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Artikel

Digitalisierung? Selber machen!

Wie gewinnen wir die Kontrolle über unsere Daten zurück? Die Digitalexpertin Yvonne Hofstetter erklärt, mit welchen Technologien Staaten und Firmen ihre Macht ausbauen – und wie wir uns wehren können.

Die Ausgangslage

Die Digitalisierung verwandelt unsere Welt in einen Riesencomputer. Von allem und jedem werden Daten gesammelt – um mittels künstlicher Intelligenz Profile, Prognosen und Modelle für die Technosteuerung abzuleiten. Das Absurde an ihr: Obwohl sie so entscheidend in unser Leben eingreift, überlassen wir es bisher alleine den Technologiekonzernen, welche Gestalt digitale Angebote und Geräte annehmen. Wohl auch, weil wir nur ihren Nutzen sehen – zum Beispiel

den erleichterten Zugriff auf Wissen – und die Gefahren völlig außer Acht lassen. Soziale Medien etwa werden von Extremisten dazu genutzt, transnationale Terrornetzwerke zu unterhalten oder Jugendliche für den Dschihad zu rekrutieren. Die Werbetechnologien amerikanischer Konzerne – Facebook, Twitter, Pinterest & Co. – sind gleichermaßen Nährboden für Fake News, die demokratische Wahlen verändern und die Gesellschaft spalten können. Warum ist das so? Weil Konzerne mit ihren Angeboten Geld verdienen wollen.

Das Problem

Von den Menschen, die ihre Daten bedenkenlos preisgeben, höre ich immer wieder die standardmäßige Begründung: „Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Aber die großen Datenstaubsauger suchen auch nicht nach Geheimnissen. GAFAM (das ist ein Akronym für die fünf großen Internetgiganten Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) wollen vielmehr verstehen, wie wir ticken, um auf unser Verhalten in der Zukunft Einfluss nehmen zu können. Die Methodik, Menschen zu gewissen Entscheidungen hinzuführen, nennt man in der Fachsprache „Nudging“. Mit den sogenannten Humandaten erzeugen künstliche Intelligenzen Lebens-, Verhaltens-, Wohn- und Gesundheitsprofile, kurzum alles, was irgendwie Aufschluss über Sie und Ihre Dispositionen geben könnte. Und seit dem Aufkommen der Smartphones 2007 mehren sich diese Daten gewaltig. Im Cyberspace existieren inzwischen über jeden von uns, der in der digitalen Sphäre Spuren hinterlässt, Listen, die unsere Lebenswirklichkeit abbilden. Die Frage: Wollen wir, dass es einen Datenzombie von uns gibt – und dass wir keinerlei Kontrolle über ihn haben?

Ein Beispiel

Die USA sind besonders weit auf dem Feld des predictive policing – der Vorhersage von Verbrechen. Damit befriedigt die künstliche Intelligenz scheinbar den menschlichen Wunsch, einen verlässlichen Blick in die Glaskugel werfen zu können. Durch die Fusion von Daten aus Polizeidatenbanken mit jenen von Facebook und Foursquare, einer Touristen-App, die Bewegungsprofile erstellt, wird eine strategische Liste von potenziellen Gefährdern abgeleitet. Interessanterweise „spuckt“ dieses Verfahren in Chicago vier Mal so viele afroamerikanische Gefährder aus wie weiße. Die genannten Personen müssen dabei noch nicht auffällig geworden sein, um trotzdem in der Liste aufzutauchen. Woher kommt dieses Ungleichgewicht? Schließlich fügt künstliche Intelligenz ja nicht eigenständig Daten hinzu, sie filtert lediglich und schärft. Doch die Technologien sind nicht neutral, weil die Daten, mit denen wir sie gefüttert haben, nicht neutral sind. Damit wirken sie strukturerhaltend und können Vorurteile festigen. Der so entstehende technologische Rassismus ist mit dem demokratischen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar.

Die europäische Alternative?

Ich habe besonders oft von den USA gesprochen. Warum? Mit dem Silicon Valley als Taktgeber sind sie das Mutterland der Digitalisierung. So hochfliegend viele Pläne sein mögen, letzten Endes geht es darum, Kasse zu machen. Das amerikanische Modell nützt uns finanziell aus. Auf der anderen Seite haben wir China, einen Staat, der mittels Digitalisierung versucht, den Souverän kleinzuhalten und sein dystopisches Bild vom „people scoring“ Realität werden lässt. Doch wo ist die europäische Antwort? Gibt es nicht einen dritten Weg, der die Digitalisierung freundlich und zum Nutzen aller gestaltet? Viele Konzepte in der KI-Forschung sind schließlich genuin europäisch. Leider waren Politik und Wirtschaft nachlässig und haben vor zirka 20 Jahren viele Dinge aus der Hand gegeben. Der Braindrain aus Europa findet noch immer statt – wir müssen ihn aufhalten.

Was ist zu tun?

Wir brauchen eine breitere gesellschaftliche Debatte, mehr Expertise auf allen Ebenen und einen viel weiteren Blick auf die Digitalisierung. Wenn Europa sicherstellen will, dass die Digitalisierung Vorteile bietet, muss es seine eigene digitale Zukunft finden und seine Werte auch digital transportieren. Denn digitale Angebote können dann zukunftsträchtig sein, wenn sie zum Vorteil der Gesellschaft designt sind. Design – also Standards und Spezifikation – machen den Unterschied

zwischen Vorteil und Nachteil. Weil wir Europäer immer noch über gute Ingenieure verfügen, haben wir eine Chance, uns von den USA, China und Russland positiv abzusetzen. Aber das muss politisch gewollt und unterstützt werden. Zudem muss Klarheit in das Verhältnis zwischen hoheitlich gesetztem Recht und Code gebracht werden. Recht macht die Menschen frei, Code implementiert eine Zwangsherrschaft. Heute können Sie entscheiden, ob Sie unangeschnallt Auto fahren und eventuell eine Strafe kassieren. Vielleicht können Sie das in 20 Jahren nicht mehr, weil das Auto nicht startet, wenn Sie nicht angeschnallt sind. Die Wahlfreiheit wäre Ihnen genommen. Wenn wir nicht aufpassen, nähern wir uns immer mehr dem Menschenbild des Silicon Valley an, das den Menschen als determinierten Datenhaufen sieht, der „enhanced“ werden muss.

Yvonne Hofstetter

Yvonne beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung, vor allem von Big Data und Künstlicher Intelligenz. Sie hat dazu mehrere Bücher geschrieben, „Das Ende der Demokratie“ zum Beispiel. Ihr Unternehmen Teramark Technologies ist im KI-Bereich tätig.
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