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Artikel

Die Grünen dürfen die Chancen der Gentechnik nicht länger ignorieren

Ein Debattenbeitrag von Theresia Bauer zur aktuellen Gentechnik-Debatte.

In den letzten Jahren hat die Forschung riesige Fortschritte bei der gezielten Veränderung von Erbgut mithilfe sogenannter Genscheren erzielt. Dazu gehört in erster Linie die CRISPR/Cas9-Methode. Sie ist bei allen Organismen einsetzbar, hochpräzise und kann Gene und Genabschnitte sehr viel schneller und effizienter verändern als alles bisher Dagewesene.

Doch die neuen Methoden sind umstritten - nicht nur bei den Grünen. Viele Kritiker wollen, dass Erbgutmanipulationen mit CRISPR/Cas9 unter das strenge, bisherige Gentechnikrecht fallen und weitestgehend verboten bleiben. Dagegen spricht, dass dieselben Ergebnisse auch mithilfe anderer Verfahren erzielt werden können, die - auch juristisch - nicht als Gentechnik gelten.

Schon heute verändern Biotechnologieunternehmen das Erbgut von Pflanzen mit radioaktiver Strahlung oder Chemikalien - ohne dass es sich dabei formal um Gentechnik handelt. Diese Verfahren sind bei der konventionellen Züchtung zugelassen, die Pflanzen wachsen längst auf unseren Feldern.

Falsches Bild von Gentechnik

Hinzu kommt: Organismen, die entweder durch CRISPR/Cas9, durch natürliche Mutationen oder durch Züchtung zustande gekommen sind, unterscheiden sich oft überhaupt nicht mehr. Und es gibt keine eindeutigen Belege, weshalb von Chemikalien oder radioaktiver Bestrahlung ausgelöste Mutationen in Pflanzen natürlicher, gesünder oder grundsätzlich weniger risikoreich sein sollten als gezielte Veränderungen durch CRISPR/Cas9.

Wir sehen: Die Grenzen der Gentechnik zu in der Natur vorkommenden Verfahren lösen sich auf. Viele Verfahren bauen nicht mehr auf dem Transfer von artfremden Genen in andere Organismen auf. Doch genau solche Manipulationen prägen bis heute das Bild der Gentechnik.

Grünen und Umweltaktivisten wurde deshalb vorgeworfen, dass die Kritik an neuen gentechnischen Verfahren nicht sachlich sei. Nicht ganz zu Unrecht, meine ich. In der Debatte werden Fakten nicht gleichberechtigt anerkannt. Die Grünen sollten den Stand der Wissenschaft anerkennen. Und der Gentechnik eine Chance geben.

Die Grenze zwischen Natur und Kultur ist eine Fiktion

Als grüne Politikerin wünsche ich mir eine möglichst unberührte Natur. Zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört aber auch das Eingeständnis, dass die Unberührtheit der Natur längst irreversibel vom Menschen verletzt wurde.

Die Grenze zwischen Natur und Kultur ist mittlerweile eine Fiktion. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Manipulation: Zivilisation war und ist eng verbunden mit der Züchtung von Lebewesen. Das spiegelt sich auch in deren Genen wider.

Dazu gehören konventionelle Züchtungserfolge mit mutierten Pflanzen genauso wie der ressourcenschonende Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in der Industrie. In Deutschland haben mittlerweile 150 Medikamente eine Zulassung erhalten, die mittels gentechnischer Verfahren hergestellt werden: Insulin, Krebstherapiemittel und die Hepatitis-Schutzimpfung. Gentechnik ist längst im Alltagseinsatz - wenn auch in Europa mehr in der Medikamentenproduktion als auf dem Feld.

Große Hoffnung besteht in diesem Bereich auch hinsichtlich zukünftiger Anwendungen bei der Therapie erblicher Erkrankungen. Genkrankheiten wie Mukoviszidose und Sichelzellenanämie lassen sich theoretisch durch die Anwendung neuer gentechnischer Verfahren behandeln, wie auch Formen von Krebs oder HIV-Infektionen. Noch ist hier weitere Forschung nötig, doch grundsätzlich ist die Technik auch hier vielversprechend.

Zahlreiche Forschungsvorhaben sehen außerdem große Chancen hinsichtlich Pflanzen, die weniger krankheitsanfällig sind, beim Umgang mit Schadstoffen, umweltfreundlichen Verfahren bei der Rohstoffgewinnung sowie der Entsorgungstechnik.

Genetische Veränderungen nicht den großen Konzernen überlassen

Eine grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik in Form eines pauschalen Verbotes der Technologie ist deshalb auch für Grüne kein kluger Weg. Stattdessen müssen wir uns fragen, mit welchen Konzepten wir eine Grundlage für eine sinnvolle Regulierung schaffen können.

Das könnte auch grünen Zielen nutzen. Die neuen Verfahren können im Vergleich zu früher in kürzerer Zeit und mit weniger Mitteleinsatz zu denselben genetischen Ergebnissen führen. Zeit und Geld sind gleichzeitig die wesentlichen Ressourcen im Kampf gegen die Klima- und Umweltzerstörung, für die Ernährungssicherheit bei wachsender Weltbevölkerung und bei medizinischen Therapien.

Kleine und mittelständische Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen können die Techniken mit vergleichsweise geringem finanziellen Einsatz nutzen. Eine breite Anwendung wäre daher innovationspolitisch sinnvoll, da die Vielfalt der Herangehensweisen schnelles Lernen, diversifizierte Lösungsansätze und mehr Partizipation ermöglichen.

Es ist eher problematisch, genetische Veränderungen den großen Konzernen zu überlassen, die es sich leisten können, zeit- und mittelintensive Versuchsreihen mit Radioaktivität und Chemie durchzuführen.

Chancen ausgespart und Risiken überbetont

Von den Kritikern der Anwendung neuer gentechnischer Methoden wird vorgebracht: Die Folgen der Eingriffe seien unklar, eine differenzierte Regulierung sei mit Regelfreiheit gleichzusetzen, die klassische Resistenzzüchtung sei schneller und sicherer. Zuerst seien andere Wege erschöpfend anzuwenden und dem Verbraucherwillen nach Kennzeichnung sei umfassend nachzukommen.

Schief an der Argumentation ist, dass diese Kritik gegenüber anderen, längst erlaubten manipulativen Technologien nicht in derselben Form vorgebracht wird. Dabei trifft die vorgebrachte Kritik hier noch viel mehr zu: Die Risiken steigen durch wahllos herbeigeführte Mutationen, wie sie bei der klassischen Züchtung genutzt werden.

Und wie immer droht Einseitigkeit in der Debatte, wenn Chancen ausgespart und Risiken überbetont werden; insbesondere, wenn es um Risiken geht, die sich nicht von denen akzeptierter Verfahren oder natürlicher Prozesse unterscheiden.

Ganz schräg wird es, wenn aus dogmatischen Gründen am Ende sogar umweltpolitische Ziele aus dem Blick geraten. Treffend hat kürzlich Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz, kommentiert: "Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt - und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss."

Wir müssen offen über Chancen und Risiken von neuen Technologien reden. Im Mittelpunkt müssen dabei die Folgen für Mensch, Tier und Umwelt stehen. Wenn wir durch innovative Ansätze heute bessere und kurzfristigere Erfolge erzielen können - auch für typisch grüne Ziele -, ist kritisch-konstruktive Offenheit gefragt. Eine wissenschaftliche Risikofolgenabschätzung ist ein Instrument, um das praktisch umzusetzen. Die Folgebetrachtung ist dann ethisch und politisch zu bewerten.

Große Veränderungen nehmen zuweilen wenig Rücksicht auf scheinbare Gewissheiten. Es ist Zeit, dass wir evidenzbasierte Erkenntnisse anerkennen.

Porträtfoto einer Frau.

Theresia Bauer

Seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Sie sitzt seit 2001 für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag von Baden-Württemberg und vertritt den Wahlkreis Heidelberg.
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