Zum Seiteninhalt springen
Artikel

„Man muss die Strategie im Umgang mit Rechts völlig neu erfinden“

Der Dramaturg Bernd Stegemann hat ein Buch über den Populismus geschrieben. Ein Gespräch über die Rhetorik von Politikern, was sich diese vom Theater abgeschaut haben – und warum Empörung nichts bringt.

Warum interessieren Sie sich als Theatermensch für den Populismus?

Das Theater ist diejenige Kunstform, die sich seit 2.500 Jahren mit Populismus beschäftigt. Es ist kein Zufall, dass die griechische Tragödie und die attische Demokratie nahezu zeitgleich erfunden wurden. Die Rhetorik der Politiker ist ebenso wie die der tragischen Theaterfiguren ein Lehrstück über jene Macht, die durch die rhetorische Beeinflussung des Demos entsteht. Von daher hat das Theater seit seiner Geburtsstunde ein besonderes Verhältnis zu den Techniken, die man braucht, um eine große Menge von Menschen zu einem Publikum bzw. zu einem Volk zu vereinen. Und es hat bei der Erfindung zahlreicher Mittel, derer sich Populisten auch heute noch bedienen, mitgewirkt. Aber es hat sie zugleich immer wieder kritisiert oder lächerlich gemacht.

Ein solches Mittel ist zum Beispiel die Vereinfachung von komplexen Sachverhalten.

Die These von der Vereinfachung geht tatsächlich auf die antike Tradition zurück. In der Tragödie wird ein komplizierter gesellschaftlicher Widerspruch in einen konkreten Konflikt zwischen zwei Parteien gebracht. Das Besondere an diesem tragischen Konflikt ist, dass beide Parteien, wie etwa Kreon und Antigone, ihre Haltung so sehr zugespitzt haben, dass ein Kompromiss unmöglich wird. Am Ende ist Antigone tot, Kreon todunglücklich. Die Tragödie zeigt also die Vereinfachung und ihre Folgeerscheinungen.

Christian Lindner wirft nach langen Verhandlungen hin, die CSU beharrt stur auf ihrer Obergrenze: Auch in der Politik findet man überall Beispiele für kompromisslose Standpunkte und die Verkürzung von Problemlagen.

Ja, absolut. Spannend ist, dass es ganz verschiedene Arten von Populismus gibt. Im Moment ist der Rechtspopulismus am sichtbarsten. In Südamerika finden sich jedoch auch zahlreiche linkspopulistische Politiker, wie zum Beispiel Maduro oder Morales. Den Regierungsstil von Angela Merkel bezeichne ich als liberalen Populismus. Er behauptet alternativlos zu sein, da er die Kräfte des Marktes zu kennen meint. Das Praktische für die Mächtigen dabei ist: Wer es nicht schafft, ist selbst schuld.

Den rechten Populismus sehen Sie hingegen als Symptom einer in die Schieflage gekommenen liberalen Demokratie. Wieso?

Er nutzt den durch die liberalen Populisten veränderten öffentlichen Raum. Wenn immer mehr Themen nach Logiken der Alternativlosigkeit und der Vereinzelung verhandelt werden, dann bekommen auch immer mehr Menschen den Eindruck, dass ihre Stimme entwertet worden ist. Und offensichtlich ist der Unmut über den Alleinvertretungsanspruch der liberalen Populisten bei vielen Menschen so sehr gewachsen, dass sie ihre Intensität im Protest immer weiter erhöht haben. Die Eurokrise und die Migrationsbewegungen haben dabei wie Brandbeschleuniger gewirkt.

Das Aufeinandertreffen von Verfechtern der liberalen Demokratie und Rechtspopulisten beschreiben Sie in Ihrem Buch als Tragödie, in der „beide Seiten gleichermaßen Recht haben, und darum untergehen müssen“. Wie meinen Sie das?

Damit habe ich zunächst erst einmal die Kernaussage der Tragödie beschrieben. Der zivilisatorische Gewinn des antiken Theaters bestand ja gerade darin, sich die Interaktion von zwei verfeindeten Lagern anzuschauen und daraus für die politische Auseinandersetzung zu lernen. Und nun konkret und auf heute bezogen: Im Umgang mit rechter Politik stehen vor allem die Linksliberalen in der Gefahr, dass sie es zu einer tragischen Konfrontation kommen lassen. Ihre alte Formel „kein Raum für Rechts“ war der – in der Vergangenheit oftmals erfolgreiche – Versuch, eine scharfe Grenze zu ziehen. Die verlautbarten Tabus haben die Rechten inzwischen, vor allem auch mittels Internet und Social Media, effektiv ausgehebelt. Sie provozieren ständig Grenzverletzungen. So macht die AfD im Aufmerksamkeitstheater alle zu unfreiwilligen Mitspielern für ihre eigene Sichtbarkeit. Das ist eine konkret tragische Situation für Links, aus der es nur einen Ausweg gibt: Man muss die Strategie im Umgang mit Rechts völlig neu erfinden.

Grenzziehungen wirken also nicht mehr, und auch Bunkermentalität hilft nicht, um den Rechtspopulisten beizukommen. Liegt dann die Lösung in der Entlarvung der falschen Versprechen der Rechtspopulisten?

Nein. Wer einer politischen Überzeugung anhängt, ist nicht dadurch umzustimmen, dass ihm seine Widersprüche vorgeführt werden. Ich glaube, dass das linke Spektrum deutlich mehr Kontur gewinnen muss. Dazu gehört vor allem, sich aus der neoliberalen Umklammerung der CDU zu lösen. Denn: Man kann eine Gesellschaft emanzipierter machen, ohne zugleich dem Neoliberalismus zuzuarbeiten. Erst wenn diese Möglichkeit offenbar wird, sind die Projekte von links für die meisten Menschen verlockender als die von rechts. Beispiele lassen sich in allen Bereichen finden: Nehmen wir die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Sie sollte eben nicht dazu dienen, dass Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter je nach Auftragslage mal länger und mal kürzer arbeiten lassen. Sondern Teil der Arbeitnehmerrechte sein, freier über die eigene Arbeitszeit bestimmen zu können. Eine solche Veränderung interessiert sehr viel mehr Menschen als die Frage des Familiennachzugs von Flüchtlingen.

Und wie könnte der demokratische Diskurs wieder konstruktiver gestaltet werden?

Der Abstand zwischen den offiziellen Politiker-Statements der etablierten Parteien und den Gesprächen im persönlichen Umfeld hat sich ja immer weiter vergrößert. Früher waren es die GRÜNEN, die die Menschen mobilisiert haben. Heute kommen die Graswurzelbewegungen von der Rechten, wie z. B. Pegida oder die Gründung eines identitären Hauses in Halle. Darauf muss viel konkreter reagiert werden. Doch wo sind bitte die eigenen Zukunftsvorstellungen, die auf linker Seite dazu führen, dass Menschen jeden Montag in der Innenstadt demonstrieren? Damit meine ich natürlich nicht Gegendemonstrationen. Es irritiert mich, wenn heute die größte Motivation für linke Proteste darin besteht, gegen Rechts zu demonstrieren.

Um welche Inhalte könnte es bei der Formulierung von positiven Zukunftsbildern gehen?

Der politische Diskurs muss viel breiter geführt werden. Wir müssen wieder größer denken und dürfen vor politischen Utopien nicht so sehr zurückschrecken. Der sachliche Ton des Tagesgeschäfts hat zu einer Entwertung aller Pläne geführt, die sich nicht gleich in eine Verwaltungsvorschrift umsetzen lassen. Ich frage mich: Wieso ist die Frage nach den Eigentumsverhältnissen heute so tabuisiert? Und: Warum wird das Kapital nicht dazu gezwungen, weniger zu akkumulieren und mehr umzuverteilen? Schließlich könnte auch über die Frage des Grundeinkommens realistisch gestritten werden.

Somit sind wir bei der Debattenkultur angelangt. Was sollte sich hier Ihrer Meinung nach ändern?

Ich bin erklärter Gegner von Podien, bei denen die Vertreter einer politischen Richtung über die Abwesenden urteilen. Nicht nur deswegen finde ich Ausladungen von rechtsnationalen Politikern, an denen auch Theater beteiligt waren, grundfalsch. Populismus war immer ein Teil der Demokratie. Und wer vor ihm wegläuft, spielt den Rechten doch nur in die Hände. Weil sie sich dann nicht mehr im Dialog beweisen müssen und sich sehr wirkungsvoll als „Opfer“ inszenieren können. Diesen Nimbus gilt es zu zerstören. Daher sollte man sich selbstbewusster geben und in guter alter politischer Tradition die eigene Position im Konflikt schärfen. Es wäre doch interessant, wenn Katja Kipping Alice Weidel trifft, Robert Habeck Alexander Gauland und Sahra Wagenknecht Angela Merkel. Hier halte ich es wie Hegel: Wie bei jeder guten dramatischen Situation würde so das (inhaltlich) Trennende durch das Gemeinsame (ein geteiltes Forum) deutlich.

Doch die Populisten als solche zu bezeichnen und so ihre Ideen abzuwerten ist ein starkes Bedürfnis. Was sollte man sonst tun?

Wie alle rhetorischen Keulen nutzt sich auch diese schnell ab und fällt irgendwann auf den zurück, der sie schwingt. Dieser Punkt scheint erreicht. Mein Rat wäre, weniger moralische Empörung über die anderen und mehr konkrete Konfrontation aufgrund eigener Ideen.

Und Ihr Rat für innerparteiliche Auseinandersetzungen?

Mehr Mut zur Differenzierung! Linke Politik muss wieder stärker unterscheiden, aus welcher Quelle gewisse Aussagen getätigt werden. Wenn zum Beispiel eine betuchte Bürgerin aus Blankenese den Bau einer Flüchtlingsunterkunft verbieten will, weil dort die Rohrdommel brütet, so ist das eindeutig Rassismus. Wenn das hingegen eine offensichtlich arme Rentnerin aus Hellersdorf tut, mit der Begründung, dass dort alle Spülmaschinen hätten und sie nicht, dann speist sich das wohl eher aus einem Gefühl der Ungleichbehandlung. Wer beide Proteste mit dem selben moralischen Maßstab beurteilt, ignoriert die unterschiedlichen Herkünfte und ihre Privilegien bzw. Bedürfnisse.

Zu guter Letzt: Hat das Theater heute noch gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch?

Ich glaube, Theater hatte nur selten einen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch. Theater wollen vielmehr Teil der Aufklärung sein. Sie führen bekannte Konflikte so vor, dass man beim Zuschauen etwas über die unbekannte Seite erfährt. Die brechtsche Einsicht, dass in jedem menschlichen Widerspruch auch ein gesellschaftlicher verborgen ist, kann Theater zu einem Erkenntnis- und Unterhaltungsmoment für das Publikum machen.

Bernd Stegemann

Bernd war Chefdramaturg der Berliner Schaubühne, für die er noch immer als Gastdramaturg arbeitet, ebenso wie für das Berliner Ensemble. In seinen Texten und Büchern kritisiert er immer wieder scharf das Theater – aber auch allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen. Zuletzt veröffentlichte er das Buch „Das Gespenst des Populismus“.
Teilen: