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Grüne Wirtschaftspolitik für eine Welt im Wandel

Konturen einer neuen Wirtschaftsordnung. Ein Debattenbeitrag von Roderick Kefferpütz und Tjark Melchert zum Grundsatzprogramm.

Deutschland war Mitgestalter der globalen Wirtschaftsordnung. Unsere Erfindungen haben die Welt verändert: das Radar, das Auto, der Computer. Unsere Unternehmen sind global vernetzt und ihre Produkte international gefragt, sodass die Exporte auf Rekordhoch sind. Heute erwirtschaften Deutschlands 30 DAX Unternehmen 80 Prozent ihrer Einnahmen im Ausland. Die Auftragsbücher sind voll, die Arbeitslosigkeit auf Rekordtief. Aber das ist nur eine Momentaufnahme. Wirtschaftlicher Erfolg darf kein Ruhekissen sein.

Ganz im Gegenteil: Es braucht eine massive Veränderung im Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland, um weiterhin so erfolgreich zu bleiben. Unsere Technologien des 20. Jahrhunderts werden nicht länger den Erfolg im 21. Jahrhundert gewähren. Ein Blick in die Vergangenheit der Unternehmenswelt genügt: In den 90er Jahren waren die weltweit größten Unternehmen Energieriesen, Automobilkonzerne und Finanzhäuser. Aber seit der Jahrtausendwende hat sich über die Hälfte der Unternehmen auf der Fortune-500-Liste verabschieden müssen. Hauptauslöser dafür ist die Digitalisierung. Heute sind es junge Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley oder Shenzhen, die die Liste anführen. Das ist alarmierend.

Wir stehen an einem historischen Wendepunkt. Die Zeit der technologischen Vorherrschaft Europas neigt sich dem Ende zu. Stattdessen erobert China die technologische Weltbühne. Sie investieren massiv in Zukunftstechnologien, wie künstliche Intelligenz, Quantentechnologie und Biotech. Ein Wettlauf um die globale Technologieführerschaft und die dazugehörige Weltwirtschaftsordnung ist entbrannt. Ein Drittel der globalen Unicorns kommen mittlerweile aus China. Die Volksrepublik will seinerseits in der globalen Wertschöpfung aufsteigen und neue Wirtschaftsstrukturen schaffen. Die Seidenstraße-Initiative ist eine Verflechtungsstrategie. Sie verbindet China mit Europa und schafft einen gemeinsamen Wirtschaftsraum auf Basis chinesischer Standards.

Die USA wiederum wollen die Technologieführung und alte Wirtschaftsordnung beibehalten. Das Weiße Haus setzt auf eine Entkopplungsstrategie: die Abhängigkeit von China soll reduziert, der Abfluss von amerikanischen Know-how und Technologieprodukten vermieden, und Chinas wirtschaftliche Expansion gebremst werden. Dabei setzt Donald Trump auch auf Protektionismus und erwartet von Europa, dass es sich der amerikanischen Politik anschließt.

Diese Lage ist für Deutschland brandgefährlich. Wir befinden uns in einer Phase, wo die Weltmärkte sich dynamisch wandeln und damit auch der Wohlstand neu verteilt wird. Der technologische Umbruch in der Weltwirtschaft ist für die Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsstandort entscheidend. Amerikanische und chinesische Technologietitanen erobern Branchen, schaffen Abhängigkeiten und bauen Vormachtstellungen auf. Bei der digitalen Infrastruktur rangieren wir nach wie vor im Tabellenkeller. Wir sind stark in den Maschinen des 20. Jahrhunderts, aber im 21. Jahrhundert dominiert Software die Hardware. In der Internetwirtschaft nehmen wir bisher nur eine Rolle als Statist ein.

Wenn Europa nicht selbst eine starke Digitalindustrie entwickelt, muss es sich irgendwann als Cyberkolonie zwischen Silicon Valley und Shenzhen entscheiden. Was bleibt für uns übrig, wenn wir technologisch und innovationspolitisch nicht mehr in der ersten Liga spielen? Sind wir nur Zulieferer der Zukunft, die beim Aufstieg anderer Volkswirtschaften still zugucken? Die Welt bewegt sich und wir müssen uns mit ihr bewegen.

Wir müssen uns den internationalen Innovationswettbewerb stellen und wollen die nächste Phase technologischer Entwicklungen mitanführen. Dabei geht es um viel mehr als Arbeitsplätze und Prosperität.

Nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft ist herausgefordert. Die technologischen Veränderungen fordern die liberale Demokratie, soziale Marktwirtschaft und unser Klimasystem heraus.

Der technologische Fortschritt und die liberale Demokratie scheinen sich zunehmend zu entzweien. Die Digitalisierung schafft einen unvorstellbaren Kontrollgewinn. China nutzt sie, um das autokratische System zu verfestigen. Diese Technologien werden aber auch exportiert. So unterstützt China beispielsweise zahlreiche Staaten beim Aufbau eines Überwachungsstaats. Nicht zu Unrecht kritisierte George Soros China und die damit verbundenen digitalen Kontrollinstrumente als größte Gegner der offenen Gesellschaft. Auch der BDI bekräftigt in seinem jüngsten Positionspapier, dass die liberale, offene und soziale Marktwirtschaft im Systemwettbewerb mit China steht. Bei der Digitalisierung stehen Dinge auf dem Spiel, die sich nicht einfach aus dem Internet runterladen lassen.

Auch die soziale Marktwirtschaft ist herausgefordert. Der ungezähmte Datenkapitalismus führt zu Monopolstellungen und geschlossenen Strukturen. Er behindert den wirtschaftlichen Wettbewerb und auch die digitale Arbeitswelt birgt Fallen. Wenn wir an unserem europäischen Gesellschaftsmodell und der sozialen Marktwirtschaft festhalten wollen, dann müssen wir hier in Europa in die Zukunftstechnologien und Weiterbildung investieren. Nur wer die Technik selbst beherrscht und die Fachkräfte hat, kann das neue Technologiezeitalter mitprägen, ethische Leitlinien und Standards setzen und es in einen gesellschaftlichen Rahmen einbetten.

Die globalen Wirtschaftsveränderungen und der technologische Wettbewerb in der Welt überschatten leider auch die fundamentale Herausforderung des Klimawandels. Sie können auch ein Brandbeschleuniger sein. Wenn Abschottung und Protektionismus überhandnehmen, kann auch internationale Kooperation auf anderen Feldern, wie dem Klimaschutz, darunter leiden. Zudem ist der Ressourcen- und Energiebedarf dieser durchtechnologisierten, digitalen Welt enorm.

Wenn wir nicht entschlossen handeln, werden extreme Wetterereignisse zunehmen und ganze Regionen unbewohnbar werden. Der Klimawandel macht nicht an irgendeiner Grenze halt. Kein Nationalstaat kann diese Aufgabe alleine bewältigen. Deshalb liegt es auch an uns, Ökonomie und Ökologie zu vereinen und der Welt zu zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften im Einklang mit der Natur möglich ist.

Moderne Grüne Wirtschaftspolitik

Nur Grüne Wirtschaftspolitik nimmt diese verflochtenen Herausforderungen ernst und betrachtet sie im Zusammenhang, um ganzheitliche Lösungsansätze zu entwickeln. Damit unterscheidet sie sich von der Wirtschaftspolitik anderer Parteien, welche sich isoliert mit den einzelnen Herausforderungen auseinandersetzen. So spielen in der kürzlich veröffentlichten „Nationale Industriestrategie 2030“ der schwarz-roten Bundesregierung, die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Freihandel, soziale Marktwirtschaft und liberale Demokratie so gut wie keine Rolle. Es geht nur darum nationale Industriegiganten zu schaffen.

Das ist nicht der Weg einer Grünen Wirtschaftspolitik. Erstens, wird Grüne Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene gedacht. Welches europäische Land könnte allein Unternehmen wie Apple regulieren, Unternehmen dessen Marktkapitalisierung größer ist als das Bruttoinlandsprodukt zahlreicher EU-Mitgliedstaaten? Welches europäische Land könnte allein die Künstliche Intelligenz anführen? Kein europäisches Land allein hat die nötigen Ressourcen dafür.

Diese Herausforderungen schaffen wir nur zusammen: Europa ist die Grundvoraussetzung, um auf den Technologiemärkten der Zukunft mithalten zu können. Die Wirtschaftsmächte USA und China sind schon für fast 50 Prozent der weltweiten Forschungsausgaben verantwortlich. Deutschland bringt es gerade mal auf 6 Prozent.

Europa muss seine technologie- und industriepolitischen Kräfte bündeln und koordinieren. In wenigen Sektoren wird es auch europäische Champions brauchen, um in bestimmten Bereichen im globalen Markt überhaupt mithalten zu können. Dafür müssen die europäischen Wettbewerbsregeln angepasst werden. Europa braucht ein Kartellgesetz für das 21. Jahrhundert. Neue Aspekte, wie Datensammlung, horizontale Vernetzung und der globale Markt, müssen stärker in kartellrechtliche Bewertungen einfließen.

Es kann nicht sein, dass Facebook über zahlreiche verknüpfte Dienste ein Datenimperium errichtet, oder dass die europäische Wettbewerbsbehörde einen Zusammenschluss chinesischer Staatskonzerne genehmigt und damit einen globalen Eisenbahn-Giganten – der doppelt so groß ist wie seine Konkurrenten Siemens, Bombardier und Alstom zusammen – freien Raum lässt, den Zusammenschluss der Zugsparten von Siemens und Alstom allerdings verbietet.

Grüne Wirtschaftspolitik orientiert sich europäisch, um international schlagkräftig zu sein. Sie ist daher auch international geprägt. Sie will die globale Handelsordnung ökologisch und sozial weiterentwickeln und europäisch geprägte Standards in der Welt setzen. Wir stehen an einem Scheidepunkt der Globalisierung. Wer wird die Globalisierung im 21. Jahrhundert vorantreiben? Wird es China sein, mit seinem Modell der digital-autoritären Modernisierung, durch z.B. der Seidenstraßen-Initiative? Oder wird es die USA sein in ihrer Rolle als Hegemon der Gefolgschaft fordert? Grüne Wirtschaftspolitik will einen dritten Weg gehen, der für eine ökologisch-soziale, liberale und partnerschaftliche Globalisierung steht, zusammen mit internationale Partner wie Kanada, Südkorea, Indien und Japan.

Grüne Wirtschaftspolitik ist auch Chancenpolitik für Gründerinnen und Gründer. Dazu gehört vor allem die Weiterentwicklung des europäischen Binnenmarkts. Dies ist vor für Start-Ups notwendig. Amerikanische und chinesische Start-Ups haben die Chancen auf rasantes Wachstum, weil sie einen massiven einheimischen Binnenmarkt haben und die Finanzmittel zur Verfügung stehen. Das bildet eine Startrampe für die globale Expansion. Deutschen Start-Ups alleine fehlt der große Binnenmarkt und die Finanzierung in der Wachstumsphase. Im Vergleich zu Deutschland folgt in den USA durchschnittlich mehr als doppelt so viel Kapital für das Wachstum. Deswegen müssen ein europäischer Markt für Start-Ups und finanzstarker europaweiter Venture Capital Markt geschaffen werden, wo Investoren mit guten Bedingungen Start-Ups unterstützen können. Zu oft werden Startups in der frühen Wachstumsphase von ausländischen Geldgebern aufgekauft. In diesen Fällen, sollten wir von Israel lernen – übernehmen ausländische Konzerne ein europäisches Start-up, sollen sie einen Ausgleich für die Fördermittel zahlen, die das Start-up eventuell von europäischer und nationaler Ebene schon bekommen hat.

Start-Ups von heute können der neue Mittelstand von morgen sein. Nur wenn die Ideen aus Europa auch hier gefördert werden, können daraus auch die Zukunftsplayer der Weltwirtschaft werden. Es braucht dafür auch eine angemessene bürokratische Entlastung. Es braucht Geld, um am Anfang aus einer Idee ein Unternehmen machen zu können und es braucht am Ende auch gute Bedingungen, dass diese Unternehmen hier wachsen können und bleiben wollen. Die Politik ist in der Pflicht, dafür die passenden Rahmenbedingungen zu setzen.

Grüne Wirtschaftspolitik verfolgt auch ein ausbalanciertes Staat-Markt-Verhältnis. Wir glauben an die Innovationskraft und wettbewerbsfördernde Dynamik freier Märkte und der schöpferischen Zerstörung. Aber ein Markt ohne jeglichen ordnungspolitischen Rahmen ist kein Markt im Einklang mit der Gesellschaft, sondern ein Dschungel im Chaos. Der Markt braucht einen ordnungspolitischen Rahmen, damit er auch gesellschaftliche Ziele verfolgen und seine Kraft in ökologische und soziale Richtungen fließen kann. Deshalb stehen wir für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, die eben kein anarchisches Spiel der Kräfte zulässt. Dadurch können auch neue Innovationen, Geschäftsmodelle und Märkte geschaffen werden.

Wir setzen auf das Modell eines „innovierenden Staats“, bei dem die öffentliche Hand Innovationen vorantreibt. Der Staat setzt einen ordnungspolitischen Rahmen, indem sich die freien Kräfte des Marktes entfalten können. Zusätzlich hat der Staat Verantwortung, relevante Felder zu eröffnen, die der Markt scheut, etwa wegen des großen Risikos. Der Staat kann neue Märkte schaffen, in dem er Risiken übernimmt, Rahmen schafft und Investitionen tätigt. So gründet zum Beispiel Apples Welterfolg auf Technologien, die durch die öffentliche Hand gefördert wurden, wie Mikroprozessoren, Touchscreens und das Internet. So muss auch heute die EU genügend Fördergelder in die Technologien von Übermorgen investieren, wie zum Beispiel in die Quanten- und Biotechnologie.

Grüne Wirtschaftspolitik ist nicht naiv. Sie versteht, dass Wirtschaftspolitik nicht nur wirtschaftspolitisch sondern auch machtpolitisch betrachtet werden muss. Wenn chinesische Staatsunternehmen die Kronjuwelen der deutschen Wirtschaft aufkaufen, dann steckt oftmals nicht die unsichtbare Hand des freien Marktes dahinter, sondern der verlängerte Arm chinesischer Machtinteressen. Deswegen setzt sich Grüne Wirtschaftspolitik für klare Investitionsprüfungen bei ausländischen Investitionen in strategischen Bereichen ein. In diesen Rahmen stehen wir einer Teilnahme von Huawei am deutschen 5G-Netzausbau sehr kritisch gegenüber.

Grüne Wirtschaftspolitik setzt auf die ökologische Modernisierung der Wirtschaft. Das ist nicht nur ökologisch geboten, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, sondern ökonomisch erfordert. Nachhaltigkeit ist ein Wettbewerbsfaktor. Wiederverwertung, Recycling, industrielle Symbiosen, Ressourcen- und Energieeffizienz, sie alle senken Produktionskosten und schaffen Wettbewerbsvorteile.

Um wettbewerbsfähig zu bleiben müssen wir auch in zahlreichen Marktfeldern auf Nachhaltigkeit setzen. Das zeigt die Zeitenwende beim Automobil, wo andere früher und entschlossener auf die alternativen Antriebe, wie Elektromobilität, gesetzt haben als die deutschen Automobilhersteller. Um Ökologie ins Zentrum der Wirtschaft zu bringen, setzen wir auf Preise, die die ökologische Wahrheit sagen und negative externe Effekte kompensieren, wie etwa eine Ökosteuern und Subventionsabbau. Eine kleinteilige Regulierung eines jeden Details führt in unserer immer komplexeren Welt in eine Überbürokratisierung und hemmt Innovation. Ökologisch-effizientes Marktverhalten muss gefördert werden, zum Beispiel durch steuerliche Abschreibungsregeln, damit der Markt enkeltaugliche Entscheidungen trifft. Und dafür wollen wir auch die Wirtschaft für gewinnen. Denn ohne eine starke Wirtschaft als Partner, werden wir keine ökologische Transformation der Gesellschaft vollziehen können. Und genauso werden auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gebraucht. Grüne Wirtschaftspolitik ist deswegen auch sozial. Sie investiert in Weiterbildung und neuen Arbeitsmodellen. Digitalisierung und der technologische Umbruch werden viele Jobs in Frage stellen und es ist unklar, wie viele neue geschaffen werden. Grüne Wirtschaftspolitik denkt die soziale Komponente beim digitalen und ökologischen Strukturwandel mit und will die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befähigen. Wir stehen vor den Toren einer neuen Wirtschaftsordnung. Die Herausforderungen sind zahlreich: Klimawandel, Populismus, der Aufstieg autoritärer Regime, technologische Umbrüche, digitale Monopole, Handelskriege und Protektionismus, der zunehmende Wettbewerb und Strukturwandel. Die Wirtschaft steht im Zentrum dieses Orkans.

Grüne Wirtschaftspolitik nimmt diese Realitäten war und gibt eine umfassende konzeptionelle Antwort darauf, anstatt sich in Einzelbereichen zu verhaken. Sie ist ökologisch und sozial, digital und innovationsgetrieben und vor allem europäisch.


RODERICK KEFFERPÜTZ, Vorstandsmitglied des
Green European Journal

TJARK MELCHERT, Sprecher der LAG Wirtschaft und Finanzen in Niedersachsen und Mitglied im Länderrat

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