Militärische Gewalt und die Herrschaft des Rechts
September 9, 2019, Von Katja KeulEin Debattenbeitrag von Katja Keul zur grünen Außen- und Sicherheitspolitik.
Gewaltfreie Konfliktlösung steht seit
der Gründung der Grünen im Zentrum der Programmatik. Für die
internationalen Beziehungen bedeutet das die vorrangige Förderung
der zivilen Konfliktprävention, sowie fairer und ökologisch
gerechter Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.
Bewaffnete Konflikte sind in der Regel
die Folge politischen Versagens.
Und trotzdem gibt es auch und gerade
in diesen Fällen für uns Grüne klare Kriterien, wann die Anwendung
militärischer Gewalt als Ultima Ratio legitimiert sein kann.
So emotional die Debatten über Krieg
und Frieden nach wie vor geführt werden, hat sich über die Jahre
doch ein Grundkonsens heraus kristallisiert, was sein kann und was
sein darf. Grundgesetz und UN Charta sind für uns Grüne keine
Ermessensabwägungen, sondern Grundlage jeder Entscheidung.
Viele Entscheidungskriterien sind in
unseren Programmen und Beschlüssen bereits klar benannt und
nachvollziehbar. An manchen Stellen allerdings fehlt es noch an
Klarheit und Schärfe, was dann zu Verunsicherung bei der
Entscheidungsfindung führen kann. Das bezieht sich nicht nur auf die
Beschlüsse des Sicherheitsrates, sondern auch auf den Begriff des
Systems kollektiver Sicherheit, der „Responsibility To Protect“
(R2P) und der Resolution „Uniting for Peace“.
Der nachfolgende Beitrag will
versuchen, die Abgrenzungen deutlicher zu benennen und die Kriterien
zu präzisieren.
Über die Legitimität militärischer Gewaltanwendung
20 Jahre nach dem Kosovo Krieg haben
grüne Bundestagsabgeordnete jährlich über eine ganze Reihe
unterschiedlicher Militäreinsätze abzustimmen.
Von den derzeit 11 bewaffneten
Einsätzen der Bundeswehr werden einige fast geschlossen abgelehnt
(Inherent Resolve in Syrien, SEA GUARDIAN im Mittelmeer) andere ganz
überwiegend unterstützt (UNIFIL, UNAMIS, UNAMID, KFOR, MINUSMA) und
zum Einsatz in Afghanistan wird bis heute innerhalb der grünen
Fraktion sehr unterschiedlich abgestimmt. Die Entscheidung ist in
jedem Einzelfall gut begründet und weder Zufall noch eine
Entscheidung aus dem Bauch heraus.
Bevor es auf die Erfolgsaussicht und
die Verhältnismäßigkeit eines Militäreinsatzes ankommt, ist
zunächst Voraussetzung, dass der Einsatz völkerrechtlich und
verfassungsrechtlich legal, also erlaubt ist.
Wir sind uns einig, dass wir das Recht
stärken wollen und nicht das Recht des Stärkeren. Ziel ist somit
die Verrechtlichung der internationalen Konfliktlösung, damit
dadurch militärische Gewalt überflüssig wird.
Die Einhaltung des Rechts fällt in
Anbetracht massiver Menschenrechtsverletzungen nicht immer leicht und
ist dennoch ohne Alternative.
Ein Einsatz von Gewalt, der rechtlich
nicht erlaubt ist, wird nämlich niemals deeskalierend wirken können
und damit die beabsichtige Wirkung erzielen. Wer sich bei der
Gewaltanwendung ins Unrecht setzt, wird jeden Konflikt am Ende mehr
eskalieren als deeskalieren.
Bei der Frage was erlaubt ist, muss
unterschieden werden zwischen dem Recht zum Krieg selbst (ius ad
bello) und den Regeln, die im Krieg selbst einzuhalten sind (ius in
bello/ humanitäres Völkerrecht). Wer also erlaubterweise Krieg
führt, kann dabei trotzdem das humanitäre Völkerrecht verletzen,
wenn die Gewaltanwendung unverhältnismäßig ist und überwiegend
Zivilisten trifft (so die russische Kriegsführung in Syrien und die
saudische Kriegsführung im Jemen).
Da sich eine Zustimmung zu
unverhältnismäßiger Gewalt ohnehin verbietet, geht es im Folgenden
allein um die Frage wann Gewaltanwendung überhaupt erlaubt ist.
Gewalt darf zunächst immer im Falle
der Selbstverteidigung, aber auch der Nothilfe (Bündnisverteidigung)
angewendet werden, wenn ein Staat selbst oder sein Verbündeter
unmittelbar durch einen anderen Staat angegriffen wird und die Gewalt
zur Abwehr des gegenwärtigen, also andauernden Angriffs notwendig
und verhältnismäßig ist.
Jenseits dessen gilt ein Gewaltverbot
zwischen Staaten. Das war nicht immer so. Darauf haben sich erst die
Gründungsmitglieder der UNO nach den Weltkriegen des
20. Jahrhunderts geeinigt und dies in Art 2 der UN Charta
festgeschrieben.
Mit diesem Gründungsakt haben die
Unterzeichnerstaaten am 28. Juni 1945 vereinbart, dass militärische
Gewalt zwischen Ihnen nur noch dann zur Anwendung kommen darf, wenn
dies durch ein von ihnen selbst ermächtigtes Gremium, dem
Sicherheitsrat, legitimiert wird. Insofern haben die Staaten mit dem
Gründungsakt der UNO ein Stück Souveränität auf die neue
Institution übertragen. Das war ein wirklich einmaliger
zivilisatorischer Akt, der nur durch den Konsens aller Beteiligten
1948 zustande kommen konnte. Bis dahin nahm jeder Staat selbst das
Recht in Anspruch darüber zu entscheiden, wann und wo er Gewalt
anwendet. Nun sollte das Rechts des Stärkeren durch die Herrschaft
des Rechts ersetzt werden.
Ohne das Vetorecht der 5 Siegermächte
wäre diese Einigung damals nicht zustande gekommen. Es ist Teil des
Vertrages und dieser kann nur einvernehmlich geändert werden. Es ist
daher schwer vorstellbar, dass die Vetomächte diese Position jemals
aufgeben werden. Es ist allerdings fraglich, ob die Konzentration auf
die Frage des Vetorechtes wirklich im Vordergrund stehen sollte. In
jeder Konfliktlage wird derzeit schnell von einer Blockade des
Sicherheitsrates geredet, dabei ist meist die Uneinigkeit zwischen
den Vetomöchten gerade auch Ursache und Kern der Konflikteskalation.
Es ist also gerade Auftrag der UN Charta für eine politische
Einigung im Sicherheitsrat zu werben und eine solche ernsthaft
anzustreben. Ohne eine politische Einigung zwischen den Vetomächten
über eine Strategie der Konfliktlösung wird ein militärisches
Eingreifen, von wem auch immer, nicht zur Konfliktlösung beitragen
können. Letztlich verhindert das Vetorecht auch einen Militäreinsatz
gegen eine Vetomacht selbst. Das war und ist nach wie vor eine
berechtigte Absicht der Vertragsparteien, da es nie wieder zu einem
Weltkrieg kommen soll – schon gar nicht zwischen Atommächten.
Mit der UN Charta vereinbarten also
potentielle Gegner eines Konfliktes im vorneherein, dass sie auf
Anwendung von Gewalt verzichten und das Gewaltmonopol einer
gemeinsamen Institution anerkennen.
Damit ist die UNO der Prototyp eines
Systems kollektiver, d.h. gegenseitiger Sicherheit.
Gleichermaßen gilt dies für die
OSZE: mit der Schlussakte von Helsinki 1975 haben potentielle Gegner
(hier Ost und West) vereinbart, wie sie ihre Konflikte untereinander
lösen wollen.
Die Streitfrage, ob auch ein
Verteidigungsbündnis wie die NATO oder eine supranationale
Institution wie die EU ein System kollektiver Sicherheit sind, ist
vor diesem Hintergrund nicht ganz so relevant, wie es auf den ersten
Blick scheint.
Ein System kollektiver Sicherheit kann
Gewaltanwendung nämlich ohnehin nur auf der Grundlage des
Mitgliedervertrages, also zwischen den Mitgliedern selbst
legitimieren.
Denn nur durch den Vertrag
untereinander übertragen die Mitglieder diesen Teil ihrer
Souveränität und unterwerfen sich den vereinbarten
Entscheidungsprozessen. Wer auch immer an einem Vertrag beteiligt
ist, kann niemals das Gewaltverbot gegenüber einem unbeteiligten
Dritten begrenzen bzw. aufheben.
Selbst wenn man also ein
Verteidigungsbündnis wie die NATO als ein solches System betrachtet,
hätte dies nur für Konflikte innerhalb der NATO Mitglieder eine
potentielle Bedeutung – niemals aber auf Dritte, die gar nicht
Mitglieder der NATO sind. Gleiches gilt für die EU.
Zur Rolle und Funktion von NATO und
WEU hat das Bundesverfassungsgericht 1994 (Z 238, 239) ausgeführt:
"… Dort (Urteil von 1984) ist offengeblieben, ob die NATO ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist (a.a.O., S. 95). Diese Frage bedarf nunmehr unter dem Blickwinkel einer Entscheidung, daß NATO und WEU Mandate des VN-Sicherheitsrates im ehemaligen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung ausführen und dabei integrierte Strukturen der NATO in Anspruch nehmen. Die Einwilligung in die Beschränkung deutscher Hoheitsrechte, die mit der Einordnung in solche Strukturen unter Überlassung militärischer Kommandogewalt verbunden ist, muß am Maßstab des Art. 24 Abs. 2 GG gemessen werden.
Die NATO bildet ein Sicherheitssystem, in dem die Mitglieder "ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit ... vereinigen" (Präambel des NATO-Vertrages). Sie verfolgt dieses Ziel gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages insbesondere dadurch, daß sie einem Angriff gegen eine der Vertragsparteien eine Bündnisverpflichtung entgegenstellt, nach der jede der Vertragsparteien einen solchen Angriff als gegen alle Vertragspartner gerichtet ansehen wird. Dabei beanspruchen die Vertragsparteien für den Bündnisfall, die in Art. 51 SVN anerkannten Rechte individueller oder kollektiver Selbstverteidigung wahrzunehmen. Die NATO dient der Wahrung des Friedens auch dadurch, daß die Vertragsparteien sich nach Art. 1 des NATO-Vertrages verpflichten, Streitfälle, an denen sie beteiligt sind, mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie zeichnet sich überdies durch die Ausbildung hochdifferenzierter integrierter militärischer Kommandostrukturen und die Aufstellung gemeinsamer Verbände BVerfGE 90, 286 (350)BVerfGE 90, 286 (351)vor herkömmlichen Militärallianzen aus und bewirkt damit nicht zuletzt, dass die Streitkräfte der Mitgliedstaaten in einer Weise miteinander verflochten werden, die die Sicherheit unter ihnen selbst erhöht."
NATO und EU können also keine
Gewaltanwendung außerhalb ihres eigenen Gebietes legitimieren. Das
kann allein die UNO, der dieses Recht von ihren Mitgliedern
übertragen worden ist.
Deswegen würde auch der
verfassungswidrige Bundeswehreinsatz im Irak nicht dadurch
verfassungsgemäß, dass er im Rahmen der NATO stattfinden würde,
wie es teilweise vertreten wurde. (Abgesehen davon, dass eine NATO
Präsenz im Irak wohl eher eskalierend wirken dürfte..) Art 24 GG
eröffnet der Bundesrepublik die Möglichkeit, ihren Rechten und
Pflichten im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit nachzukommen
und sich innerhalb eines solchen Systems an Einsätzen zu beteiligen,
auch wenn es sich nicht um Notwehr oder Nothilfe, also nicht um die
Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs handelt.
Da der Irak allerdings weder Mitglied
der NATO noch der EU ist, findet ein bewaffneter Einsatz ohne UN
Mandat dort eben nicht innerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit
statt.
Die UN sind damit einzigartig in der
weltweiten Geltung des zwischen ihren Mitgliedern vereinbarten
Gewaltverbotes.
Wer hingegen meint dieses Gewaltverbot
durch eine Koalition der Willigen umgehen zu können, stellt den
grundlegenden Konsens der Internationalen Gemeinschaft in Frage und
macht den Weg frei für eine Rückkehr zum Recht des Stärkeren.
Eine Koalition der Willigen jenseits
eines UN Mandates hat keinerlei Legitimität und beansprucht allein
das Recht der eigenen Stärke.
Die Bundeswehr hat sich erstmals 2015
nach den Anschlägen von Paris an einer solchen Koalition der
Willigen in Syrien beteiligt. Wie schrecklich auch die Anschläge von
Paris gewesen sind und wie ungeheuerlich die Verbrechen des IS: eine
Bombardierung Syriens ohne UN Mandat und damit ohne international
abgestimmte Strategie verursacht weitere zivile Opfer ohne einen
Beitrag zur Lösung des Problems zu liefern. Das ist weder legal noch
legitim.
So bitter es ist: nicht die Operation
„Inherent Resolve“ hat den IS militärisch zurück gedrängt,
sondern das gnadenlose Eingreifen des russischen Militärs auf der
Seite des syrischen Regimes. Trotzdem sind über Tausend Zivilisten,
davon viele Flüchtlinge, allein nach offiziellen Angaben des
US-Militärs von den gut gemeinten Luftangriffen der eigenen
Koalition getötet worden.
Auch der Einsatz im Nordirak war eine
Koalition der Willigen. Es wird bis heute immer wieder gern
behauptet, die Lieferungen von Maschinengewehren an die Peshmerga
hätten jesidischen Frauen und Mädchen das Leben gerettet. Spricht
man hingegen mit Vertretern jesidischer Verbände, so beklagen diese
sich bis heute, dass sie von den Peshmerga im Stich gelassen wurden
und dem IS ausgeliefert waren. Letztlich waren es die syrischen
Kurden der YPG, die auf Seiten der Jesiden gekämpft haben. Bittere
Ironie ist, dass diese Kämpfer aufgrund innerkurdischer Konflikte
anschließend gegen die mit deutschen Gewehren ausgerüsteten
Peshmerga kämpften.
Das Ablenken von unserer eigenen
Hilflosigkeit angesichts schwerer Menschenrechtsverletzungen ist
keine Legitimation für die Anwendung militärischer Gewalt. Am Ende
kosten diese Militäreinsätze langfristig mehr Menschenleben als sie
kurzfristig glauben retten zu können.
Das gilt auch für den Angriff auf
Serbien 1999 von dem heute kaum noch jemand ernsthaft behauptet er
sei nicht völkerrechtswidrig gewesen. Letztlich wird niemand im
Nachhinein mit Sicherheit sagen können wie die Geschichte verlaufen
wäre ohne diesen Einsatz. Fakt bleiben aber die 11.000 Menschen, die
während der NATO Bombardierung ihre Leben verloren (5.000
Kosovo-albanische, 2.000 serbische Zivilisten und 4.000 jugoslawische
Soldaten) und die Tausenden, die in der Folgezeit vertrieben und
ermordet wurden. Was hingegen den im Vorfeld befürchteten Völkermord
betrifft, ließ der Internationalen Gerichtshof den Anklagpunkt
später fallen, weil sich dafür keine ausreichenden Belegen
ermitteln ließen.
Auch wenn es in akuten Krisen schwer
fällt: wer den Frieden will, muss der rhetorischen Eskalation
widerstehen, sachlich analysieren und darf den Schaden nicht noch
vergrößern.
Nothilfe
Ruft ein Staat in Not einen anderen
militärisch zur Hilfe, so ist dies zunächst formal nicht
völkerrechtswidrig. Oft stellt sich in einem Bürgerkrieg bzw.
asymmetrischen Konflikt allerdings schon die Frage, wer die
international anerkannte Regierung ist, die eine solche Hilfe
völkerrechtskonform anfordern kann.
Selbst wenn der Träger der
Hoheitsgewalt eindeutig festgestellt werden kann, sind bei einem
bewaffneten Konflikt innerhalb eines Staates doch in der Regel
diverse internationale Gruppierungen und Interessen anderer Staaten
involviert, so dass eine nachhaltige Konfliktlösung von einer
international abgestimmten Strategie abhängt.
Es ist daher richtig, wenn Grüne auch
bei Hilfeersuchen legitimierten Regierungen ein militärisches
Eingreifen von einem UN Mandat abhängig machen.
Militärische Interventionen ohne UN
Mandat führen erfahrungsgemäß zu einer weiteren Eskalation und
häufig zu Stellvertreterkriegen, Kriegsverbrechen und Verletzung des
humanitären Völkerrechts, auch wenn sie von einer anerkannten
Regierung angefordert wurden. Abschreckende Beispiele dafür sind die
russische Kriegsführung in Syrien und die saudischen Kriegsführung
im Jemen.
Ist ein militärisches Eingreifen
eines befreundeten Staates in einer Notlage tatsächlich
erforderlich, wie in Mali im Januar 2013, so muss die internationale
Gemeinschaft und damit der Sicherheitsrat die Situation
schnellstmöglich bewerten und entsprechende Beschlüsse fassen.
Sobald der Sicherheitsrat einen Beschluss gefasst hat, erlischt auch
die Rechtsgrundlage für die bilaterale Nothilfe. So wurde in Mali
2013 unmittelbar nach dem Stopp des Vormarsches der Islamisten auf
Bamako durch die französische Armee die UN Mission AFISMA auf den
Weg gebracht, die dann später zu MINUNSMA wurde und bis heute von
der grünen Bundestagsfraktion mit getragen wird.
Es sei aber an dieser Stelle noch
einmal betont, dass die Legalität eines Einsatzes nur ein
erforderliches, aber nicht hinreichendes Kriterium für ein
militärisches Eingreifen sein kann.
Nicht jeder Militäreinsatz der
rechtlich zulässig wäre, ist deshalb auch schon
sicherheitspolitisch sinnvoll. Auftrag, Erfolgsaussicht, Wirkung und
Verhältnismäßigkeit werden wir immer kontinuierlich kritisch
prüfen und hinterfragen. Verursacht ein Militäreinsatz mehr
menschliche Verluste ohne dass gleichzeitig eine politische
Konfliktlösung zu erkennen ist, so muss er ggf. auch beendet werden
und sei er noch so völkerrechtskonform.
Vor diesem Hintergrund kommen grüne
Abgeordnete im Falle der Mission „Resolute Support“ Afghanistan
zu unterschiedlichen Bewertungen. An der völkerrechtlichen und
verfassungsrechtlichen Grundlage gibt es hingegen keine Zweifel.
Verantwortung zu übernehmen wird in
letzter Zeit gerne gleich gesetzt mit der Bereitschaft zum
militärischen Eingreifen. Diese scheinbare Logik greift zu kurz.
Verantwortung zu übernehmen kann gleichermaßen bedeuten, einem
militärischen Eingreifen zu widerstehen, der eigene
Handlungsfähigkeit am Ende nur simuliert und weitere sinnlose Opfer
verursacht.
Auch „Uniting for Peace“ ersetzt keinen Beschluss des Sicherheitsrates
Seit dem Missbrauch der Resolution
1973 im Falle Libyens durch die NATO kam es im Sicherheitsrat zu kaum
einer Einigung mehr. Als wir dann hilflos und entsetzt vor den
Ereignissen in Syrien kapitulieren mussten, suchten viele von uns
nach Wegen wie eine Einigung im Sicherheitsrat irgendwie umgangen
werden könnte, um doch endlich irgendwie militärisch eingreifen zu
können. So wurde die Debatte um die Möglichkeiten einer „Uniting
for peace Resolution“ wiederbelebt und in BDK Beschlüssen 2012 und
2014 thematisiert. Leider bietet aber auch dieser Mythos keine Lösung
für friedenschaffende Maßnahmen militärischer Art ohne vorherige
Einigung im Sicherheitsrat. Um was geht es?
Am 10.01.1950 legte Russland eine
Resolution vor, mit der die Anerkennung der chinesischen
Exilregierung in Taiwan abgelehnt und dessen Vertreter vom
Sicherheitsrat ausgeschlossen werden sollte. Nach Ablehnung dieser
Resolution verließ der sowjetische Vertreter unter Protest den SR
und blieb ihm bis zum 01.08.1950 fern. Während dieser Abwesenheit
eskalierten die abwechselnden Grenzverletzungen zwischen der
sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone in Korea.
Am 25.06.1950 verurteilte der SR
Nordkorea wegen eines Angriffs auf Südkorea.
Am 27.06.1950 rief der SR die
Mitgliedstaaten auf, Südkorea zu unterstützen.
Am 07.07.1950 beschließt der SR eine
militärische Mission unter amerikanischer Führung: der Beginn des
Koreakrieges.
An 01.08.1950 kehrte der sowjetische
Vertreter zur turnusmäßigen Übernahmen des Vorsitzes in den SR
zurück und kritisierte die Beschlüsse unter Abwesenheit zweier
Vetomächte (RUS und China) als illegal. Man stritt sich darüber, ob
die Abwesenheit als Enthaltung oder als Nein zu werten war. Am Ende
des Streites entschied die Vollversammlung am 03.11.1950 mit 52 zu 5
die sogenannte „Uniting for Peace“ Resolution:
"…if the Security council, because of lack of unanimity of the permanent members, fails to exercise its primary responsibility for maintenance of international peace and security in any case…. Then the General Assembly shall consider the matter immediately with a view to making appropriate recommendations to Members for collective measures, including in the case of a breach of the peace or act of aggression the use of armed force when necessary, to maintain or restore international peace and security."
Diese Resolution sollte als
zusätzliches Argument für das Vorgehen in der Korea Krise dienen,
um die rechtlich sehr dünne Grundlage zu stärken. Mit dem
Eingreifen der UN Truppen unter dem Befehl des amerikanischen
Generals Mac Arthur begann ein Krieg der bis zum Waffenstillstand am
27.07.1953 940.000 Soldaten und 3 Millionen(!) Zivilisten das Leben
kostete. Wer sich den Menschrechten verpflichtet fühlt, darf diese
Bilanz des damaligen Entscheidungsprozesses nicht vergessen.
Ein Beschluss der UN Vollversammlung
wurde danach nie wieder als Legitimation militärischer Gewalt heran
gezogen. Zumindest wurde ein zweiter Versuch im Keim erstickt. Sechs
Jahre nach Beginn des Koreakrieges im Oktober 1956 griffen
Großbritannien, Frankreich und Israel Ägypten an, um die
Verstaatlichung des Suez Kanal zu verhindern.
Als im SR ein Aufruf zur sofortigen
Waffenruhe beschlossen werden soll, legen GB und FRA ihr Veto ein –
sowohl gegen einen amerikanischen als auch gegen einen sowjetischen
Entwurf. Daraufhin beantragte Jugoslawien eine Sondersitzung der UN
Vollversammlung. In der Debatte distanzieren sich GB und FRA von der
„Uniting for Peace“ Resolution von 1950 und argumentieren exakt
gegenteilig.
Ein militärisches Eingreifen der UN
wurde nicht erforderlich, weil Eisenhower durch US Sanktionen
Frankreich, Großbritannien und Israel zum Rückzug zwang.
Seit dem wird “Uniting for Peace”
allgemein als politisches Mittel, nicht aber als rechtliches
Instrument verstanden. Seit 1950 kam es im Rahmen des „Uniting for
peace“ Mechanismus auch nie wieder zur Empfehlung militärischer
Zwangsmaßnahmen.
Christian Schaller schreibt dazu in
der SWP 37 von 2003:
„Die der Generalversammlung unter
dem „Uniting for Peace“- Mechanismus zustehenden Kompetenzen
beinhalten nicht die Befugnis, rechtsverbindliche Beschlüsse zur
Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu
fassen. Resolutionen der Generalversammlung sind im Gegensatz zu
Beschlüssen des Sicherheitsrates stets unverbindlich und haben den
Charakter von Empfehlungen. Gleichwohl sollte die Bedeutung einer
solchen Resolution nicht unter Verweis auf die mangelnde rechtliche
Bindungswirkung unterschätzt werden.“
Auch die R2P ist keine zusätzliche
Eingriffsermächtigung, sondern eine Konkretisierung der Befugnisse
des Sicherheitsrates.
Ein weiterer Versuch die Notwendigkeit
einer Einigung der Vetomächte zu umgehen ist das regelmäßig
wiederkehrende Missverständnis der Responsibility to Protect.
Aber auch dieses wichtige
völkerrechtliche Konzept schafft keine eigene Grundlage für
militärisches Eingreifen ohne SR-Beschluss und auch keine über die
UN Charta hinausgehenden Interventionsgründe. Das Konzept der R2P
ist vielmehr eine notwendige Präzisierung des Nothilferechts im
internationalen Rahmen und damit eine Fortentwicklung des bereits
geltenden Völkerrechts.
Nach der geltenden UN Charta kann der
Sicherheitsrat beschließen, in die Souveränität eines Staates
einzugreifen. Der SR kann damit den Grundsatz der Nichteinmischung
außer Kraft setzen. Das war schon immer so und bedarf keines neuen
Konzepts.
Fraglich war allerdings im Hinblick
auf den Wortlaut der UN Charta, ob die Voraussetzungen für einen
Beschluss nach Kap VII auch dann vorliegen, wenn sich ein bewaffneter
Konflikt nicht zwischen Staaten, sondern auf dem Gebiet eines
einzigen Staates abspielt. Die Frage war also, ob auch ein solcher
Konflikt eine Gefährdung des Weltfriedens darstellen kann.
Die Antwort auf diese Frage versucht
das Konzept der R2P zu geben, in dem dargelegt wird, unter welchen
Voraussetzungen der einzelne Staat gegenüber seinen Staatsbürgern
und damit auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft sein Recht
auf Achtung seiner Souveränität verwirkt hat.
Die R2P konkretisiert die
Eingriffsbefugnisse nach der UN Charta, indem sie Tatbestandsmerkmale
definiert.
Fakt bleibt in all diesen Fällen,
dass es einen Beschluss des SR geben muss. Mit der Berufung auf die
R2P lässt sich die UN Charta schlicht nicht aushebeln.
Die missbräuchliche Berufung auf die
R2P hingegen hat die UN Institutionen in verheerender Weise
geschwächt.
Seit der UN Resolution 1973 vom 17.
März 2011 und dem Militäreinsatz der NATO befindet sich der Prozess
der Verrechtlichung in einer schweren Krise. Nach Auffassung vieler
Friedensforscher und Völkerrechtler (u.a. Prof. Martina Haedrich,
Tobias Debiel, Prof. Reinhard Merkel) droht die ungerechtfertigte
Verbindung dieses Einsatzes mit dem Prinzip der R2P, dieses auf Dauer
zu beschädigen bis hin zum Untergang dieses Rechtsgrundsatzes.
So war die Gefährdungslage in Bengasi
im Hinblick auf die vier Kernverbrechen als Voraussetzung der R2P
völlig unklar und die Aussicht auf Erfolg insgesamt ungewiss. Die
militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone konnte von
vorneherein nur dann eine Wirkung im Sinne der R2P entfalten, wenn
entweder ein Regime Change oder eine Teilung des Landes in Kauf
genommen wurde. Beides kann niemals völkerrechtskonform mit Gewalt
herbeigeführt werden.
Die 30.000 bis 50.000 Todesopfer des
8-monatigen Militäreinsatzes machen deutlich was die Grundsätze der
R2P mit der „ appropriate balance of consequences“ verhindern
wollen: der Schutz der einen setzt nicht den Schutz der anderen außer
Kraft.
Weitere Schritte auf dem Weg zur Verrechtlichung
Seit seiner Gründung hat der SR des
Öfteren per Resolution in die Souveränität eines Mitgliedstaates
massiv eingegriffen. Der SR ist jedoch bislang niemandem Rechenschaft
schuldig – auch nicht wenn es darum geht im Nachhinein zu prüfen,
ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Intervention tatsächlich
vorgelegen hatten.
Grüne Position muss die weitere
Verrechtlichung des Verfahrens und damit die Stärkung der UNO und
des internationalen Gerichtshofes sein. Alle Bündnispartner müssen
angehalten werden, die internationale Gerichtsbarkeit anzuerkennen
und den Rechtsweg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von UN
mandatierten Einsätzen zu eröffnen.
Jedem Staat sollte der Rechtsweg gegen
einen Beschluss des Sicherheitsrates eröffnet werden.
Vorher sollten wir aber erst einmal
die Rechtsschutzlücke im eigenen Land schließen. Bis heute gibt es
keine Möglichkeit für Parlamentarier, einen Bundeswehreinsatz vor
dem Verfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu
lassen.
Die abschließenden Klagewege im
Bundesverfassungsgericht sehen lediglich eine Organklage vor, wenn
parlamentarische Rechte verletzt wurden. Wurde allerdings die
Verfassung selbst verletzt, gibt es anders als bei Gesetzen gegen
einen Mandatsbeschluss kein Rechtsweg. Dies könnten wir mit
einfacher Mehrheit ändern, um anschließend umso glaubwürdiger für
eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zu werben.