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Artikel

Militärische Gewalt und die Herrschaft des Rechts

Ein Debattenbeitrag von Katja Keul zur grünen Außen- und Sicherheitspolitik.

Gewaltfreie Konfliktlösung steht seit der Gründung der Grünen im Zentrum der Programmatik. Für die internationalen Beziehungen bedeutet das die vorrangige Förderung der zivilen Konfliktprävention, sowie fairer und ökologisch gerechter Handels- und Wirtschaftsbeziehungen.

Bewaffnete Konflikte sind in der Regel die Folge politischen Versagens.

Und trotzdem gibt es auch und gerade in diesen Fällen für uns Grüne klare Kriterien, wann die Anwendung militärischer Gewalt als Ultima Ratio legitimiert sein kann.

So emotional die Debatten über Krieg und Frieden nach wie vor geführt werden, hat sich über die Jahre doch ein Grundkonsens heraus kristallisiert, was sein kann und was sein darf. Grundgesetz und UN Charta sind für uns Grüne keine Ermessensabwägungen, sondern Grundlage jeder Entscheidung.

Viele Entscheidungskriterien sind in unseren Programmen und Beschlüssen bereits klar benannt und nachvollziehbar. An manchen Stellen allerdings fehlt es noch an Klarheit und Schärfe, was dann zu Verunsicherung bei der Entscheidungsfindung führen kann. Das bezieht sich nicht nur auf die Beschlüsse des Sicherheitsrates, sondern auch auf den Begriff des Systems kollektiver Sicherheit, der „Responsibility To Protect“ (R2P) und der Resolution „Uniting for Peace“.

Der nachfolgende Beitrag will versuchen, die Abgrenzungen deutlicher zu benennen und die Kriterien zu präzisieren.

Über die Legitimität militärischer Gewaltanwendung

20 Jahre nach dem Kosovo Krieg haben grüne Bundestagsabgeordnete jährlich über eine ganze Reihe unterschiedlicher Militäreinsätze abzustimmen.

Von den derzeit 11 bewaffneten Einsätzen der Bundeswehr werden einige fast geschlossen abgelehnt (Inherent Resolve in Syrien, SEA GUARDIAN im Mittelmeer) andere ganz überwiegend unterstützt (UNIFIL, UNAMIS, UNAMID, KFOR, MINUSMA) und zum Einsatz in Afghanistan wird bis heute innerhalb der grünen Fraktion sehr unterschiedlich abgestimmt. Die Entscheidung ist in jedem Einzelfall gut begründet und weder Zufall noch eine Entscheidung aus dem Bauch heraus.

Bevor es auf die Erfolgsaussicht und die Verhältnismäßigkeit eines Militäreinsatzes ankommt, ist zunächst Voraussetzung, dass der Einsatz völkerrechtlich und verfassungsrechtlich legal, also erlaubt ist.

Wir sind uns einig, dass wir das Recht stärken wollen und nicht das Recht des Stärkeren. Ziel ist somit die Verrechtlichung der internationalen Konfliktlösung, damit dadurch militärische Gewalt überflüssig wird.

Die Einhaltung des Rechts fällt in Anbetracht massiver Menschenrechtsverletzungen nicht immer leicht und ist dennoch ohne Alternative.

Ein Einsatz von Gewalt, der rechtlich nicht erlaubt ist, wird nämlich niemals deeskalierend wirken können und damit die beabsichtige Wirkung erzielen. Wer sich bei der Gewaltanwendung ins Unrecht setzt, wird jeden Konflikt am Ende mehr eskalieren als deeskalieren.

Bei der Frage was erlaubt ist, muss unterschieden werden zwischen dem Recht zum Krieg selbst (ius ad bello) und den Regeln, die im Krieg selbst einzuhalten sind (ius in bello/ humanitäres Völkerrecht). Wer also erlaubterweise Krieg führt, kann dabei trotzdem das humanitäre Völkerrecht verletzen, wenn die Gewaltanwendung unverhältnismäßig ist und überwiegend Zivilisten trifft (so die russische Kriegsführung in Syrien und die saudische Kriegsführung im Jemen).

Da sich eine Zustimmung zu unverhältnismäßiger Gewalt ohnehin verbietet, geht es im Folgenden allein um die Frage wann Gewaltanwendung überhaupt erlaubt ist.

Gewalt darf zunächst immer im Falle der Selbstverteidigung, aber auch der Nothilfe (Bündnisverteidigung) angewendet werden, wenn ein Staat selbst oder sein Verbündeter unmittelbar durch einen anderen Staat angegriffen wird und die Gewalt zur Abwehr des gegenwärtigen, also andauernden Angriffs notwendig und verhältnismäßig ist.

Jenseits dessen gilt ein Gewaltverbot zwischen Staaten. Das war nicht immer so. Darauf haben sich erst die Gründungsmitglieder der UNO nach den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts geeinigt und dies in Art 2 der UN Charta festgeschrieben.

Mit diesem Gründungsakt haben die Unterzeichnerstaaten am 28. Juni 1945 vereinbart, dass militärische Gewalt zwischen Ihnen nur noch dann zur Anwendung kommen darf, wenn dies durch ein von ihnen selbst ermächtigtes Gremium, dem Sicherheitsrat, legitimiert wird. Insofern haben die Staaten mit dem Gründungsakt der UNO ein Stück Souveränität auf die neue Institution übertragen. Das war ein wirklich einmaliger zivilisatorischer Akt, der nur durch den Konsens aller Beteiligten 1948 zustande kommen konnte. Bis dahin nahm jeder Staat selbst das Recht in Anspruch darüber zu entscheiden, wann und wo er Gewalt anwendet. Nun sollte das Rechts des Stärkeren durch die Herrschaft des Rechts ersetzt werden.

Ohne das Vetorecht der 5 Siegermächte wäre diese Einigung damals nicht zustande gekommen. Es ist Teil des Vertrages und dieser kann nur einvernehmlich geändert werden. Es ist daher schwer vorstellbar, dass die Vetomächte diese Position jemals aufgeben werden. Es ist allerdings fraglich, ob die Konzentration auf die Frage des Vetorechtes wirklich im Vordergrund stehen sollte. In jeder Konfliktlage wird derzeit schnell von einer Blockade des Sicherheitsrates geredet, dabei ist meist die Uneinigkeit zwischen den Vetomöchten gerade auch Ursache und Kern der Konflikteskalation. Es ist also gerade Auftrag der UN Charta für eine politische Einigung im Sicherheitsrat zu werben und eine solche ernsthaft anzustreben. Ohne eine politische Einigung zwischen den Vetomächten über eine Strategie der Konfliktlösung wird ein militärisches Eingreifen, von wem auch immer, nicht zur Konfliktlösung beitragen können. Letztlich verhindert das Vetorecht auch einen Militäreinsatz gegen eine Vetomacht selbst. Das war und ist nach wie vor eine berechtigte Absicht der Vertragsparteien, da es nie wieder zu einem Weltkrieg kommen soll – schon gar nicht zwischen Atommächten.

Mit der UN Charta vereinbarten also potentielle Gegner eines Konfliktes im vorneherein, dass sie auf Anwendung von Gewalt verzichten und das Gewaltmonopol einer gemeinsamen Institution anerkennen.

Damit ist die UNO der Prototyp eines Systems kollektiver, d.h. gegenseitiger Sicherheit.

Gleichermaßen gilt dies für die OSZE: mit der Schlussakte von Helsinki 1975 haben potentielle Gegner (hier Ost und West) vereinbart, wie sie ihre Konflikte untereinander lösen wollen.

Die Streitfrage, ob auch ein Verteidigungsbündnis wie die NATO oder eine supranationale Institution wie die EU ein System kollektiver Sicherheit sind, ist vor diesem Hintergrund nicht ganz so relevant, wie es auf den ersten Blick scheint.

Ein System kollektiver Sicherheit kann Gewaltanwendung nämlich ohnehin nur auf der Grundlage des Mitgliedervertrages, also zwischen den Mitgliedern selbst legitimieren.

Denn nur durch den Vertrag untereinander übertragen die Mitglieder diesen Teil ihrer Souveränität und unterwerfen sich den vereinbarten Entscheidungsprozessen. Wer auch immer an einem Vertrag beteiligt ist, kann niemals das Gewaltverbot gegenüber einem unbeteiligten Dritten begrenzen bzw. aufheben.

Selbst wenn man also ein Verteidigungsbündnis wie die NATO als ein solches System betrachtet, hätte dies nur für Konflikte innerhalb der NATO Mitglieder eine potentielle Bedeutung – niemals aber auf Dritte, die gar nicht Mitglieder der NATO sind. Gleiches gilt für die EU.

Zur Rolle und Funktion von NATO und WEU hat das Bundesverfassungsgericht 1994 (Z 238, 239) ausgeführt:

"… Dort (Urteil von 1984) ist offengeblieben, ob die NATO ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist (a.a.O., S. 95). Diese Frage bedarf nunmehr unter dem Blickwinkel einer Entscheidung, daß NATO und WEU Mandate des VN-Sicherheitsrates im ehemaligen Jugoslawien unter deutscher Beteiligung ausführen und dabei integrierte Strukturen der NATO in Anspruch nehmen. Die Einwilligung in die Beschränkung deutscher Hoheitsrechte, die mit der Einordnung in solche Strukturen unter Überlassung militärischer Kommandogewalt verbunden ist, muß am Maßstab des Art. 24 Abs. 2 GG gemessen werden.

Die NATO bildet ein Sicherheitssystem, in dem die Mitglieder "ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit ... vereinigen" (Präambel des NATO-Vertrages). Sie verfolgt dieses Ziel gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages insbesondere dadurch, daß sie einem Angriff gegen eine der Vertragsparteien eine Bündnisverpflichtung entgegenstellt, nach der jede der Vertragsparteien einen solchen Angriff als gegen alle Vertragspartner gerichtet ansehen wird. Dabei beanspruchen die Vertragsparteien für den Bündnisfall, die in Art. 51 SVN anerkannten Rechte individueller oder kollektiver Selbstverteidigung wahrzunehmen. Die NATO dient der Wahrung des Friedens auch dadurch, daß die Vertragsparteien sich nach Art. 1 des NATO-Vertrages verpflichten, Streitfälle, an denen sie beteiligt sind, mit friedlichen Mitteln zu lösen. Sie zeichnet sich überdies durch die Ausbildung hochdifferenzierter integrierter militärischer Kommandostrukturen und die Aufstellung gemeinsamer Verbände BVerfGE 90, 286 (350)BVerfGE 90, 286 (351)vor herkömmlichen Militärallianzen aus und bewirkt damit nicht zuletzt, dass die Streitkräfte der Mitgliedstaaten in einer Weise miteinander verflochten werden, die die Sicherheit unter ihnen selbst erhöht."

NATO und EU können also keine Gewaltanwendung außerhalb ihres eigenen Gebietes legitimieren. Das kann allein die UNO, der dieses Recht von ihren Mitgliedern übertragen worden ist.

Deswegen würde auch der verfassungswidrige Bundeswehreinsatz im Irak nicht dadurch verfassungsgemäß, dass er im Rahmen der NATO stattfinden würde, wie es teilweise vertreten wurde. (Abgesehen davon, dass eine NATO Präsenz im Irak wohl eher eskalierend wirken dürfte..) Art 24 GG eröffnet der Bundesrepublik die Möglichkeit, ihren Rechten und Pflichten im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit nachzukommen und sich innerhalb eines solchen Systems an Einsätzen zu beteiligen, auch wenn es sich nicht um Notwehr oder Nothilfe, also nicht um die Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs handelt.

Da der Irak allerdings weder Mitglied der NATO noch der EU ist, findet ein bewaffneter Einsatz ohne UN Mandat dort eben nicht innerhalb eines Systems kollektiver Sicherheit statt.

Die UN sind damit einzigartig in der weltweiten Geltung des zwischen ihren Mitgliedern vereinbarten Gewaltverbotes.

Wer hingegen meint dieses Gewaltverbot durch eine Koalition der Willigen umgehen zu können, stellt den grundlegenden Konsens der Internationalen Gemeinschaft in Frage und macht den Weg frei für eine Rückkehr zum Recht des Stärkeren.

Eine Koalition der Willigen jenseits eines UN Mandates hat keinerlei Legitimität und beansprucht allein das Recht der eigenen Stärke.

Die Bundeswehr hat sich erstmals 2015 nach den Anschlägen von Paris an einer solchen Koalition der Willigen in Syrien beteiligt. Wie schrecklich auch die Anschläge von Paris gewesen sind und wie ungeheuerlich die Verbrechen des IS: eine Bombardierung Syriens ohne UN Mandat und damit ohne international abgestimmte Strategie verursacht weitere zivile Opfer ohne einen Beitrag zur Lösung des Problems zu liefern. Das ist weder legal noch legitim.

So bitter es ist: nicht die Operation „Inherent Resolve“ hat den IS militärisch zurück gedrängt, sondern das gnadenlose Eingreifen des russischen Militärs auf der Seite des syrischen Regimes. Trotzdem sind über Tausend Zivilisten, davon viele Flüchtlinge, allein nach offiziellen Angaben des US-Militärs von den gut gemeinten Luftangriffen der eigenen Koalition getötet worden.

Auch der Einsatz im Nordirak war eine Koalition der Willigen. Es wird bis heute immer wieder gern behauptet, die Lieferungen von Maschinengewehren an die Peshmerga hätten jesidischen Frauen und Mädchen das Leben gerettet. Spricht man hingegen mit Vertretern jesidischer Verbände, so beklagen diese sich bis heute, dass sie von den Peshmerga im Stich gelassen wurden und dem IS ausgeliefert waren. Letztlich waren es die syrischen Kurden der YPG, die auf Seiten der Jesiden gekämpft haben. Bittere Ironie ist, dass diese Kämpfer aufgrund innerkurdischer Konflikte anschließend gegen die mit deutschen Gewehren ausgerüsteten Peshmerga kämpften.

Das Ablenken von unserer eigenen Hilflosigkeit angesichts schwerer Menschenrechtsverletzungen ist keine Legitimation für die Anwendung militärischer Gewalt. Am Ende kosten diese Militäreinsätze langfristig mehr Menschenleben als sie kurzfristig glauben retten zu können.

Das gilt auch für den Angriff auf Serbien 1999 von dem heute kaum noch jemand ernsthaft behauptet er sei nicht völkerrechtswidrig gewesen. Letztlich wird niemand im Nachhinein mit Sicherheit sagen können wie die Geschichte verlaufen wäre ohne diesen Einsatz. Fakt bleiben aber die 11.000 Menschen, die während der NATO Bombardierung ihre Leben verloren (5.000 Kosovo-albanische, 2.000 serbische Zivilisten und 4.000 jugoslawische Soldaten) und die Tausenden, die in der Folgezeit vertrieben und ermordet wurden. Was hingegen den im Vorfeld befürchteten Völkermord betrifft, ließ der Internationalen Gerichtshof den Anklagpunkt später fallen, weil sich dafür keine ausreichenden Belegen ermitteln ließen.

Auch wenn es in akuten Krisen schwer fällt: wer den Frieden will, muss der rhetorischen Eskalation widerstehen, sachlich analysieren und darf den Schaden nicht noch vergrößern.

Nothilfe

Ruft ein Staat in Not einen anderen militärisch zur Hilfe, so ist dies zunächst formal nicht völkerrechtswidrig. Oft stellt sich in einem Bürgerkrieg bzw. asymmetrischen Konflikt allerdings schon die Frage, wer die international anerkannte Regierung ist, die eine solche Hilfe völkerrechtskonform anfordern kann.

Selbst wenn der Träger der Hoheitsgewalt eindeutig festgestellt werden kann, sind bei einem bewaffneten Konflikt innerhalb eines Staates doch in der Regel diverse internationale Gruppierungen und Interessen anderer Staaten involviert, so dass eine nachhaltige Konfliktlösung von einer international abgestimmten Strategie abhängt.

Es ist daher richtig, wenn Grüne auch bei Hilfeersuchen legitimierten Regierungen ein militärisches Eingreifen von einem UN Mandat abhängig machen.

Militärische Interventionen ohne UN Mandat führen erfahrungsgemäß zu einer weiteren Eskalation und häufig zu Stellvertreterkriegen, Kriegsverbrechen und Verletzung des humanitären Völkerrechts, auch wenn sie von einer anerkannten Regierung angefordert wurden. Abschreckende Beispiele dafür sind die russische Kriegsführung in Syrien und die saudischen Kriegsführung im Jemen.

Ist ein militärisches Eingreifen eines befreundeten Staates in einer Notlage tatsächlich erforderlich, wie in Mali im Januar 2013, so muss die internationale Gemeinschaft und damit der Sicherheitsrat die Situation schnellstmöglich bewerten und entsprechende Beschlüsse fassen. Sobald der Sicherheitsrat einen Beschluss gefasst hat, erlischt auch die Rechtsgrundlage für die bilaterale Nothilfe. So wurde in Mali 2013 unmittelbar nach dem Stopp des Vormarsches der Islamisten auf Bamako durch die französische Armee die UN Mission AFISMA auf den Weg gebracht, die dann später zu MINUNSMA wurde und bis heute von der grünen Bundestagsfraktion mit getragen wird.

Es sei aber an dieser Stelle noch einmal betont, dass die Legalität eines Einsatzes nur ein erforderliches, aber nicht hinreichendes Kriterium für ein militärisches Eingreifen sein kann.

Nicht jeder Militäreinsatz der rechtlich zulässig wäre, ist deshalb auch schon sicherheitspolitisch sinnvoll. Auftrag, Erfolgsaussicht, Wirkung und Verhältnismäßigkeit werden wir immer kontinuierlich kritisch prüfen und hinterfragen. Verursacht ein Militäreinsatz mehr menschliche Verluste ohne dass gleichzeitig eine politische Konfliktlösung zu erkennen ist, so muss er ggf. auch beendet werden und sei er noch so völkerrechtskonform.

Vor diesem Hintergrund kommen grüne Abgeordnete im Falle der Mission „Resolute Support“ Afghanistan zu unterschiedlichen Bewertungen. An der völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Grundlage gibt es hingegen keine Zweifel.

Verantwortung zu übernehmen wird in letzter Zeit gerne gleich gesetzt mit der Bereitschaft zum militärischen Eingreifen. Diese scheinbare Logik greift zu kurz. Verantwortung zu übernehmen kann gleichermaßen bedeuten, einem militärischen Eingreifen zu widerstehen, der eigene Handlungsfähigkeit am Ende nur simuliert und weitere sinnlose Opfer verursacht.

Auch „Uniting for Peace“ ersetzt keinen Beschluss des Sicherheitsrates

Seit dem Missbrauch der Resolution 1973 im Falle Libyens durch die NATO kam es im Sicherheitsrat zu kaum einer Einigung mehr. Als wir dann hilflos und entsetzt vor den Ereignissen in Syrien kapitulieren mussten, suchten viele von uns nach Wegen wie eine Einigung im Sicherheitsrat irgendwie umgangen werden könnte, um doch endlich irgendwie militärisch eingreifen zu können. So wurde die Debatte um die Möglichkeiten einer „Uniting for peace Resolution“ wiederbelebt und in BDK Beschlüssen 2012 und 2014 thematisiert. Leider bietet aber auch dieser Mythos keine Lösung für friedenschaffende Maßnahmen militärischer Art ohne vorherige Einigung im Sicherheitsrat. Um was geht es?

Am 10.01.1950 legte Russland eine Resolution vor, mit der die Anerkennung der chinesischen Exilregierung in Taiwan abgelehnt und dessen Vertreter vom Sicherheitsrat ausgeschlossen werden sollte. Nach Ablehnung dieser Resolution verließ der sowjetische Vertreter unter Protest den SR und blieb ihm bis zum 01.08.1950 fern. Während dieser Abwesenheit eskalierten die abwechselnden Grenzverletzungen zwischen der sowjetischen und der amerikanischen Besatzungszone in Korea.

Am 25.06.1950 verurteilte der SR Nordkorea wegen eines Angriffs auf Südkorea.

Am 27.06.1950 rief der SR die Mitgliedstaaten auf, Südkorea zu unterstützen.

Am 07.07.1950 beschließt der SR eine militärische Mission unter amerikanischer Führung: der Beginn des Koreakrieges.

An 01.08.1950 kehrte der sowjetische Vertreter zur turnusmäßigen Übernahmen des Vorsitzes in den SR zurück und kritisierte die Beschlüsse unter Abwesenheit zweier Vetomächte (RUS und China) als illegal. Man stritt sich darüber, ob die Abwesenheit als Enthaltung oder als Nein zu werten war. Am Ende des Streites entschied die Vollversammlung am 03.11.1950 mit 52 zu 5 die sogenannte „Uniting for Peace“ Resolution:

"…if the Security council, because of lack of unanimity of the permanent members, fails to exercise its primary responsibility for maintenance of international peace and security in any case…. Then the General Assembly shall consider the matter immediately with a view to making appropriate recommendations to Members for collective measures, including in the case of a breach of the peace or act of aggression the use of armed force when necessary, to maintain or restore international peace and security."

Diese Resolution sollte als zusätzliches Argument für das Vorgehen in der Korea Krise dienen, um die rechtlich sehr dünne Grundlage zu stärken. Mit dem Eingreifen der UN Truppen unter dem Befehl des amerikanischen Generals Mac Arthur begann ein Krieg der bis zum Waffenstillstand am 27.07.1953 940.000 Soldaten und 3 Millionen(!) Zivilisten das Leben kostete. Wer sich den Menschrechten verpflichtet fühlt, darf diese Bilanz des damaligen Entscheidungsprozesses nicht vergessen.

Ein Beschluss der UN Vollversammlung wurde danach nie wieder als Legitimation militärischer Gewalt heran gezogen. Zumindest wurde ein zweiter Versuch im Keim erstickt. Sechs Jahre nach Beginn des Koreakrieges im Oktober 1956 griffen Großbritannien, Frankreich und Israel Ägypten an, um die Verstaatlichung des Suez Kanal zu verhindern.

Als im SR ein Aufruf zur sofortigen Waffenruhe beschlossen werden soll, legen GB und FRA ihr Veto ein – sowohl gegen einen amerikanischen als auch gegen einen sowjetischen Entwurf. Daraufhin beantragte Jugoslawien eine Sondersitzung der UN Vollversammlung. In der Debatte distanzieren sich GB und FRA von der „Uniting for Peace“ Resolution von 1950 und argumentieren exakt gegenteilig.

Ein militärisches Eingreifen der UN wurde nicht erforderlich, weil Eisenhower durch US Sanktionen Frankreich, Großbritannien und Israel zum Rückzug zwang.

Seit dem wird “Uniting for Peace” allgemein als politisches Mittel, nicht aber als rechtliches Instrument verstanden. Seit 1950 kam es im Rahmen des „Uniting for peace“ Mechanismus auch nie wieder zur Empfehlung militärischer Zwangsmaßnahmen.

Christian Schaller schreibt dazu in der SWP 37 von 2003:

Die der Generalversammlung unter dem „Uniting for Peace“- Mechanismus zustehenden Kompetenzen beinhalten nicht die Befugnis, rechtsverbindliche Beschlüsse zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu fassen. Resolutionen der Generalversammlung sind im Gegensatz zu Beschlüssen des Sicherheitsrates stets unverbindlich und haben den Charakter von Empfehlungen. Gleichwohl sollte die Bedeutung einer solchen Resolution nicht unter Verweis auf die mangelnde rechtliche Bindungswirkung unterschätzt werden.“

Auch die R2P ist keine zusätzliche Eingriffsermächtigung, sondern eine Konkretisierung der Befugnisse des Sicherheitsrates.

Ein weiterer Versuch die Notwendigkeit einer Einigung der Vetomächte zu umgehen ist das regelmäßig wiederkehrende Missverständnis der Responsibility to Protect.

Aber auch dieses wichtige völkerrechtliche Konzept schafft keine eigene Grundlage für militärisches Eingreifen ohne SR-Beschluss und auch keine über die UN Charta hinausgehenden Interventionsgründe. Das Konzept der R2P ist vielmehr eine notwendige Präzisierung des Nothilferechts im internationalen Rahmen und damit eine Fortentwicklung des bereits geltenden Völkerrechts.

Nach der geltenden UN Charta kann der Sicherheitsrat beschließen, in die Souveränität eines Staates einzugreifen. Der SR kann damit den Grundsatz der Nichteinmischung außer Kraft setzen. Das war schon immer so und bedarf keines neuen Konzepts.

Fraglich war allerdings im Hinblick auf den Wortlaut der UN Charta, ob die Voraussetzungen für einen Beschluss nach Kap VII auch dann vorliegen, wenn sich ein bewaffneter Konflikt nicht zwischen Staaten, sondern auf dem Gebiet eines einzigen Staates abspielt. Die Frage war also, ob auch ein solcher Konflikt eine Gefährdung des Weltfriedens darstellen kann.

Die Antwort auf diese Frage versucht das Konzept der R2P zu geben, in dem dargelegt wird, unter welchen Voraussetzungen der einzelne Staat gegenüber seinen Staatsbürgern und damit auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft sein Recht auf Achtung seiner Souveränität verwirkt hat.

Die R2P konkretisiert die Eingriffsbefugnisse nach der UN Charta, indem sie Tatbestandsmerkmale definiert.

Fakt bleibt in all diesen Fällen, dass es einen Beschluss des SR geben muss. Mit der Berufung auf die R2P lässt sich die UN Charta schlicht nicht aushebeln.

Die missbräuchliche Berufung auf die R2P hingegen hat die UN Institutionen in verheerender Weise geschwächt.

Seit der UN Resolution 1973 vom 17. März 2011 und dem Militäreinsatz der NATO befindet sich der Prozess der Verrechtlichung in einer schweren Krise. Nach Auffassung vieler Friedensforscher und Völkerrechtler (u.a. Prof. Martina Haedrich, Tobias Debiel, Prof. Reinhard Merkel) droht die ungerechtfertigte Verbindung dieses Einsatzes mit dem Prinzip der R2P, dieses auf Dauer zu beschädigen bis hin zum Untergang dieses Rechtsgrundsatzes.

So war die Gefährdungslage in Bengasi im Hinblick auf die vier Kernverbrechen als Voraussetzung der R2P völlig unklar und die Aussicht auf Erfolg insgesamt ungewiss. Die militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone konnte von vorneherein nur dann eine Wirkung im Sinne der R2P entfalten, wenn entweder ein Regime Change oder eine Teilung des Landes in Kauf genommen wurde. Beides kann niemals völkerrechtskonform mit Gewalt herbeigeführt werden.

Die 30.000 bis 50.000 Todesopfer des 8-monatigen Militäreinsatzes machen deutlich was die Grundsätze der R2P mit der „ appropriate balance of consequences“ verhindern wollen: der Schutz der einen setzt nicht den Schutz der anderen außer Kraft.

Weitere Schritte auf dem Weg zur Verrechtlichung

Seit seiner Gründung hat der SR des Öfteren per Resolution in die Souveränität eines Mitgliedstaates massiv eingegriffen. Der SR ist jedoch bislang niemandem Rechenschaft schuldig – auch nicht wenn es darum geht im Nachhinein zu prüfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Intervention tatsächlich vorgelegen hatten.

Grüne Position muss die weitere Verrechtlichung des Verfahrens und damit die Stärkung der UNO und des internationalen Gerichtshofes sein. Alle Bündnispartner müssen angehalten werden, die internationale Gerichtsbarkeit anzuerkennen und den Rechtsweg zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von UN mandatierten Einsätzen zu eröffnen.

Jedem Staat sollte der Rechtsweg gegen einen Beschluss des Sicherheitsrates eröffnet werden.

Vorher sollten wir aber erst einmal die Rechtsschutzlücke im eigenen Land schließen. Bis heute gibt es keine Möglichkeit für Parlamentarier, einen Bundeswehreinsatz vor dem Verfassungsgericht auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Die abschließenden Klagewege im Bundesverfassungsgericht sehen lediglich eine Organklage vor, wenn parlamentarische Rechte verletzt wurden. Wurde allerdings die Verfassung selbst verletzt, gibt es anders als bei Gesetzen gegen einen Mandatsbeschluss kein Rechtsweg. Dies könnten wir mit einfacher Mehrheit ändern, um anschließend umso glaubwürdiger für eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zu werben.

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