und werden überdurchschnittlich von Frauen ausgeübt.

Minijobs führen nur selten in ein Normalarbeitsverhältnis. Weniger als 10 % der Minijobber gelingt dieser Aufstieg. Viele Frauen verbleiben so Ihr gesamtes Erwerbsleben in Minijobs, auch wenn die Phase der Kindererziehung, durch die sie diese Erwerbsform begründen, längst vorbei ist.

Minijobs stellen durch die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit einen Fehlanreiz dar. So können Minijobs auch für Menschen in gesicherten Erwerbsverläufen durch die Trennung vom Lebenspartner und durch fehlende soziale Absicherung im Rentenalter ein hohes Armutsrisiko im Alter bedeuten.

Für die meisten Frauen bedeutet die Geburt Ihrer Kinder eine Zäsur in Ihrer Berufstätig-keit. Und für viele bleibt es nicht einfach bei einer Pause vom Job. Das Ehegattensplitting befördert den Eintritt in einen Minijob, weil die Entlohnung eines Minijobs bei der gemein-samen Steuererklärung im Gegensatz zu Jobs mit einem höheren Gehalt als 450 Euro monatlich nicht berücksichtigt wird. Sie sind so häufig in der Elternzeit geringfügig be-schäftigt und sitzen damit in einer Falle, aus der sie sich kaum befreien können. Schuld daran ist das Steuersystem. Der Aufstieg aus einem Minijob gelingt nur selten, weil er sich finanziell kaum lohnt. Minijobs behindern so die bessere Integration von Frauen in das Berufsleben. Durch die gemeinsame Besteuerung wird der Wiedereinstieg Frauen in das Erwerbsleben nach einer Elternzeit mit teilweise über 50 % igen Abzügen bestraft.

Viele Beschäftigte nehmen die geringen Stundenlöhne in Minijobs nur deshalb hin, weil der Minijob nur ein Zuverdienst zum eigenen Haupteinkommen oder – bei ausschließlich geringfügig Beschäftigten – zum Einkommen der Familie ist. Minijobs fördern das „Zuver-diener*innenmodell “ und damit die soziale Abhängigkeit von Frauen oder Männern gegenüber Ihren Partner*innen.

In einzelnen Branchen arbeiten mittlerweile extrem viele Minijobber*innen, sei es als Neben- oder Haupttätigkeit. Im Gesundheits- und Sozialwesen sind rund 760 000 geringfügig Beschäftigte tätig, im Gastgewerbe 870 000 und im Einzelhandel 970 000. Damit profitieren diese Wirtschaftszweige massiv von dieser staatlich geförderten Beschäftigungsform.

Minijobber sind fast immer von den Möglichkeiten der Weiterbildung und der beruflichen Entwicklung ausgeschlossen, weil Arbeitgeber Teilzeitbeschäftigten diese Ansprüche verweigern und ihnen keine Aufstiegschancen geben.

Die abgabenrechtliche Privilegierung von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen ist sozialpolitisch nicht zu unterstützen. Die ursprünglich erwarteten beschäftigungspoliti-schen Ziele sowohl für Arbeitgeber*innen als auch für Arbeitnehmer*innen wurden nie erreicht. Sie werden durch beträchtliche Nachteile für die Solidargesellschaft erkauft. Geringfügige Beschäftigungen verlagern Gegenwartsprobleme. Es werden kurzfristige Beschäftigungen subventioniert, Altersarmut geschaffen und soziale Abhängigkeit vor allem von Frauen gefördert.

Unsere Ziele

Um eine behutsame Überführung der bestehenden geringfügigen Beschäftigungsver-hältnisse In regulär besteuerte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu ermöglichen, sollte zuerst die Möglichkeit der Befreiung von der Rentenversicherungs-pflicht aufgehoben werden. In den folgenden Schritten muss die sozialversicherungs-pflichtige Sonderbehandlung in der Krankenversicherung und der Arbeitslosenver-sicherung abgeschafft werden. Die steuerliche Begünstigung sollte in jährlichen Schritten abgebaut werden. Diese beiden Schritte sollten für Minijobber mit einer sozialversiche-rungspflichtigen Hauptbeschäftigung sofort gelten. Heute arbeiten fast 2,8 Millionen Arbeitnehmer neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zusätzlich in einem Minijob. Sie erwerben hier häufig keine zusätzlichen Rentenansprüche.

Über eine Million Rentner*innen arbeiten in Minijobs. Sie sollten steuer- und sozial-versicherungsrechtlich mit anderen Beschäftigten gleichgestellt werden. Die Abgaben und Arbeitslosenversicherung würden in ihrem Fall entfallen.

Im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen in Privathaushalten sollten durch staatliche Unterstützung zusätzlich zu den bestehenden Regelungen einfache Strukturen geschaffen werden, die eine flexible, sozialversicherungspflichtige und versteuerte Beschäftigung in Privathaushalten ermöglichen.

Die Veränderungen in der Sozialversicherungspflicht und in der Steuerpflichtigkeit aller Jobs ab dem 1.Euro sorgt für zusätzliche Steuereinnahmen. Diese Einnahmen sollen durch spürbare Erhöhung der Grundfreibeträge ausgeglichen werden.