Appell

Keine Gewalt gegen Frauen - Solidarität mit den Frauen in Polen und der Türkei

Hier findest Du den Appell auf Deutsch

Häusliche Gewalt trifft ihre Opfer dort, wo sie eigentlich geschützt und sicher sein sollten: in ihrem eigenen Zuhause. Häusliche Gewalt ist ein globales Problem und es trifft vor allem Frauen und Mädchen. Überall. 2019 sind allein in Deutschland 267 Frauen getötet worden, 542 haben einen Tötungsversuch überlebt. Und das sind nur die Fälle, die es in die Polizeistatistik geschafft haben. Die Dunkelziffer noch höher.

Die Corona-Pandemie droht die Lage noch zu verschärfen. Durch Ausgangsbeschränkungen und Lockdowns steigt in vielen Familien aufgrund des engen Zusammenlebens das Konflikt- und Aggressionspotential. Durch die Kontaktbeschränkungen ist es gleichzeitig für viele Frauen schwieriger geworden Hilfsangebote zu nutzen. In einer Beratungsstellen anzurufen, während sich der gewaltbereite Partner in der Wohnung aufhält, ist oft unmöglich.

Und auch Schutzeinrichtungen, wie die Frauenhäuser selbst, arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Hygienekonzepte müssen eingehalten werden, auch wenn die räumlichen Bedingungen alles andere als ideal sind. Die meist schon prekäre Personalsituation wird durch Krankheit und Quarantäne noch mehr reduziert als zuvor. Viele Mitarbeiterinnen arbeiten an der Belastungsgrenze und darüber hinaus.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen geht uns alle an. Gerade in dieser schwierigen Situation ist es wichtig, dass wir auf Gewaltschutz vertrauen können und niemand zurückgelassen wird.

Mit der Istanbul-Konvention haben wir ein wichtiges Instrument in der Hand: ein verbindliches, paneuropäisches Abkommen, das für einheitliche Standards sorgt. Es verpflichtet zum Aufbau einer verlässlichen Infrastruktur von Frauenschutz- und Beratungseinrichtungen. Durch diese Konvention kann häusliche Gewalt europaweit nicht länger als „Kavaliersdelikt“ oder „Privatsache“ gelten, sondern muss als Straftat geahndet werden.

Doch genau dieses Abkommen wird jetzt von rechten Regierungen delegitimiert und angegriffen. Polen und die Türkei haben angedroht, das Abkommen aufzukündigen – mit fadenscheinigen Begründungen. Die Emanzipation von Frauen wird zum Feindbild für die nationale Einheit stilisiert, als Signal an erzkonservative Wählergruppen und um von eigenen Schwierigkeiten ihrer Regierungen abzulenken.

Schon die bloße Ankündigung ist ein fatales Signal für die betroffenen Frauen, denn sie sendet ein klares Zeichen an die Täter: Wir schützen euch, wir akzeptieren eure Gewalt.

Diese Ankündigungen sind Teil eines breit angelegten Angriffs auf Frauenrechte in diesen Ländern. Der autoritäre Umbau ereignet sich immer zu Lasten von Frauenrechten. Hier wird einmal mehr deutlich: Frauenrechte sind ein Gradmesser der Demokratie. Ihre Durchsetzung ist Verpflichtung eines demokratischen Rechtsstaats. Werden sie missachtet, ist die Demokratie in Gefahr. Feminist*innen auf der ganzen Welt kämpfen weltweit gegen den Rückbau demokratischer Errungenschaften und für universelle Freiheitsrechte.

Aber auch in den meisten Ländern, die die Istanbul-Konvention anerkennen, sind wir von einer effektiven Umsetzung noch weit entfernt. Auch in Deutschland. Die Zahlen der deutschen Polizeistatistik zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Sie muss dringend überarbeitet und konkretisiert werden damit Gewalt gegen Frauen auch wirklich abgebildet wird und adäquat bekämpft werden kann.

Deutschland hat viel zu wenig Frauenhausplätze, auch ohne pandemische Beschränkungen. Es ist ein Skandal, wenn Frauen in Notsituationen abgewiesen werden müssen, weil Frauenhäuser nicht genug Kapazitäten haben, oder aufgrund der Pandemie sogar schließen müssen.

Frauen haben das Recht auf Schutz! Dieses Recht muss in allen Ländern gelten und durchgesetzt werden. Deshalb setzen wir uns gemeinsam und länderübergreifend dafür ein.

Gemeinsam werden wir die Istanbul-Konvention verteidigen und die Durchsetzung und Einhaltung erkämpfen.

Wir fordern

  • Polen und die Türkei müssen in der Istanbul-Konvention bleiben. Das Nichteinhalten der Standards zum Schutz von Frauen und Mädchen muss Konsequenzen haben.
  • Wir stehen solidarisch an der Seite feministischer Organisationen und Frauen, die mutig und ausdauernd für die Umsetzung und die Einhaltung der Frauenrechte kämpfen und fordern die EU auf diese tatkräftig zu unterstützen.
  • Dazu gehört auch, dass die EU selbst der Istanbul-Konvention beitritt und damit Klarheit schafft
  • Wir brauchen einen gesetzlich garantierten Rechtsanspruch für Frauen und Mädchen auf Schutz in allen Ländern.
  • Frauenberatungsstellen und Frauenhausplätze müssen ausgebaut und sicher finanziert werden. Das Personal muss aufgestockt und angemessen bezahlt werden. Keine schutzsuchende Frau darf mehr abgewiesen werden.
  • Frauenhäuser müssen für alle Frauen zugänglich sein. Deshalb brauchen wir ausreichend Plätze für Frauen, die besondere Unterstützung brauchen, sei es durch barrierearmen Zugang oder durch Übersetzerinnen, die bei der Verständigung helfen.
  • Die Bundesregierung muss schnellstmöglich ihren Vorbehalt gegen Artikel 59 Absatz 2 und 3 der Konvention aufgeben und dafür sorgen, dass von Gewalt betroffene Frauen und Mädchen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommen. Denn wirksamer Schutz vor Gewalt steht allen Frauen zu, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Aufenthaltsstatus.