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Nicht die Nerze sind Schuld

Ein Nerz sitzt zwischen zwei Felsen und frisst Schnee
© Pixabay / Derek Naulls

Gesundheitliche Vorsorge und ökologische Politik sind Geschwister, finden Robert Habeck, Steffi Lemke und Renate Künast.

Das Coronavirus hat auf ungeahnte und ungekannte Weise abrupt und schockartig in unser aller Leben eingegriffen. Wenn uns dieses eine Virus so umhauen kann, dann zeigt das die Dringlichkeit, mit der wir versuchen müssen, zum einen Risiken für neue Infektionskrankheiten zu verringern und uns zum anderen grundsätzlich besser auf einen absehbar nächsten Ausbruch einer Pandemie vorzubereiten. So richtig es war und ist, die Folgen der Krise und deren Bewältigung in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen zu stellen, so wichtig ist es auch, die Entstehung und – damit unweigerlich verbunden – die Verringerung von Gesundheitskrisen näher zu untersuchen. Dabei wird zunehmend offensichtlich, wie eng Umweltschutz und Gesundheitsschutz zusammenhängen. Ja, es gibt vielleicht keine zwei Politikfelder, die so eng miteinander verbunden sind wie Gesundheits- und Umweltschutz.

Die Coronavirus-Pandemie ist eine sogenannte Zoonose, also eine Infektionskrankheit, die vom Tier auf den Menschen oder umgekehrt übertragen werden kann. Der genaue Ursprung von Covid-19 ist nach wie vor Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. Doch auch jenseits von Corona ist offensichtlich: Wie wir Menschen mit den Tieren und der Natur umgehen, entscheidet mit darüber, wie häufig zoonotische Krankheiten auftreten, die sich im Extremfall auch zu Pandemien ausweiten können. Der Zusammenhang ist schon einige Jahre bekannt, wurde aber bislang weitgehend nur in der Fachöffentlichkeit diskutiert. Schon 2012 warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO vor der steigenden Wahrscheinlichkeit von zoonotischen Ausbrüchen. Die Weltorganisation für Tiergesundheit wiederum schätzt, dass 60 Prozent aller Infektionskrankheiten zoonotisch sind. Dazu gehören verheerende Erreger wie Tuberkulose, Pocken, Tollwut, HIV, Ebola und auch Influenza. So starben Anfang des 20. Jahrhunderts schätzungsweise zwischen 20 und 50 Millionen Menschen an der Spanischen Grippe, die ursprünglich von Vögeln stammte. Bei neu auftretenden Infektionskrankheiten ist davon auszugehen, dass sogar 75 Prozent einen tierischen Ursprung haben. All diese Viren haben in der Vergangenheit die Artgrenze zwischen Mensch und Tier übersprungen. Schätzungen gehen von 1,7 Millionen bisher noch unbekannten Viren aus, die Menschen womöglich infizieren könnten. Und das Risiko, dass sie es tun, steigt.

Wildtiere, deren Immunsystem sich an bestimmte Viren angepasst hat, kommen immer häufiger und in immer größerer Zahl mit Menschen in Kontakt, für die diese Viren eine tödliche Gefahr darstellen können. Nach aktueller Forschungslage sind das beispielsweise Fledermäuse beim neuen Coronavirus. Wir Menschen dringen bis in die tiefsten Winkel der Natur vor, brennen den Amazonas-Regenwald nieder und roden den Urwald im Kongobecken und in Indonesien. In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 750 Millionen Tiere geschlachtet. Diese haben zuvor Unmengen an Futter gebraucht, zu einem großen Teil eiweißreiches Soja aus Südamerika, für dessen Anbau Regenwald gerodet wird. Alle sechs Sekunden geht global gesehen eine Urwaldfläche von einem Fußballfeld verloren. So befördern auch unsere nordwesteuropäischen Ernährungsgewohnheiten das Risiko von neuen Infektionskrankheiten. Die gleichen Folgen hat unser Verbrauch von Palmöl, das in Lippenstiften und Schokolade, Cremes und Waschmitteln, Tütensuppen und Tiefkühlpizzen zu finden ist.

Gleichzeitig zwingen Lebensraumvernichtung und Klimakrise viele Tierarten, in Regionen vorzudringen, in denen sie zuvor nicht vorkamen. In Europa rückt beispielsweise die Zecke wegen der steigenden Temperaturen immer weiter nach Norden vor und überträgt durch Bakterien Borreliose und die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Doch nicht nur das gefährdet unsere Gesundheit.

Eines der am meisten unterschätzten Probleme in Bezug auf die Entstehung von Zoonosen ist der Handel von Wildtieren. Was auf den ersten Blick wie ein exotisches Nischenthema erscheint, ist bei näherer Betrachtung ein gewaltiges Problem. 2011 betrug der Umsatz des Wildtierhandels 11 Milliarden Dollar. Bei den globalen Verbrechen rangiert der illegale Handel mit wilden Tieren nach Drogenhandel, Produktpiraterie und Menschenhandel auf Platz vier. In die Staaten Europas wird dabei alles importiert, was man sich vorstellen kann: Affen, Tiger, Schlangen, Vögel, Insekten, Reptilien und Fische. Sie werden gefangen, der Natur entnommen und Tag für Tag dichter an die Ausrottung getrieben. In Deutschland aber ist der Handel mit Wildtieren zum größten Teil sogar legal. Im Zeitraum 2014 bis 2018 wurden allein 1,3 Millionen lebende Reptilien legal nach Deutschland importiert.

Da unser Umgang mit der Natur also Teil des Problems ist, muss dort auch ein Teil der Antwort liegen. So könnte beispielsweise ein Lieferkettengesetz helfen, nachvollziehbar zu machen, ob für ein bestimmtes Produkt Regenwald zerstört wurde oder nicht. Die Europäische Union wiederum sollte das Freihandelsabkommen Mercosur mit Südamerika stoppen, solange die Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes voranschreitet oder sogar befördert wird. Handelsabkommen müssen dem Schutz des Klimas und der Arten dienen, nicht ihrer Vernichtung. Naturschutz am anderen Ende der Welt ist in unserem ureigenen Interesse.

Wichtig ist zweitens, den Import von Wildtierfängen zu verbieten, ebenso den Besitz und Verkauf von Tieren, die in ihrem Heimatland illegal gefangen und exportiert wurden. Zugleich brauchen wir Positivlisten für die Haltung von Tieren, die aus Tier-, Natur- und Artenschutzgründen, Gesundheits- und Sicherheitsaspekten in Privathaltung unbedenklich und dauerhaft möglich sind. Gewerbliche Tierbörsen sollten untersagt werden.

Drittens erweist sich auch die industrielle Haltung von Pelztieren als Brutherd zoonotischer Krankheiten. Auf einer Zuchtfarm für Nerze in Dänemark sprang das Covid-19-Virus nicht nur zwischen den Tieren und von den Tieren auf die Menschen über, sondern es fand auch eine bedenkliche Mutation statt. Das Virus mit dieser Mutation sprang auch auf den Menschen über – bisher sind 11 Menschen mit dieser neuen Form des Virus infiziert. Damit steigt die Gefahr, dass die Bemühungen um einen Impfstoff erschwert werden könnten, denn mutierte Formen benötigen unter Umständen einen anderen Impfstoff. Es ist entsetzlich, dass daraufhin die bis zu 17 Millionen Nerze getötet werden müssen. Und es ist die Folge davon, dass Pelztiere grausam und gegen ihre Art in engen Käfigen gehalten werden, damit Menschen Nerz, Marderhund oder Fuchs tragen können. Dabei braucht das niemand, um nicht zu erfrieren. Für diese tierquälerische Form der Haltung gibt es keine Rechtfertigung mehr. Sie sollte europaweit verboten werden, und wir sollten dafür Sorge tragen, dass neue Pelze nicht importiert werden können. Wenn es schon nicht das Leid der Tiere ist, das uns dazu bewegt, dann vielleicht der Schutz vor zoonotischen Infektionen.

Es ist nicht die Schuld von Fledermäusen oder Nerzen, dass sie uns infizieren. Es ist die Folge unserer Art zu wirtschaften. Die politische Konsequenz muss klar sein. Die gesundheitliche Dimension und die ökologische sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir müssen den Raubbau an der Natur stoppen und die wilden Tiere wilde Tiere sein lassen. Die Ausbeutung von Wildtieren und Natur richtet sich am Ende gegen uns selbst.

Der Gastbeitrag ist am 17.11.20 im "Kölner Stadt-Anzeiger" erschienen.

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