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Artikel

Eine grüne Partei als entschiedene Akteur*in der Gleichberechtigung

Ein Debattenbeitrag zum Grünen Grundsatzprogramm von Jens Parker.

Jens Parker

Jens Parker ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Queergrün.

Im Zwischenbericht zum Grundsatzprogrammprozess wird der Eindruck erweckt, die Gesellschaft sei in den letzten Jahrzehnten deutlich vielfältiger geworden. „Das schafft Verunsicherung einerseits, neue Möglichkeiten der Verbindungen, der Gemeinsamkeit und der weltweiten Impulse andererseits“.

Diese Analyse greift meiner Meinung nach zu kurz. Hat sich unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten verändert? Das hat sie. Aber eine Reduzierung darauf, dass die Gesellschaft auf einmal vielfältiger sei, weckt bei mir die Assoziation, dass neuerdings Klingonen, Vulkanier & Spezies 8472 gelandet sind und neuerdings unter uns leben. Das ist noch nicht der Fall.

Wer verbirgt sich also hinter dieser angeblich komplett neuen Vielfalt? Bereits vor Jahrzehnten gab es Menschen, die weder Frau noch Mann waren. Migration ist kein neues Phänomen. Menschen hatten immer schon unterschiedliche Glauben. Manche Männer lieben Männer. Manche Frauen lieben Frauen. Wir haben unterschiedliche Hautfarben. Manche von uns haben eine Behinderung - andere nicht…

Nicht neu in unserer Gesellschaft ist leider ebenfalls, dass sich eine hegemonial fühlende Gruppe herausnimmt, einzelnen Gruppe gleiche Rechte und Freiheiten vorzuenthalten. Wenn mensch der Auffassung ist, dass unsere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten ad hoc vielfältiger geworden ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass mensch selbst Teil dieser Hegemonie war und nicht zu der Gruppe gehörte, der Rechte und Repräsentanz vorenthalten wurde.

Immer mehr Menschen fordern gleiche Rechte ein

Die Veränderung, die ich in unserer Gesellschaft beobachte, ist, dass sich immer mehr Gruppen von Menschen, welchen gleiche Rechte und Freiheiten vorenthalten wird, energisch und beharrlich Gehör verschaffen und substanzielle Erfolge dabei erzielen, die ihnen angetane Ungerechtigkeit zu verringern.

Diese Fortschritte sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis knallharter politischer Auseinandersetzungen. Der Narrativ, dass unsere Gesellschaft jetzt viel vielfältiger ist und nur noch zwischen der einzelnen Gruppe und Individuen vermittelt werden muss, ist vielleicht bequemer - aber dafür falsch und schädlich. Er vernebelt die noch ausstehenden politischen Auseinandersetzungen, bis das Versprechen der offenen Gesellschaft für alle Menschen Realität wird.

Er passt auch nicht zum im Grundsatzprozess häufig selbst formulierten Anspruch Missstände in unserer Gesellschaft mutig anzusprechen und Maßnahmen radikal genug zu formulieren, sodass sie als tatsächliche Lösungen funktionieren. Diese fehlende Entschiedenheit und Blind Spots wurden auch bei der Präsentation des Zwischenberichts von der Gastrednerin Ferda Ataman thematisiert.

Diese großartigen Fortschritte waren auch deswegen möglich, da es Menschen aus der hegemonialen Gruppe gab, die offen dafür waren ihre eigenen Privilegien zu hinterfragen, Alliierte wurden und mitgeholfen haben, Ungerechtigkeiten abzubauen.

Die grüne Partei als starke politische Alliierte

Zu meinem grünen Selbstverständnis gehört es, dass die grüne Partei Teil der Alliierten ist und auch aktiv Politik mit all den Menschen macht, für die die offene Gesellschaft weiterhin nur ein Versprechen, eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ist. Auch wir als grüne Partei können dabei noch inklusiver werden und dadurch mehr Mitstreiter*innen für grünes Engagement begeistern.

Dazu gehört es auch, Gruppen, die auch weiterhin strukturell benachteiligt werden beim Namen zu nennen. Ja, es ist schwer auszuhalten, dass beispielweise Hautfarbe auch weiterhin eine politische Dimension ist. Es ist bequemer daran zu glauben, dass wir uns alle gleich und frei in Vielfalt begegnen. Solange aber Diskriminierung Teil unserer Gesellschaft ist, wirkt eine politische Kraft, die diese nicht sieht und, behauptet alle Menschen seien gleich und Menschen, die Missstände ansprechen, betreiben nur von Partikularinteressen geleitete Identitätspolitik, konservierend und ist somit nicht Teil der Lösung.

Menschen, die Gleichberechtigung als Zumutung empfinden, verdienen kein Mitleid

Es ist für mich ebenfalls nicht nachvollziehbar, dass im Zwischenbericht häufiger betont wird, dass eine angeblich vielfältigere Gesellschaft allen mehr abverlangt. Wenn irgendwer ein Problem damit hat, dass mehr Gruppen in unserer Gesellschaft ihre ihnen zustehenden Rechte einfordern, dann ist Verständnis die falsche Reaktion. Diese Menschen müssen wir dazu auffordern über ihre eigene Position in der Gesellschaft zu reflektieren und daran erinnern, dass alle Menschen die gleiche Rechte und Freiheiten besitzen.

Eine grüne Partei mit klarer Haltung - keine Moderator*in

Lasst uns weiterhin den Mut haben, Ungerechtigkeiten anzusprechen. Der Mensch im Mittelpunkt ist leider auch weiterhin zu oft nicht weiblich, eine person of color, jung oder alt, nicht hoch formal gebildet, queer, trans*, mit Migrationshintergrund, jüdisch, muslim, Sinti oder Roma, mit Behinderrung, arm…

Der aktuelle Zwischenbericht liest sich für mich teilweise als ob wir Grüne uns zukünftig auf die Kompromisse findende Moderator*innenrolle zurückziehen. „In gleichberechtigten Gesellschaften geht es weniger um einen Wettbewerb der Meinungen als vielmehr um deren Austausch und das gemeinsame Vorankommen durch den demokratischen Diskurs und den fairen Kompromiss“. Obwohl grundsätzlich Kompromisse wichtig und richtig sind, stoßen sie in Menschenrechtsfragen an ihre Grenzen. Wenn eine Gruppe fordert, dass Menschen mit schwarzen Haaren gleiche Rechte haben sollten und die andere Gruppe der gegenteiligen Meinung ist, ist die Lösung nicht, dass man den Schwarzhaarigen fast gleiche Rechte gibt.

Im Diskurs über gleiche Rechte für alle und den Abbau von Privilegien brauchen wir keine grüne Partei als Moderater*in - sondern eine grüne Partei mit klarer Haltung für gleiche Rechte für alle.

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