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Artikel

Maßnahmenvorschläge zur Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land

Von Jörg-Andreas Krüger, NABU-Präsident, Robert Habeck, Bundesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen und Oliver Krischer, stv. Fraktionsvorsitzender Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ein Aritkel hierzu wurde am am 05. Dezember 2020 in der Süddeutschen Zeitung erstveröffentlicht.

Ziel:

  • Erreichen des notwendigen Klimaschutzbeitrags durch Windenergie an Land
  • bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Artenschutzes.

1. Strommengenbezogene Ausbauziele für Erneuerbare definieren

  • Um eine Zielerreichung im Einklang mit den klima- und naturschutzpolitischen Verpflichtungen zu gewährleisten, ist eine verbindliche Bund-Länder-Strategie erforderlich. Sie muss bundesweite und länderspezifische Strommengenziele für erneuerbare Energien inklusive Aufteilung auf die einzelnen Energiearten definieren. Um eine ausgewogene Energieversorgung zu gewährleisten, muss dabei in jedem Bundesland ein Mindestanteil an Windstrom enthalten sein. Dies muss in der anstehenden EEG-Novelle entsprechend berücksichtigt und konkretisiert werden.
  • Um die unterschiedlichen Potenziale der einzelnen Bundesländer für erneuerbare Energien zu berücksichtigen, ist ein Bonus-Malus-System zu prüfen, über das Länder mit überproportionalem Anteil an Erneuerbaren-Stromproduktion profitieren könnten.
  • Diese Strommengenziele müssen nachvollziehbar und bedarfsorientiert sein, damit sich daraus die Systemrelevanz und die Möglichkeit für die Anwendung des artenschutzrechtlichen Ausnahmegrunds „öffentliche Sicherheit“ ableitet. Dazu sind das Klimaschutzgesetz, das EEG (im Besonderen § 1 Abs. 2 Satz 2 zu konkretisieren), evtl. auch EnWG und BauGB entsprechend anzupassen, um den rechtssicheren Ausbau der erneuerbaren Energien in ihrem Zuständigkeitsbereich zu unterstützen.

2. Flächendeckende Umsetzung der Strommengen in übergeordneter Raumplanung

  • Um die entlang der jeweiligen regionalen Potenziale festgelegten EE-Strommengenziele zu erreichen, sind in allen Bundesländern ausreichend geeignete Flächen für Windenergie als Vorrang- bzw. Eignungsgebiete auszuweisen. Die dafür notwendige Fläche ergibt sich aus den Strommengen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass für den aus Windenergie zu erzeugenden Strom eine Ausweisung von Vorrang- bzw. Eignungsgebieten auf etwa 2 % der Landfläche Deutschlands ausreicht.
  • Windenergie muss in allen Bundesländern mindestens auf Regionalebene übergeordnet und verbindlich geplant werden. In Bundesländern, in denen derzeit keine übergeordnete Regionalplanung für Windenergie vorgesehen ist, kann alternativ eine übergeordnete Flächenplanung für Windenergie im Zuge einer Fachplanung erfolgen.
  • Im Kontext Artenschutz gilt, dass Vorranggebiete für Windenergie gleichzeitig den Ausschluss der Errichtung von Windenergieanlagen außerhalb dieser Flächen bedeuten. Dies ist insbesondere wichtig, um im Rahmen einer artenschutzrechtlichen Ausnahmeprüfung die Alternativlosigkeit des Standorts nachweisen zu können.
  • Die Sicherung der Umsetzung der Strommengenziele in Flächenziele und die Ausweisung der erforderlichen Flächen sollte mit dem Koordinierungsmechanismus im EEG verbunden werden. Flächenausbauziele sollen im entsprechenden Fachrecht festgeschrieben werden. Eine Änderung des Raumordnungsgesetzes, das die Aufgaben, Leitvorstellungen, Grundsätze und Bindungswirkung bundesweit vorgibt, soll Rechtssicherheit für Flächenausbauziele schaffen.
  • Die Bundesnetzplanung ist an die vereinbarten Strommengen und Stromproduktionsstandorte anzupassen, sollte dies notwendig werden.
  • Als Hilfestellung für die Flächenplanung der Bundesländer erstellt der Bund einen bundesweiten Atlas der Windhöffigkeit und Empfehlungen für die angemessene Berücksichtigung von Raumrestriktionen bei der Ermittlung von Windpotenzialflächen. Als Raumrestriktionen sind dabei insbesondere Dichtezentren WEA-sensibler Vogelarten und besonders wichtige Lebensräume von Fledermausarten zu berücksichtigen.
  • Um die Akzeptanz für die Ausweisung von Eignungs- und Vorranggebieten für Windenergie vor Ort zu erhöhen, ist eine attraktive Windprämie zur Beteiligung der betroffenen Kommunen an der Wertschöpfung zu prüfen.

3. Stärkung von Regionalplanung und Genehmigungsverfahren

  • Um zu verhindern, dass Regionalpläne aufgrund von Formfehlern immer wieder beklagt werden oder in jahrelanger Überarbeitung feststecken, sind Regelungen für den Planerhalt (Heilbarkeit von Formfehlern) zu schaffen.
  • Für bessere und schnellere Genehmigungsverfahren sollten diese nach Möglichkeit auf übergeordneter Ebene (Bundesland- bzw. Bezirksebene anstatt auf Ebene der Gemeinden oder Landkreise) konzentriert und die entsprechenden Behörden mit ausreichend qualifiziertem Personal ausgestattet werden. Wo dies zu unverhältnismäßigen Umstellungsverzögerungen führen würde, ist alternativ die Stärkung der Kapazität derjenigen Genehmigungsbehörden notwendig, in deren Bereich vermehrt Eignungs-/Vorranggebiete ausgewiesen wurden, in Kombination mit der Einrichtung von Servicestellen auf Landes- oder Bezirksebene zur Genehmigungsunterstützung speziell für Windenergie. Ziel muss sein, alle Anträge in der im BImSchG (§ 10 Abs. 6a) vorgesehenen Frist ab Einreichung vollständiger Unterlagen zu bescheiden.
  • Um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, soll ein Stichtag für die maßgebliche Sach- und Rechtslage eingeführt werden und dazu das Verwaltungsverfahrensgesetz entsprechend angepasst werden. Dieser Stichtag muss in angemessenem Abstand zwischen der vollständigen Einreichung der Genehmigungsunterlagen und der Genehmigungsentscheidung liegen. Nach dem Stichtag, aber vor der Entscheidung neu eintretende Sachverhalte (z.B. die Ansiedlung zusätzlicher Vogelarten), können dann nicht mehr zur Versagung der Genehmigung führen, müssen aber weiterhin vermieden oder kompensiert werden. Dies soll eine maßgebliche Überarbeitung der Planungs- und Zulassungsunterlagen oder die Wiederholung von Beteiligungsschritten durch zwischenzeitlich auftretende faktische Änderungen der Sachlage vermeiden.

4. Vereinheitlichung des Bewertungsmaßstabs für ein „signifikant erhöhtes Tötungsrisiko“ betroffener Individuen windenergiesensibler Arten

  • Eine einheitlichere Anwendung des besonderen Artenschutzrechts in Bezug auf das Tötungsrisiko von Individuen durch Kollision im Genehmigungsverfahren dient der Planungs- und Rechtssicherheit sowie der Verfahrensbeschleunigung. Zentrales Ziel ist eine untergesetzliche Maßstabsbildung mit Behördenverbindlichkeit. Sie ist dabei auch die Voraussetzung für einen rechtsicheren und nachvollziehbaren Weg bis hin zur artenschutzrechtlichen Ausnahme gemäß § 45 BNatschG, in der der Fokus vom einzelnen Individuum zur Betrachtung der betroffenen Population wechselt.
  • Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet gerade Leitlinien für einheitliche Erfassungs- und Bewertungsmethoden und die zugehörigen Schwellenwerte. Neben der fachlichen Korrektheit des Leitfadens ist sicherzustellen, dass dieser Leitfaden in allen Ländern angemessen umgesetzt wird, damit die erforderliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden kann.

5. Freihalten von Dichtezentren besonders konfliktträchtiger WEA-sensibler Vogelarten durch die Regionalplanung, im Gegenzug Ermöglichung artenschutzrechtlicher Ausnahmen in ausgewiesenen Vorranggebieten

  • Um den Schutz von Populationen windenergiesensibler Vogelarten zu gewährleisten, sind deren Schwerpunktvorkommen, sog. Dichtezentren, bereits auf Ebene der Regionalplanung oder in Form von eigenen Fachplänen als Ausschlussgebiete zu berücksichtigen.
  • Im Gegenzug ermöglicht dies die Erteilung von artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen in ausgewiesenen Windeignungs- bzw. Vorranggebieten außerhalb der Dichtezentren. Kommt es dort zu artenschutzrechtlichen Konflikten, die nicht mit zumutbaren Schutzmaßnahmen lösbar sind, kann in Verbindung mit populationsstützenden Maßnahmen von der artenschutzrechtlichen Ausnahme Gebrauch gemacht werden.

6. Nutzung der artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung in den mittels Regionalplänen ausgewiesenen Windeignungsgebieten bei gleichzeitiger Sicherung der Erhaltungszustände der betroffenen Arten durch koordinierte Schutzprogramme (Artenhilfsprogramme)

  • Trotz der Berücksichtigung WEA-sensibler Arten bei der Ausweisung von Eignungs- bzw. Vorranggebieten auf der Ebene der Regionalplanung (Freihalten von Dichtezentren und bekannten Vorkommen), können auf der Ebene der Genehmigung gleichwohl artenschutzrechtliche Konflikte auftreten, die nicht mit zumutbaren Schutzmaßnahmen lösbar sind. In solchen Fällen ist die Nutzung der artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatschG sinnvoll.
  • Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatschG müssen eindeutig geklärt werden, um eine regelmäßige rechtssichere Anwendung in der Praxis zu ermöglichen, die den Artenschutz sicherstellt.
  • Eine wichtige Ausnahmevoraussetzung ist die garantierte Nicht-Verschlechterung der betroffenen Population. Diese ist am besten durch verursacherfinanzierte Maßnahmen zur Populationsstützung (FCS-Maßnahmen) in Verbindung mit öffentlichen Artenhilfsprogrammen (AHPs) sowie einem staatlichen Monitoring zur Bestandsentwicklung abzusichern.
  • Die Artenhilfsprogramme dienen dabei zur stärkeren Bündelung von Eingriffs- und Ausgleichsmaßnahmen im Sinne der Eingriffsregelung (§§ 13 ff BNatSchG) und für vorgezogene Vermeidungs-, CEF- und FCS-Maßnahmen im Sinne des Artenschutzrechts (§§44, 45 BNatSchG). Insbesondere durch den Populationsbezug bei der artenschutzrechtlichen Ausnahme sind Maßnahmen eines Artenhilfsprogramms dazu geeignet, im Vorfeld entwickelt und umgesetzt zu werden.
  • AHPs sind auf mindestens derselben räumlichen Ebene wie die übergeordnete Windenergieplanung (Regional- und Landesebene) umzusetzen. Dies ermöglicht die konzentrierte Umsetzung populationsstützender Maßnahmen in von WEA großräumig freigehaltenen Gebieten. Die negativen Auswirkungen von räumlich konzentrierten Einzelvorhaben könnten mit der Schaffung größerer, geschützter, unter Gesichtspunkten des Arten- und Habitatschutzes wertvollerer Gebiete anderorts aufgewogen werden. Dies kann naturschutzfachlich gesehen deutlich effektivere Auswirkungen auf den Erhalt der Arten haben. Im Rahmen der Ausnahmeerteilung können diese Synergieeffekte bei der Ausnahmevoraussetzung „keine Verschlechterung des Erhaltungszustandes“ (§ 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG) berücksichtigt werden.

7. Repowering erleichtern

  • Repowering muss genutzt werden, um eine gewisse Anlagenneuordnung zu gestalten. Anlagen, die aus artenschutzrechtlicher Sicht an besonders kritischen Standorten stehen, werden stillgelegt, im Gegenzug werden andere Anlagen an weniger kritischen Standorten begünstigt.
  • Die Begünstigung besteht darin, dass entsprechende Standorte im Rahmen der übergeordneten Windenergieplanung als Eignungs- bzw. Vorranggebiete ausgewiesen werden, während dies für kritische Standorte nicht geschieht. Damit wird im Falle auftretender artenschutzrechtlicher Konflikte die Anwendung der artenschutzrechtlichen Ausnahme ermöglicht.

8. Technische Möglichkeiten zur Kollisionsvermeidung besser nutzen und zur Anwendung bringen

  • Innovative Technikansätze können dabei helfen, die negativen Auswirkungen auf windenergiesensible Tierarten effizient zu vermindern. Entsprechende Detektionssysteme (z.B. Kamera oder Radar) zur automatischen Vogelerfassung und eine darauf basierende ereignisbezogene Abschaltung können in bestimmten Konfliktlagen das Kollisionsrisiko von Vögeln an Windenergieanlagen reduzieren. Einige dieser Systeme stehen kurz vor der Markteinführung.
  • Die Erforschung, standardisierte Erprobung und Zertifizierung entsprechender Systeme ist zu fördern. Erprobte und zertifizierte Systeme sind in den maßgeblichen Leitfäden und Erlassen von Bund und Ländern als wirkungsvolle Schutzmaßnahmen anzuerkennen, die geeignet sind, ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko zu vermeiden.
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