Zum Seiteninhalt springen
Artikel

Grüne Gentechnik neu bewerten

Ein Debattenbeitrag zum grünen Grundsatzprogramm von Mona Noé und Johannes Kopton.

Der Auftrag der jungen Generation

An Bewegungen wie Fridays for Future, aber auch an der Politisierung der Youtube-Kultur wird deutlich, dass in diesen Zeiten viele junge Menschen eine Politik auf der Basis von Fakten und Wissenschaft einfordern. Viele von ihnen haben die Grünen gewählt, weil sie genau diese Politik von uns erhoffen und erwarten. Die derzeitigen Wahlergebnisse und Umfragewerte für die Grünen sind Ausdruck eines enormen Vertrauensvorschusses. Dieses Vertrauen sollten wir nicht verspielen.

Diese Menschen haben aber nicht grün gewählt, weil sie auf einmal das Natürlichkeitsbild aus den 70er Jahren für sich entdeckten. Sie haben uns nicht für das Festhalten an tradierten Meinungen gewählt, sondern weil sie uns als progressive Kraft sehen, der sie am ehesten die realistische Lösung komplexer Probleme zutrauen. Egal ob Energiewende, Verkehrswende oder Digitalisierung: wir sind im Umgang mit neuer Technik weder unbeholfen und reaktionär noch naiv technikgläubig.

Man traut uns zu, über Chancen und Risiken einen faktenbasierten Diskurs zu führen. Denn die globalen Probleme unserer Zeit verlangen durchdachte Antworten. Sie erlauben uns nicht, mögliche Lösungsbausteine aus Prinzip und pauschal abzulehnen.

Wir fordern daher eine Neubewertung neuer gentechnischer Verfahren (Genome Editing) in der Pflanzenzüchtung.

Naturwissenschaftlicher Konsens

Die Situation ist Vergleichbar mit der beim Klimawandel:

Es gibt nach Jahrzehnten der Forschung einen großen wissenschaftlichen Konsens, dass Mutationen, die gezielt durch Genome-Editing hervorgerufen wurden, genauso sicher sind wie solche, die durch Zufall bei klassischer Züchtung entstanden sind. Die Art und Weise, wie eine Mutation entstanden ist, kann im Nachhinein oft nicht festgestellt werden. In vielen Sorten, die auch im Ökolandbau zugelassen sind, finden sich Mutationen, die durch radioaktive Bestrahlung oder Behandlung mit mutagenen Chemikalien entstanden sind. Im Gegensatz dazu sind die neuen Methoden viel präziser und haben weniger Nebenwirkungen an unbeabsichtigten Teilen des Gens.

Insbesondere also den nicht-transgenen Einsatz (ohne Fremdgene) neuer gentechnischer Methoden können wir auf naturwissenschaftlicher Ebene nicht länger ablehnen, wenn wir nicht als „Gentechnikleugner*innen“ dastehen wollen.

Aber auch in Bezug auf transgene Pflanzen sollten wir wissenschaftlich fundiert argumentieren und diese nicht einfach pauschal mit „Frankenfood“-Populismus und dem Warnzeichen für Biogefährdung bekämpfen.

Eine mutige Gesellschaft lässt sich keine Angst machen.“

Dieser Satz stand auf unseren Wahlplakaten zur Europawahl. Wäre es da nicht richtig, wenigstens auf das Schüren von Ängsten vor erwiesenermaßen unbedenklichen Züchtungsmethoden zu verzichten?

Auch Beschimpfungen von Gentechnik-offenen Stimmen innerhalb der Partei oder der Grünen Jugend als „Zauberlehrlinge“ oder „Gentech-Lobby“ halten wir für reichlich unangemessen. Auf dieser Grundlage lässt sich nur schwer ein Austausch aufbauen, obwohl es diesen gerade jetzt so dringend in der Partei braucht.

Wirtschaftliche Auswirkungen im Status Quo

Trotzdem gibt es natürlich berechtigte Bedenken, was die sozialen, wirtschaftlichen und damit indirekt auch ökologischen Auswirkungen in der Landwirtschaft betrifft.

Ein großes Problem ist momentan, dass Gentechnik nach wie vor indirekt eine Patentierung von Saatgut ermöglicht. Pflanzen, die durch ein „im Wesentlichen biologisches Verfahren“ gewonnen wurden, sind von der Patentierung ausgeschlossen.

Außerdem wird grüne Gentechnik aktuell vor Allem von wenigen Großkonzernen eingesetzt, die schon jetzt eine besorgniserregende Kontrolle über unsere Lebensgrundlagen erlangt haben. Auch viele der aktuellen Anwendungen selbst scheinen mit nachhaltiger Landwirtschaft wenig zu tun zu haben: Beispiele hierfür sind Soja und Mais mit Glyphosat-Resistenz oder Äpfel in Plastikfolie. Meistens geht es um Monokulturen und oft befördert es sogar den Einsatz umweltschädlicher Pflanzenschutzmittel.

Also lieber weiter unrealistische Ängste vor gruseligem, unnatürlichen „Gentech-Food“ schüren und Gentechnik weiter aus Deutschland und Europa heraushalten?

Das wäre nicht nur populistisch und falsch, sondern bedeutete auch das Verschenken eines großen Potenzials.

Chancen für nachhaltige Landwirtschaft

Gentechnik kann mehr als das:

An unzähligen Universitäten überall auf der Welt werden bereits jetzt schon Sorten gezüchtet, die nachhaltiger, produktiver und umweltschonender sind als die, die derzeit eingesetzt werden. Insbesondere für die Menschen in Ländern des globalen Südens wäre das eine große Erleichterung. Diese Pflanzen brauchen weniger Pestizide, sind angepasster an den Klimawandel, ertragreicher (haben also einen geringeren Flächenbedarf) oder auch nahrhafter. Die Wissenschaftler*innen, die an diesen Pflanzen forschen, sind genau wie wir davon angetrieben, die Welt zu verbessern.

Wir dürfen diese Menschen nicht länger vor den Kopf stoßen, indem wir ihr Wissen und ihre Arbeit diskreditieren und diffamieren. Darüber hinaus ist es schlichtweg nicht mehr zeitgemäß an bestimmten Positionen festzuhalten, die potentielle Antworten auf die ökologischen Herausforderungen und die Klimakrise verhindern würden.

Es ist höchste Zeit auch in Bezug auf grüne Gentechnik progressiv zu denken und zu handeln und alle Möglichkeiten, die wir zur Rettung unseres Lebensraumes haben, in Erwägung zu ziehen, kritisch zu betrachten und zu diskutieren. Dabei dürfen wir nicht vor neuen Wegen zurückscheuen, wenn diese eben neue Chancen eröffnen können. Wir wissen, dass Gentechnik nicht die Lösung für alle Probleme sein kann und wird. Trotzdem kann Gentechnik in Zukunft ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige, ganzheitliche Landwirtschaft sein. Gentechnik hat das Potenzial auf der einen Seite konventionelle Landwirtschaft sehr viel nachhaltiger zu gestalten und auf der anderen Seite die Flächenproduktivität von Ökolandbau zu erhöhen, ohne zusätzliche Dünge- oder Pflanzenschutzmittel einzusetzen.

Politische Möglichkeiten nutzen

Leider werden all diese Chancen aktuell kaum genutzt.

Aber es ist doch genau die Aufgabe von Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen Technologien zum Wohle der Menschen und ihrer Umwelt eingesetzt werden.

Eine pauschale Ablehnung nimmt uns die Möglichkeit zu gestalten. Wir machen uns zu Beobachter*innen der der Konzerne und der Entwicklungen in anderen Kontinenten. Es könnte eine selbsterfüllende Prophezeiung werden: Wenn niemand die Gentechnik für grüne Anliegen nutzt, wird es am Ende nur Anwendungen geben mit denen wir nicht einverstanden sind und die kritischen Stimmen werden Recht behalten. Doch besser wird dadurch nichts.

Wir wollen nicht länger zusehen, wie große Konzerne die faktenbasierte Deutungshoheit für sich beanspruchen und auch die Wissenschaft sich wohl oder übel an ihre Seite stellt.

Das Gute ist:

Im Gegensatz zu den Naturgesetzen lässt sich das Patentrecht ändern. Die wirtschaftliche Situation ist nicht allein das Ergebnis von der Art der Pflanzenzüchtung, sondern kann konkret von der Politik gestaltet werden.

Keine Patente auf Lebewesen

Zunächst sollten wir uns vehement gegen die Patentierung jeglicher Pflanzenarten und deren Samen einsetzen. Klar sind die Grünen auf dem Papier schon jetzt gegen Patente auf Tiere und Pflanzen (wie übrigens alle anderen großen Parteien auch). Aber durch die Fundamentalopposition gegen potenziell patentierbare GVOs (gentechnisch veränderte Organismen) wurde diesem Thema kaum Beachtung geschenkt. Gentechnische Methoden einzusetzen ist mittlerweile an sich einfach und kostengünstig. Der normale Sortenschutz würde hier wie bei klassischen Züchtungen völlig ausreichen. Das würde auch das übersteigerte Interesse großer Konzerne an GVOs beenden, die sich aktuell aus diesem Grund von patentiertem Saatgut hohe Profite erhoffen.

Noch verheerender als juristische Beschränkungen durch Patente sind allerdings technische Beschränkungen durch hybrides Saatgut (mit geheimen Elternpflanzen). Steriles Saatgut kann sogar gar nicht mehr vermehrt werden. Dadurch kann sich das (unbedenkliche) Saatgut zwar auch nicht in andere Kulturen einkreuzen, aber wir dürfen nicht in die Falle tappen, diese Formen der Kommerzialisierung von Leben aus angeblichen Umweltschutzgründen zuzulassen.

Produktorientierte Zulassung

Auch wenn die technik selbst verhältnismäßig kostengünstig ist, sind die aktuellen Regulierungen für alles, was unter den Oberbegriff „Gentechnik“ fällt, so aufwendig und teuer, dass sich nur riesige Konzerne ein Zulassungsverfahren leisten können. So fördern sie Monopolbildung und schließen kleine und mittlere Unternehmen sowie öffentlich Institute von den Früchten der eigenen Forschung aus. Erst durch diese Zulassungshürden konzentriert sich die Entwicklung im Bereich landwirtschaftlicher Gentechnik auf Bereiche, die hohe Gewinne versprechen, von denen aber nicht notwendigerweise Mensch und Umwelt profitieren können.

Zudem sind sie aus naturwissenschaftlicher Sicht völlig unfair. Die gleiche Pflanze könnte, wenn sie auf andere Weise erzeugt worden wäre (beispielsweise durch radioaktive Strahlung) ohne Sicherheitsprüfung sogar für den ökologischen Landbau zugelassen werden.

Wir sollten eine wissenschaftlich fundierte Regulierung anstreben, die sich an der Pflanze orientiert und nicht an der Methode, wie sie gezüchtet wurde. (Insbesondere sollten Pflanzen mit und ohne Fremdgenen unterschieden werden.) Dann wäre auch der Markt für gentechnisch verändertes Saatgut deutlich fairer und inklusiver.

Produkte, die sich tatsächlich von dem unterscheiden, was durch klassische Züchtung möglich wäre, müssten konsequent gekennzeichnet werden, nicht als Gütesiegel sondern als sachliche Information um die Wahlfreiheit zu gewährleisten.

Und Institutionen, die diese Technik nutzen wollen, müssten natürlich zugelassen und kontrolliert werden. Unbefugtes „Genome-Editing im Keller“ wäre genau wie heute verboten.

Open-Source-Gentechnik

Um wirklich die besagten Vorteile von Gentechnik für eine nachhaltige Landwirtschaft nutzen zu können, lohnt es sich vielleicht auch mal neue Wege zu gehen.

Die Boell-Stiftung arbeitet in letzter Zeit viel zu dem Wirtschaften mit „Commons“, also dem Teilen von Gemeingütern. Weil sich wenig so leicht miteinander teilen lässt wie Erbgut, dass beliebig vermehrt werden kann, spielt auch Saatgut dabei eine immer größere Rolle. Bei diesem sogenannten Open-Source-Saatgut wird bis jetzt leider oft gentechnisch verändertes Saatgut von vornherein ausgeschlossen.

Das müsste ja nicht so sein. An Unis, Hochschulen, öffentlichen Forschungsinstituten oder in öffentlich-privaten Partnerschaften könnten auch mithilfe neuer Methoden verstärkt Sorten entwickelt werden, die streng an den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt ausgerichtet sind. Der Fokus sollte auf sortenfestem Saatgut liegen, sodass es jederzeit vermehrt werden kann. Momentan haben die Ergebnisse dieser Forschungen aufgrund der Zulassungshürden keine Chance je den Acker zu erreichen und landen in der Schublade. Stattdessen könnten sie unter eine Open-Source-Lizenz gestellt und so weltweit der Allgemeinheit frei zugänglich gemacht werden.

Sollte sich doch eine wichtige Sorte in den Händen eines privaten Konzern befinden, könnte (wie von Robert Habeck angeregt) der Food and Agriculture Organisation (FAO) der UN ein Vorkaufsrecht eingeräumt werden, die dann die Erbinformationen „befreit“.

Positive Beispiele zeigen, wie die Menschen gerade im globalen Süden konkret durch solche und ähnliche Regelungen profitiert haben.

Vielfältiges, leistungsfähiges, lokal angepasstes Saatgut für eine nachhaltige Landwirtschaft zur freien Verfügung aller Menschen.

Das erscheint uns, gerade für uns Grüne, ein lohnenderes politisches Ziel als eine plumpe Ablehnung neuer Technik.

Teilen: