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Artikel

Ein Pakt für Heimat und Umwelt

Portraits von Robert Habeck und Winfried Kretschmann
links: © Urban Zintel, rechts: © Lena Lux

Die EU-Agrarreform bietet die Chance, Landwirtschaft und Umweltschutz zu versöhnen – wenn wir faire Preise, gesunde Nahrungsmittel und die Rücksicht auf Klima- und Artenschutz zu gemeinsamen Zielen machen.

Dieses neue Jahr ist entscheidend für einen Bereich, der über die Grundlagen unseres Lebens bestimmt: Im Frühjahr werden die Weichen für die Ausrichtung der Landwirtschaft gestellt, indem die EU die milliardenschwere Agrarförderung festzieht und sich Deutschland dann an die nationale Umsetzung macht.

Die Debatte darüber reicht weit über die Fachpolitik hinaus, weil sie unser gesellschaftliches Selbstverständnis trifft. Untrennbar mit ihr verbunden ist die Frage, wie wir unsere Lebensgrundlagen schützen – Arten und Klima, Böden und Gewässer. Und: mit welcher Wertschätzung begegnen wir jenen, die uns durch ihre harte Arbeit mit Nahrungsmitteln versorgen?

Die Diskussion spielt sich in einem gesellschaftlich umkämpften Feld ab: Hier die Bäuerinnen und Bauern, die laut protestieren, weil sie sich um ihre Höfe, ihr Auskommen, ihre Nachfolge sorgen, weil die Preise zu niedrig sind und der Druck zu groß. Da Natur- und Klimaschützerinnen, die laut protestieren, weil sie unsere bedrohten Ressourcen schützen wollen. Die Risse sind tief, sie verlaufen nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch innerhalb von Dörfern.

Wir meinen, es ist der Moment gekommen, dieses Kampffeld zu verlassen und stattdessen eine starke Allianz zu schmieden: Produzierende Landwirtinnen und Landwirte streiten Seit an Seit mit Umwelt-, Tier- und Klimaschützerinnen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft, die die gesellschaftlichen Gemeingüter pflegt und schützt. Ein Bündnis, das Bäuerinnen und Bauern gegenüber dem Handel den Rücken stärkt und das für faire Preise eintritt. Damit das noch schwer Vorstellbare möglich wird, braucht es eine gemeinsame Analyse des politischen Konflikts und eine gemeinsame Idee, wohin sich die Landwirtschaft entwickeln soll. Zentral ist, wie die EU-Agrarreform, bei all ihren großen Unzulänglichkeiten, bestmöglich genutzt werden kann.

Bäuerinnen und Bauern arbeiten heute als Landwirtinnen und Landwirte. Das klingt wie ein weißer Schimmel, ist es aber nicht. In dem Begriff »Landwirtschaft« schwingt mit, dass ökonomische Prinzipien die Maßgaben allen Handelns sind und entsprechend vor Kriterien wie Nachhaltigkeit, Tradition, Regionalität oder Umweltschutz stehen. Diese ökonomische Engführung des Berufs Bauer ist politisch gewollt und hat Deutschland und Europa reich gemacht. Enorme Produktivitätssteigerungen haben zu einer sicheren Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland geführt und bedeuten niedrigere Preise. 1960 musste ein Durchschnittsverdiener für 250 Gramm Butter durchschnittlich 39 Minuten arbeiten, heute vier Minuten, also nur noch fast 10 Prozent der Zeit aufbringen. Für einen Liter Milch musste man elf Minuten arbeiten, heute zwei.

In der Summe gaben Haushalte in Deutschland 1960 für Lebensmittel 38 Prozent ihres Einkommens aus, heute sind es etwa 14 Prozent. Je weniger eine Gesellschaft für die Güter des primären Sektors arbeiten muss, desto mehr steht für Bildung, Gesundheitsleistungen, Bücher, Kultur und Sport zur Verfügung. Die sogenannte grüne Revolution in den westlichen Ländern – Kunstdünger, Pestizide, bessere Ausbildung der Landwirte, größere Felder, größere Maschinen, größere Ställe – haben letztlich unseren gesellschaftlichen Wohlstand mit geschaffen. Dafür gebührt den Bäuerinnen und Bauern gesellschaftlicher Dank.

Allerdings haben die Veränderungen eine Kehrseite: ein Strukturwandel, den man weniger beschönigend Höfesterben nennen muss und der sich gegen die Bäuerinnen und Bauern selbst wendet. 1950 gab es 2 Millionen Bauernhöfe in Deutschland. Heute sind es nur noch 260.000 Betriebe. Die politische Haltung und akademische Lehrmeinung der letzten Jahrzehnte ist, dass ein Strukturwandel von jährlich etwa 2 Prozent notwendig und gut sei. Jährlich 2 Prozent bedeutet, dass sich alle 25 Jahre die Zahl der Bauernhöfe beinahe halbiert. Das also ist die »schöpferische Zerstörung« (Joseph Schumpeter) konkret.

So erfolgreich das System der Industrialisierung der Landwirtschaft war, so sehr fürchten Landwirte heute das Aus ihrer Höfe. Mögen es 1950 tatsächlich Kleinstbetriebe gewesen sein, die nicht überleben konnten, sind es heute oft gut wirtschaftende Betriebe, die aufgeben müssen, weil »gut« eben nicht mehr effizient genug ist. Wenn das Höfesterben weiter geht, stehen Landwirte bald auf der Roten Liste. Das kann niemand wollen.

Ein weiterer Preis des Erfolgs sind die enormen ökologischen Probleme durch die zu intensive Landwirtschaft. Sie ist global wie national wegen der hohen Flächenintensität einer der Haupttreiber des Artensterbens. Dieser Verlust von Arten wird die Ökosysteme nach Meinung der Experten ebenso schädigen wie die Erderhitzung. Eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht. Die Meere, die Flüsse, die Böden, die Wälder, die uns mit Sauerstoff, Wasser und Nahrung versorgen, sind übernutzt, verschmutzt oder gar ausgelaugt. Haben Landwirte einst den Artenreichtum in unseren Kulturlandschaften geschaffen, zerstört die heutige Form der Landwirtschaft den mitaufgebauten Reichtum. Diese dramatischen Probleme tragen zum Verlust der Akzeptanz der Landwirtschaft bei; nicht selten werden Bäuerinnen und Bauern persönlich angefeindet.

Doch die Ursachen dieser Probleme liegen im System und lassen sich deshalb auch nur durch systematische Änderungen beheben. Nicht »Wachse oder Weiche« mit seinem Wettkampf um immer billigere Preise darf das dominante landwirtschaftliche Prinzip sein. Stattdessen muss es einen Markt für Umweltgüter geben, damit Bäuerinnen und Bauern auskömmlich wirtschaften können, genügend Lebensmittel produzieren und zugleich die Umwelt schonen.

Wie kann eine solche Umstellung gelingen? Entscheidender Faktor sind die Direktzahlungen aus der Europäischen Union, aus der sogenannten ersten Säule. Landwirte erhalten pro Hektar Geld, letztlich ohne Ansehen, was auf dem Hektar geschieht. Ob der Bauer eine Kuh auf der blumenreichen Weide hat oder die Kuh in den Stall stellt und der Bauer Mais anbaut, er bekommt denselben Geldbetrag. Nur gibt eine Kuh, die im Stall steht und Mais frisst, mehr Milch und ist damit ökonomisch leistungsfähiger. Entsprechend reizt das System dazu an, Kühe in den Stall zu stellen und dafür auf der Fläche Mais anzubauen – und das, obwohl die Kuh auf der Weide Natur und Heimat erhält, der Mais weniger.

Bislang werden zusätzlich zu den Direktzahlungen aus einem kleinen Fördertopf, der sogenannten zweiten Säule, Umwelt- oder Tierschutzmaßnahmen gefördert. Das Widersinnige daran ist, dass so quasi gegen die Förderung aus der ersten Säule angefördert wird. Die Direktzahlungen reizen an, aufs Gas zu treten, während mit der Förderung für Umweltmaßnahmen gleichzeitig das Bremspedal bedient wird.

Entscheidend ist, dass in Zukunft das Geld der Direktförderung an Umweltleistungen gebunden wird. Bäuerinnen und Bauern bekommen dann dafür Geld, dass sie auf Kunstdünger oder Pestizide verzichten, weniger Tiere mit mehr Platz halten, später mähen, größere Abstände zu Gewässern halten. Dann verdienen sie mit Umwelt-, Klima- und Tierschutz Geld. Ihre unersetzbaren Leistungen für die Gesellschaft werden in Wert gesetzt.

Die Ökologisierung der Landwirtschaft ist Teil des Green Deals, den die EU als großes Klimaschutzprojekt beschlossen hat. Nur läuft der Aufschlag der EU-Agrarreform dem zuwider, auch, weil sich die Staaten der EU gegen eine grundlegende Neuausrichtung positioniert haben, auch Deutschland. Umso mehr aber gilt es, jetzt alles daran zu setzen, das Beste aus dem nicht Ausreichenden herauszuholen.

Die deutsche Umsetzung der EU-Agrarpolitik muss daher Folgendes enthalten: Erstens müssen die Ziele des Green Deal in die neue Struktur der Gemeinsamen Agrarpolitik integriert werden. Das umfasst insbesondere einen Ausbau des Ökolandbaus auf mindestens 25 Prozent und eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030. Zweitens sollte das System der Direktzahlungen durch eine Gemeinwohlprämie abgelöst werden, die über ein Punktesystem konsequent dafür sorgt, dass gesellschaftliche Leistungen wie Klima- und Tierschutzmaßnahmen entlohnt werden. Drittens sollte Deutschland, anders als in den vergangenen Jahren, die Spielräume der Reform zum bestmöglichen Schutz unserer Lebensgrundlagen nutzen.

Die EU ermöglicht, Geld aus dem Topf der Direktzahlungen in den Topf für Umwelt-, Klima- und Tierschutzmaßnahmen umzuschichten. Solange es das System der Direktzahlungen noch gibt, muss Deutschland hier das Maximum möglich machen, damit ausreichend Finanzmittel für wirksame Agrarumwelt- und Agrarklimamaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Bislang hat sich die Bundesregierung dagegen gesperrt. Jetzt allerdings ist der Zeitpunkt, das System zu ändern.

Jetzt ist es Zeit, dass Landwirtschaft, Naturschützerinnen, Handel und Verbraucher einen Gesellschaftsvertrag schließen: damit Landwirtinnen und Landwirte von ihrer Arbeit gut leben können, gesunde Nahrungsmittel produzieren, wir sauberes Wasser, artenreiche Wiesen, auf denen es brummt und summt, und fruchtbare Böden haben. Ein Vertrag für den Erhalt unserer Heimat.

Hier findest Du den Gastbeitrag auf SPIEGEL ONLINE

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