Zum Seiteninhalt springen
Artikel

Direkte Demokratie, nein danke? – Auf die Sicherungen kommt es an!

Direkte Demokratie will gelernt sein. Dieser Beitrag von Prof. Dr. Matthias Mahlmann diskutiert, wie direktdemoratische Elemente die Demokratie in Deutschland lebendiger machen können und welche Risiken es dabei gibt.

In Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten direkt demokratische Elemente in den Ländern an Boden gewonnen. Sie sind seit langem wichtige Bausteine einer Politik, die der Demokratie neuen Biss verleihen will. Die Ideen und existierenden Verfahren der direkten Demokratie treffen in letzter Zeit aber auch immer wieder auf neue, skeptische Kritik. Dahinter steht die Erfahrung: Auch die Falschen können siegen. Direkt demokratische Verfahren garantieren nicht, dass die Entscheidungen der Bürger*innen immer durch politische Weisheit beeindrucken.

Die Schweiz ist dabei international ein zentrales Beispiel für die Funktionsweise der direkten Demokratie, ihre Erfolge, aber auch für ihre Gefahren. Verschiedene Initiativen waren denn auch in der Schweiz in den letzten Jahren erfolgreich, die keine Werbung für direktdemokratische Instrumente betreiben. Dazu gehört neben anderen Beispielen das durch eine Initiative in der Bundesverfassung verankerte Verbot des Minarettbaus, das in der internationalen Verfassungsrechtsdiskussion entweder ungläubiges Kopfschütteln oder für den Ruf der Schweiz als ehrwürdiger Verfassungsstaat schmerzhafte Belustigung hervorruft. Auch die sog. Masseneinwanderungsinitiativekann hier genannt werden, die die Erstreckung der Personenfreizügigkeit auf die Schweiz beenden wollte, eine knappe Mehrheit fand und erst durch die Ausführungsgesetzgebung zahnlos gemacht wurde. Die Unterstützung direktdemokratischer Ideen durch die AfD hat diese Ideen in den Augen mancher erst recht verdächtig gemacht. Direkte Demokratie – ist das nicht eine gefährliche Ermächtigung eines rechten Populismus, der in Plebisziten sein xenophobes Süppchen heißer kochen möchte?

Die lange politische Abstimmungsgeschichte der Schweiz kennt aber keineswegs nur solche Entscheidungen. Bei diesen Diskussionen sollte insbesondere nicht vergessen werden, dass sich in letzter Zeit in der Schweiz der Wind gedreht hat. Die Öffentlichkeit, so kann man ohne Übertreibung sagen, ist aufgewacht und hat ein weit gespanntes, beeindruckendes zivilgesellschaftliches Engagement entfaltet mit grossen Erfolgen, nicht zuletzt aufgrund einer von unten gewachsenen echten politischen Kampagnenfähigkeit in einer digitalen Gesellschaft. Ein wichtiges Beispiel bildet die Auseinandersetzung etwa um die sog. Selbstbestimmungsinitiative, bei der es um nichts weniger ging als die Abwehr eines rechtspopulistischen Angriffs auf die Integration der Schweiz in Europa und ihre Bindung an die Europäische Menschenrechtskonventionsowie andere Elemente des internationalen Menschenrechtsschutzes. Die Ablehnung dieser Initiativen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit Ende 2018 hat die internationale Integration der Schweiz und ihre Menschenrechtsbindung politisch für lange Zeit unangreifbar gemacht und durch eine jahrelange Diskussion tief in der Gesellschaft verankert.

Der große Vorteil der direkten Demokratie ist offensichtlich und zeigt sich gerade in diesen Auseinandersetzungen: Zentrale gesellschaftliche Probleme werden offen politisch ausgefochten. Das Risiko ist: Man kann diese Schlachten verlieren. Die Auseinandersetzung erfolgt häufig zugespitzt und mit manchen sehr problematischen Vereinfachungen. Aber, auch das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, eine differenzierte Diskussion selbst über so sperrige Themen wie Rechtsstaat und die Architektur des internationalen Menschenrechtsschutzes kann auch im Zeitalter neuer Medien erfolgreich geführt werden. Man darf dabei nicht vergessen, dass auch die repräsentative Demokratie nicht risikofrei zu haben ist. Auch in ihr können antidemokratische Kräfte auf demokratischen Wegen Raum gewinnen. Die Feinde der Demokratie können an der Wahlurne im reinen Repräsentativsystem als Sieger hervorgehen. So wenig wie die Erfolge der AfD ein Argument gegen die repräsentative Demokratie sind, erledigt die Annahme der Minarettinitiative die Idee der direkten Demokratie.

Das Risiko, das mit jeder demokratischen politischen Meinungsbildung verbunden ist, ist unvermeidlich. Demokratie richtet sich auf einen offenen politischen Prozess und diese Offenheit ist ohne Risiko nicht zu haben. Direkte Demokratie will gelernt sein. Sie erfordert harte, oft undankbare politische Arbeit mit langem Atem. Eine entsprechende Kultur ist aber auch kein Monopol der konsensdemokratischen Schweiz. Auch in der Schweiz verläuft zudem nicht alles in immer gleichen Bahnen, im Gegenteil, die politischen Formen und Auseinandersetzungen haben sich gerade in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Die genannten Initiativen und demokratischen Lernprozesse sind Beispiele dafür, im Schlechten wie im Guten. Eine petrifizierte, immer gleiche direktdemokratische eidgenössische Konsensdemokratie, zu der im Hintergrund auf den Almen politischen Frieden ausströmend die Kuhglocken läuten, ist eine Mär.

Die zentrale Lehre aus der politischen Erfahrung mit direkter Demokratie ist: Auf die Sicherungen kommt es an. Es geht dabei in Deutschland sowieso immer nur um Ergänzungen eines repräsentativ-demokratischen Systems durch direktdemokratische Elemente. Auch die Schweiz verwirklicht eine solche Mischform. Eine Schwäche des schweizerischen verfassungsrechtlichen Rahmens besteht darin, dass Initiativen sich nur auf Verfassungsänderungen richten und zudem keine voll ausgebildete Verfassungsgerichtsbarkeit mit Kontrollbefugnissen auch in diesem Bereich existiert. Gerichtliche Kontrolle direkt demokratischer Entscheidungsfindung ist aber zentral, um Initiativen, die gegen Verfassungs- oder insbesondere grundrechtsschützendes Völkerrecht verstoßen, für unzulässig zu erklären oder nachträglich einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Mit ein bisschen verfassungsrechtlicher Phantasie können solche und andere Schutzmechanismen einen wichtigen Beitrag leisten, mit Elementen der direkten Demokratie den demokratischen Prozess lebendig und unbequem zu erhalten, ohne dass sich die Demokratie dabei im direktdemokratischen Übereifer selbst schwächt. Hier wie bei anderen Institutionenbildungen der Demokratie gilt: Das grundrechtsschützende Kleingedruckte der Ausgestaltung hat entscheidende Bedeutung.

Teilen: