Kein Grünes Licht für Crispr_Cas

Ein Debattenbeitrag von Renate Künast zur aktuellen Gentechnik-Debatte.

Das Impulspapier unserer Parteivorsitzenden fordert ein Nachdenken über Gentechnik. Wir sollen uns die Frage stellen, „ob bestimmte neue Technologien nicht helfen könnten, die Versorgung mit Nahrungsmitteln auch dort zu garantieren, wo der Klimawandel für immer weniger Regen oder für versalzenen Boden sorgt“.

Allerdings folgt auch die Bedingung, “die in marktschädlichen Oligopol in organisierten Konzerne so zu regulieren, dass sie in neuer Form am Ende der Allgemeinheit, also auch den Kleinbauern des Südens, dienen.“ Fast bin ich geneigt, die Frage zu stellen, wie Letzteres denn in absehbarer Zeit erreicht werden soll, da dies ja wohl der absolute Widerspruch ist. Die Markt-Konzentration hat in den letzten Jahren systematisch zugenommen, zuletzt mit der Fusion von Monsanto und Bayer. 4-5 große internationale Saatgut - und Chemieriesen wollen bestimmen, wie sich die Weltbevölkerung ernährt. Es ist ein dickes Brett, dieses Oligopol wieder auf zu knüpfen.

Manche schreiben nun mit großer Geste - die eine oder andere wohl auch in naiver Bereitschaft, dem Druck zu weichen - wir müssten uns doch öffnen für die Wissenschaft und ihre Folgen.

Bitte sehr! Dann aber klären wir doch zuerst: Was ist denn überhaupt mit Wissenschaft gemeint? Ich neige zu der Vermutung, dass hierbei ein sehr enger Begriff angenommen wird, der lediglich die Naturwissenschaften umfasst. Wissenschaftsfelder wie Politikwissenschaften, Geschichtswissenschaften oder Ethik werden dabei ausgeklammert, obwohl doch alle Welt von Transdisziplinarität spricht.

Es wird einfach davon ausgegangen, dass nur eine präzise gestellte Frage mit einem ganz konkreten Ergebnis Wissenschaft ist. Ja oder nein, falsch oder richtig. Dabei wird aber ausgeklammert, dass sich die zu erwartenden Antworten lediglich im Rahmen des angelegten Forschungsdesigns bewegen können.

Diese Ergebnisse mögen Wissenschaftler*innen reizvolle neue Aussichten bieten, die Fantasie anregen und zum Träumen einer besseren Welt animieren. Die Interpretation, mit dem Werkzeug Crispr/Cas die Antwort auf alle Fragen des Welthungers und der Anpassung an den Klimawandel, an die Versalzung von Böden zu haben, ist doch nichts anders als eine wohlmeinende subjektive Auslegung. Diese Auslegung wiederum hat mit Wissenschaft wenig zu tun. Aus den Ergebnissen einer einzelnen technischen Forschung gleich ein Heilsversprechen für umfassende Probleme abzuleiten ist für Politiker*innen doch ein Armutszeugnis.

Selbst wenn durch Crispr/Cas eine Pflanze mit hoher Salzresistenz entsteht, ist doch die Frage, ob eine solche Pflanze tatsächlich existierende Probleme löst. Die Wissenschaft entwickelt „nur“ eine salzresistente Pflanze, Nebenwirkungen, Folgeabschätzung, Abhängigkeiten – nichts davon ist damit gelöst. Nicht zu vergessen: salzresistentere Reissorten gibt es schon.

Manches Heilsversprechen, gerade von der Agro-Industrie, entpuppte sich bei genauerer Betrachtung als reines Marketing. So wissen wir doch längst, dass der wichtigste Kronzeuge der Gentechnik-Lobby, der Golden Rice, gar nicht so viel Vitamin A enthält. Was wurde uns nicht alles versprochen? Sogar das Time Magazine hob den Golden Rice im Jahr 2000 samt Forscher auf ihr Titelblatt und schrieb „Dieser Reis könnte eine Million Kinder pro Jahr retten“. Bis 2016 lag keine einzige systematische Untersuchung vor, die die Inhaltsstoffe des Golden Rice mit denen von konventionellem Reis verglichen – das wurde aber immer behauptet. Erst als der Reis nach Neuseeland und Australien exportiert wurde, musste der Gehalt öffentlich gemacht werden. Das Ergebnis lag dann weit unter dem, was immer versprochen worden war. Zweifler wurden aber von Anfang an auf das Schärfste kritisiert und sogar beschimpft.

Dass etwa in Indien die typischen Reissorten mit der traditionellen Ernährungsweise, die Mischung an Gemüse und Gewürzen, gar kein Defizit an Vitamin A entstehen lassen würde, ist hingegen schon lange bewiesen. Wozu soll etwa Indien die eigene Lebensmittel-Souveränität durch den Anbau eines Reis gefährden, der nicht nur geringe Mengen an Beta-Carotin (Vitamin A) produziert, sondern bei versuchsweiser Einkreuzung in indische Reissorten sogar zu Ertragseinbrüchen geführt hat? Haben wir das Recht mit viel Geld und politischem Druck anderen unser eigenes Ernährungssystem aufzudrängen? Dürfen wir wirklich so arrogant sein? Da sage ich ganz klar: Nein.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die sogenannte „Grüne Revolution“ das Ende von Hunger, Not und Elend versprochen. Herausgekommen ist eine Agrarindustrie mit weltweiter Arbeitsteilung. Die Folge: Massiver Verlust an Arten, Raubbau an Böden, Abhängigkeit von Patenten, Landgrabbing, ein immenser Energieverbrauch und Dumping-Export von Hühnerteilen nach Westafrika.

Heute basiert ein Großteil der Welternährung auf fünf Getreidesorten: Weizen, Mais, Reis, Gerste und Roggen. Da spielt das ganz große Geschäft der Konzerne. Sie halten die Patente, sorgen für Saatgut, Dünger und Pestizide. Was würde die Neue Gentechnik Crispr/Cas da ändern? Trennt sich Bayer dann wieder von Monsanto, lösen sich andere Agrar-Riesen auf? Natürlich nicht. Monokulturen bleiben, das Artensterben geht weiter. Wenn es so weiter geht und die Bienen ganz aussterben, dann werden unsere Nachfahren wieder zurück auf die Bäume gehen müssen, dieses Mal jedoch um jede einzelne Apfelblüte per Hand zu bestäuben.

Dass wir Grüne diese Diskussion nun führen, als hätten wir uns zu rechtfertigen, das erzürnt mich. Wie kann man dem Lobbyismus derart auf den Leim gehen und glauben, dass eine einzige technische Methode die Lösung für umfassende globale Probleme ist?

Fakt ist: Wir verstehen zwar die Funktionsweise der Neuen Gentechnik, wissen aber noch lange nicht genug über ihre Auswirkungen. Wir wissen nicht, welche biochemischen Prozesse innerhalb der Zelle dabei wie betroffen sind oder welche Auswirkungen Crispr/Cas auf Ökosysteme und Artenvielfalt hat. Oder wie Wissenschaftspolitik sagen würde: Eine abschließende Bewertung ist nicht evidenzbasiert. Stattdessen sehen wir, wie sich Bayer und Co schon jetzt ein Patent nach dem anderen sichern. Wo die Patente alter Gentechnik auslaufen geht es jetzt um neue Marktanteile und das Verhindern der Einstufung als Gentechnik.

Der bisherige Grüne Ansatz zur Sicherung der Welternährung basiert auf der These: Für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln braucht es den Wandel des weltweiten Ernährungs- und Agrarsystems.

Fakt ist: Kleinbauern ernähren die Welt. Sie erzeugen 80 % der Lebensmittel. Jedes Jahr gehen 12 Millionen ha Ackerland verloren, das könnten 20 Millionen Tonnen Weizen sein. Aus 9 kg Soja Eiweiß aus Südamerika wird am Ende nur 1 kg Fleisch. Mal ganz zu schweigen vom Überfluss im Norden, der weg geworfen wird. Welch eine Verschwendung.

Und das müssen sich 2 Milliarden Menschen in den 50 am wenigsten entwickelten Ländern ansehen.

Ganzheitlich betrachtet haben Hunger, Gesundheitskrise, Klimawandel und die ökologische Krise die gleichen Ursachen. Wir leben über unseren Verhältnissen. Was wir brauchen ist eine Abkehr von unserer Lebensweise. Die ökologische Degradierung von Ackerland, die Verunreinigung frischen Wassers, der massive Verlust an Artenvielfalt und die steigenden Treibhausgasemissionen sind keine wichtigen Faktoren für marktorientierte Konzerne. Menschen verhungern an der reinen Logik des Marktes.

Gemeinsam mit einigen anderen Ländern hatten wir es unter grüner Regierungsbeteiligung mit sehr viel Engagement geschafft, dass die FAO die Richtlinien für das „Recht auf Nahrung“ verabschiedete. Hier wurden weitreichende, praktische Leitlinien formuliert um fortschreitend dieses Recht zu realisieren. Die Maßnahmen beinhalten demokratische Entwicklung, den Abbau von Diskriminierungen und den Zugang zu Ressourcen wie Arbeit, Land, Wasser und Saatgut. Menschen stehen dabei im Mittelpunkt, nicht Unternehmen.

Passende Lösungen sind bereits jetzt da, aber an denen verdienen die alten Lobbys nicht. Nerica, eine alte afrikanische Reissorte, wurde in Japan weiter entwickelt – ganz ohne Gentechnik. In Benin läuft ein vielversprechender Anbau mit dieser Sorte. Es ist davon auszugehen, dass der afrikanische Kontinent seine Reisernte damit verdoppeln kann.

Ja, wir brauchen Forschung, um Wege in eine bessere Zukunft zu finden. Technische Ideen sind dabei aber maximal Insellösungen. Sie ersetzen nicht die Notwendigkeit zu einem anderen Lebensstil und einer globalen Agrarwende. Technik allein sorgt nicht für mehr Gerechtigkeit, dafür brauchen wir eine Transformation des gesamten Ernährungssystems. Wir müssen von den Menschen ausgehen, denn wir brauchen tiefgreifende politische und industrielle Veränderungen:

Weg von einer imperialen, hin zu einer solidarischen Lebensweise.

Weg vom Raubbau, hin zur Agrarökologie.


Die alles entscheidende Frage lautet doch: Wie kommen wir zu einer Welt, die sich selbst ernährt, souverän und in Würde? Die Neue Gentechnik entpuppt sich bei der Beantwortung dieser Frage schnell als Nebelkerze. Die beste Antwort, die wir nach jetzigem internationalen wissenschaftlichen Stand haben, ist ein Paradigmenwechsel hin zur Agrarökologie: „Erhalten was uns erhält“.

Exkurs „Crispr/Cas“

Wenn wir von „Neue Gentechnik“ reden, dann ist immer auch Crispr/Cas gemeint. werden. CRISPR ist eigentlich ein Abwehrmechanismus von Bakterien. In der Gentechnik lässt sich CRISPR in Kombination mit dem Enzym CAS dazu nutzen, etwa Bestandteile des Erbguts zielgerichtet herauszuschneiden oder einzufügen gestellt. Das Cas Enzym wird dabei von einem Lotsen-Molekül an einen bestimmten Ort im Genom geleitet und stülpt sich wie eine Hülle über den anvisierten Genabschnitt und trennt die DNA auf. Dabei können zusätzliche Gene eingefügt werden (knock in) oder natürliche Gene ausgeschaltet werden (knock out).

In der Theorie können hiermit Gene, die etwa Kartoffeln anfällig für eine Fäule (eigentlich eine Viruserkrankung) machen, durch solche ersetzt werden, die sie dagegen widerstandsfähiger machen. Das hört sich gut an, aber wissen wir denn eigentlich genug über diese neue Form der Gentechnik?

Auch wenn wir die Funktionsweise der Genschere verstehen: wir wissen noch lange nicht viel über ihre Auswirkungen. So wissen wir etwa, dass sich Crispr/Cas wie eine Hülle um die Ziel-Gensequenz legt und nur dort Änderungen vorgenommen werden. Das kann man mittels einer Gen-Sequenzierung schnell und kostengünstig feststellen.

Nach jetzigem Stand wissen wir aber nicht, welche Auswirkungen das auf die biochemischen Prozesse innerhalb der Zellen hat. Wie genau ist die Wechsel-Wirkung von neu entstandenen Proteinen? Ist das, was mit Crispr/Cas gemacht wird, wirklich identisch mit dem, was bei natürlichen Prozessen geschieht?

Ich neige zu einem nein. Der Grund: Crispr/Cas wirkt in allen Chromosomen-Sätzen der Pflanze. Gerade Pflanzen haben mehrere Chromosomensätze, das heißt die genetischen Informationen wiederholen sich. Weizen verfügt etwa über sechs Chromosomensätze, Menschen nur über zwei. Man kann mit Crispr/Cas zwar zielgenau die Gensequenz beim Weizen ansteuern, dann zerstört sie aber diese Gensequenz in allen sechs Chromosomen. Selbst wenn der zelleigene Reparatur-Mechanismus aktiv wird, dann erkennt Crispr/Cas das Ziel erneut und wird wieder aktiv, bis die vorhandene Struktur erneut verändert wurde. Damit wird dieser zelleigene Reparaturmechanismus faktisch ausgeschaltet. Auch wenn keine zusätzlichen Gene eingefügt werden, unterscheidet sich das Muster der genetischen Veränderung bei Pflanzen deswegen in der Regel von dem, das aus konventioneller Mutationszüchtung resultiert: Immer wenn eine bestimmte genetische Information an allen Orten im Genom gelöscht oder verändert ist, muss man annehmen, dass die Gen-Schere zum Einsatz kam.

Dieses geänderte Muster der Gen-Veränderung kann auch dazu führen, dass Pflanzen entstehen, die sich auch in ihren biologischen und biochemischen Eigenschaften deutlich von denen aus konventioneller Züchtung unterscheiden. Deswegen müssen diese Pflanzen in jedem Fall einer verpflichtenden Risikobewertung unterzogen werden, bevor über eine Zulassung entschieden wird.

Weiterhin sind bisher drei Formen von Risiken bekannt:

1. Off-target Effekte: Es wird an der falschen Stelle geschnitten

2. On-target Effekte: An der gewünschte Stellen wird nicht die gewünschte DANN eingefügt

3. Veränderte Protein-Bildung: Der Eingriff war erfolgreich, durch die Veränderung entstehen aber Proteine mit unerwünschter Struktur

Natürliche Mutationen unterliegen einer Art „Checks-and-Balances“, nur ein geringer Teil setzt sich auch tatsächlich durch. Die biochemischen Abläufe sind bei weitem noch nicht so gut erforscht, als dass man jetzt „Hurrah, die neue Gentechnik ist da“, schreien sollte.

Wenn wir jetzt im großen Stil Freilandversuche starten, so steht das im klaren Widerspruch zur obersten Maxime des Vorsorgeprinzips: Wir handeln nur in dem Rahmen, als das wir noch korrigierend eingreifen können, wenn etwas schief geht. Das war die Grüne Leitlinie für die Ablehnung von Freilandversuchen grüner Gentechnik. Daran hat sich nach jetzigem Stand der Wissenschaft nichts geändert.

Porträtfoto einer Frau.

Renate Künast

Federal Minister for Consumer Protection, Food and Agriculture from 2001 to 2005. From 2014 to 2017, she was chairwoman of the Committee on Legal Affairs and Consumer Protection in the German Bundestag. She is currently spokeswoman for Nutrition Policy of the Bundestag faction of Alliance 90 / The Greens.