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Artikel

Legt euch nicht mit der Natur an

Was für eine Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Jakob von Uexküll, Stifter des Alternativen Nobelpreises, fordert eine radikale ökologische Modernisierung – denn klein zu denken, hilft nicht mehr.

Vor 25 Jahren schrieb der damalige US-Vizepräsident Al Gore in seinem Buch „Earth in the Balance“, die ökologische Herausforderung sei so zentral, dass jedes politische Programm, jedes Gesetz, jedes Abkommen, jeder Plan, jede Institution unter diesem Aspekt neu durchdacht und bei Bedarf verändert werden müsse. Wie wir wissen, ist nichts Vergleichbares geschehen, sodass diese Herausforderung jetzt noch viel dringender und schwieriger geworden ist.

Leider ist die Kluft zwischen der derzeitigen ökologischen Modernisierungs-Politik – und auch weitergehenden „politisch realistischen“ Plänen – und dem Minimum, was nötig wäre, um unsere gemeinsame Zukunft und eine gesunde Erde zu sichern, noch immer enorm. Die Pariser Klimaziele sind meiner Meinung nach nicht nur rechtlich unverbindlich, sondern ungenügend, um einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern, und beruhen außerdem teilweise auf ungeprüften Technologien. Was sind die Ecksteine einer dringend notwendigen ökologischen Modernisierung?

1. Geld regiert nicht mehr die Welt

Noch immer wird erwartet, dass alle Vorschläge finanziell „realistisch“ und „bezahlbar“ sein müssen. Heißt das, wir können es uns nicht leisten, auf dieser Erde zu leben? Aber alles, was wir tun können, können wir natürlich auch finanzieren. Privates Geld wird nicht ausreichen, denn dieses verlangt Renditen, die die ökologische Modernisierung unter den jetzigen Rahmenbedingungen oft nicht bringen kann. Die Abwälzung (Externalisierung) vieler Produktionskosten auf Umwelt und Nachwelt hat enorme Schulden verursacht, die die meisten Unternehmen in den Bankrott treiben würden, wenn diese plötzlich bezahlt werden müssten. Überschuldete Staaten werden die ökologischen Transformationen auch nicht allein finanzieren können, sondern – wie in der Finanzkrise – nur mit Hilfe der Zentralbanken, die neues Geld sofort schaffen (drucken) können. Was machen wir mit den enormen fossilen Reserven, die aus Klimaschutzgründen nicht verbrannt werden dürfen, aber große finanzielle Werte darstellen, für Staaten, Investoren, Sparer, die für die Erhaltung dieser Werte kämpfen werden? Es gibt nur eine realistische Lösung: Die Zentralbanken können und müssen diese Reserven kaufen, also vom Markt nehmen, unter der Bedingung, dass die Erlöse in die Produktion erneuerbarer Energien und anderer Projekte der ökologischen Modernisierung investiert werden. Wie dies konkret geschehen kann, hat der Chefökonom des World Future Council, Matthias Kroll, in zwei Studien detailliert beschrieben.

2. Ökologische Steuerreform

Ohne eine tiefgreifende ökologische Steuerreform wird die ökologische Modernisierung scheitern. Die kanadischen GRÜNEN haben dazu ein umfassendes Modell entwickelt. Öko-Steuern belasten schädliche und unsoziale Aktivitäten, aber die potenziellen Nettoeinnahmen werden oft überschätzt, da Steuern diese Aktivitäten reduzieren werden (und sollen). Auch die Einführung einer sogenannten Tobin-Steuer auf spekulative Finanztransaktionen würde diese – wie von James Tobin erwünscht – stark reduzieren. Die Abschaffung von Subventionen auf fossile Brennstoffe wird auch Kosten verursachen, um denen zu helfen, die von diesen Subventionen leben. Als Jordanien Benzinsubventionen strich, fielen die Einkommen der Taxifahrer um zwei Drittel. Wir müssen wieder gemeinschaftlich denken und dafür sorgen, dass Gewinne aus gemeinschaftlichen Aktivitäten der Gemeinschaft zufließen. Zum Beispiel die Wertgewinnung von Bauland durch Erschliessung des Umlands. Auch die Gewinne aus der Erschliessung der „global commons“ (Ozeane, Weltall etc.) können die ökologische Modernisierung finanzieren.

3. Energiewende

100 Prozent erneuerbare Energien sind möglich und dringend nötig, erfordern aber nicht nur massive Forschungsinvestitionen, um Wissenslücken zu überwinden (z.B. Speicherkapazitäten und um eine erhöhte Konzentration der erneuerbaren Energien zu erreichen), sondern auch Aufklärung, dass Rechte auch Pflichten und Verantwortlichkeiten beinhalten. Es gibt kein Menschenrecht auf etwas Unmögliches! Zum Beispiel ein Recht auf Energie, wenn man den Ausbau der erneuerbaren Energien blockiert.

4. Verkehrswende

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die private Autoproduktion und der Verkehr in Großbritannien und USA innerhalb von Monaten massiv reduziert. Momentan wird die konkrete Bedrohung, die zu solchen Maßnahmen führen könnte, nicht wahrgenommen, ohne finanzielle Anreize und einen schnellen Ausbau von Alternativen. Da die Finanzierung – wie oben ausgeführt – machbar ist, fehlt nur der politische Wille. Die Idee der Bundesregierung für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr zeigt, wie zuvor der Atomausstieg, wie schnell politisch Unmögliches möglich werden kann.

5. Regenerative Städte

Der World Future Council (WFC) hat in den letzten zehn Jahren eine Reihe von Konzepten entwickelt, wie aus einer „Petropolis“ eine „Ökopolis“ werden kann. Diese werden jetzt in China erprobt, zum Beispiel in Zhuhai City und Yuncheng City. In Australien hat WFC-Ratsmitglied Herbert Girardet für Adelaide über 30 Schritte zu einer nachhaltigen Stadt entwickelt und geholfen, diese umzusetzen. Bekanntlich verursacht die Zementproduktion einen bedeutenden Teil der CO2-Emissionen. Hierzu werden unter anderem in Dänemark Alternativen entwickelt. Design und Produktion müssen neu gedacht und gesetzlich verankert werden, um eine echte Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen. Das japanische Top Runner-Prinzip entfernt laufend ineffiziente Produkte vom Markt. Die Cradle to Cradle-Methodologie zeigt, wie wir ökologisch produzieren können, aber ihre Ziele müssen verbindlich werden.

6. Agrarwende

Die IAAST-Studie der UN (International Assessment of Agricultural Science and Technology) unter Leitung des Alternativen Nobelpreisträgers Dr. Hans Herren hat detailliert belegt, wie eine integrierte agro-ökologische Landwirtschaft die Menschheit ernähren kann, ohne ihre Zukunft zu gefährden.

7. Interessen zukünftiger Generationen schützen

Unsere Vorfahren hatten Institutionen, die dafür sorgten, dass die Interessen nachkommender Generationen bei der Beschlussfassung nicht ignoriert wurden. In Nordamerika gab es das Prinzip der „siebten Generation“: Die Folgen aller Beschlüsse auf die nächsten sieben Generationen mussten berücksichtigt werden. Im vorkolonialen Indien gab es entsprechende „Räte der Seher in die Zukunft“. Der WFC hilft heute solche Institutionen wieder einzurichten und zu verbreiten. Das beste Konzept entwickelte bisher Wales. Das entsprechende Gesetz verpflichtet alle Behörden in Wales, mit Unterstützung des neuen Kommissars für Zukünftige Generationen langfristig und nachhaltig zusammenzuarbeiten und zu planen. Auf UN-Ebene hat der WFC in Rio im Jahr 2012 einen „UN Global Guardian For Future Generations“ vorgeschlagen, und arbeitet seitdem mit Unterstützung mehrerer Länder, unter anderem auch der Bundesregierung, an der Umsetzung.

8. Sicherheit

Die größte Bedrohung unserer Sicherheit ist jetzt ein ökologischer Zusammenbruch, denn Naturgesetze können nicht abgeschafft werden. Der WFC hat in einer Studie von Prof. Jürgen Scheffran auf die vielen vernetzten Gefahren hingewiesen. Wie wird zum Beispiel der Atomstaat Pakistan reagieren, wenn dort die Gletscher schmelzen und das Trinkwasser fehlt? Die ökologische Modernisierung wird auch auf militärische Kapazitäten angewiesen sein, um die enormen logistischen Herausforderungen dieses Projektes zu bewältigen, wie zum Beispiel den weltweiten rapiden Ausbau der erneuerbaren Energien. Wie der WFC in einer Studie errechnet hat, ist die tägliche Nichtnutzung dieser Energien eine enorme Verschwendung von Naturkapital.

9. Politik und Demokratie

„Wir wissen, was zu tun ist, aber nicht, wie wir danach die nächste Wahl gewinnen.“ „Wir können den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben sollen“. Was werden unsere Enkel denken, wenn sie solche Aussagen heutiger Politiker lesen? Demokratie ist nicht die Diktatur der Mehrheit, sondern beinhaltet auch den Schutz von Minderheiten, und muss heute auch den Schutz zukünftiger Generationen mit einbeziehen, die – wie nie zuvor – gefährdet sind. Das ist nicht „Öko-Diktatur“, sondern „Öko-kratie“, d.h. eine Demokratie innerhalb ökologischer Rahmenbedingungen. Sie ist die Voraussetzung für das Gelingen einer ökologischen Modernisierung.

10. Wir alle

Es geht bei der ökologischen Modernisierung nicht um Maßnahmen „von oben“ oder „von unten“, sondern um ein gemeinsames Projekt, das uns alle fordert. Ohne Zweifel werden die Modernisierer hierfür Macht brauchen und erkämpfen müssen, im Sinne von „power to“ und „power for“ (Martin Luther King) statt „power over“. Denn, wie Winston Churchill sagte: „In einer Krise reicht es nicht, unser Bestes zu tun. Wir müssen tun, was notwendig ist“. Wir sollten dabei Klartext reden. An den Straßen nach Texas stehen Schilder mit der Aufschrift „Don’t mess with Texas“ („Leg Dich nicht mit Texas an!“) als Teil einer Kampagne, dort keine Abfälle zu hinterlassen. Es hieß zuerst, die Aufforderung sei zu harsch und man sollte doch „Please don’t mess with Texas“ schreiben, aber die Behörden haben sich für Klartext entschieden, mit großem Erfolg: Die Abfälle in der Natur sind um 80 Prozent zurückgegangen.

Zum Schluss

Ich bin Realist und „Possibilist“. Ich befürchte, die ökologische Modernisierung wird erst kommen, wenn die Naturgesetze uns dazu zwingen, was sie viel schwieriger und chaotischer machen wird. Die deutschen GRÜNEN als weltweit einflussreichste ökologische Partei können aber diesen Prozess beschleunigen, wenn sie das ökologische Primat wieder stärker ins Zentrum ihrer Politik stellen. Denn es gibt heute weltweit zwei verschiedene Grundmodelle dieser Modernisierung: das Grüne und das Chinesische. Zurzeit scheint das letzte mehr Erfolg zu haben: „Der Himmel über Chinas Hauptstadt ist in letzter Zeit fast unvorstellbar klar gewesen, was wir teilweise Regierungsmaßnahmen gegen die Verwendung fossiler Brennstoffe zu verdanken haben.“ (The Guardian, 22.2.18).

Jakob Von Uexküll

Jakob hat 2007 das World Future Council und 1980 die Right Livelihood Foundation gegründet, eine Stiftung, die jedes Jahr den Alternativen Nobelpreis verleiht. Der Journalist und Schriftsteller saß im Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland und für die GRÜNEN im Europäischen Parlament. Sein neuestes Buch „Zukunft gestalten: JETZT“ ist im Oktober 2017 erschienen.
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