Autor*innenpapier

10 Punkte für einen Grünen Meeresschutz

Sandstrand und Meer mit Wellen
© Getty Images / cinoby

In ihrem Autor*innenpapier formulieren Steffi Lemke und Robert Habeck zehn Kernforderungen, die für eine Grüne Regierungsbeteiligung zur meerespolitischen Leitlinie werden müssen:

Die Meere und ihre einzigartigen Ökosysteme sind Lebensgrundlage und zugleich von herausragender Bedeutung für die Zukunft der Menschheit. Doch durch jahrzehntelange Übernutzung, Verschmutzung und Erhitzung sind die Meere in einem dramatisch schlechten Zustand. Dabei sind gesunde Meere starke Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise und das Artenaussterben. Auch deshalb hat die Staatengemeinschaft mehrfach ihren Schutz beschlossen und ambitionierte Ziele zum Erhalt der Meeresumwelt aufgestellt. Bisher sind diese Bemühungen jedoch in der Umsetzung weitestgehend gescheitert. Auch die vergangenen Bundesregierungen haben viele der eigenen Zielsetzungen verfehlt, der Zustand der heimischen Nord- und Ostsee ist seit einem Jahrzehnt fast unverändert schlecht. Nationale Anstrengungen können den Zustand der Meere nicht im Alleingang verbessern, letztlich muss eine Meeresschutzpolitik alle Anrainerstaaten miteinbeziehen. Aber keine nationalen Bemühungen sind auch keine Lösung.

Um den Meeresschutz endlich in der Politik der Bundesrepublik Deutschland zu verankern und auch um auf die aktuell laufenden Prozesse zum internationalen Meeresschutz relevanten positiven Einfluss zu nehmen, braucht es nichts weniger als einen Aufbruch in der Meerespolitik. Deshalb formulieren wir zehn Kernforderungen, die für eine Grüne Regierungsbeteiligung zur meerespolitischen Leitlinie werden müssen:

1) Leerstelle Ozean Governance füllen

Die Bundesrepublik braucht eine übergeordnete Strategie als Grundlage ihrer Meerespolitik. Für internationale Verhandlungen gibt es derzeit keine einheitliche meerespolitische Repräsentation und teilweise noch nicht einmal eine abgestimmte Positionierung zwischen den einzelnen Ministerien. Die Erarbeitung einer Ozean-Strategie für Deutschland und der damit verbundenen Schaffung einer interministeriellen Arbeitsgruppe unter Leitung einer Meereskoordination im federführenden Umweltministerium ist deshalb strukturell dringend erforderlich. So lässt sich Meeresschutz als Querschnittsthema in der Politik der Bundesregierung nach außen und innen verankern, sowie die bisherige Leerstelle in der Ozean Governance nachhaltig füllen.

2) Internationaler Meeresschutz als wichtiger Anker Grüner Außenpolitik

Das Zeitfenster im Kampf gegen die Klimakrise und gegen das Artenaussterben schließt sich. Aktuell werden deshalb zentrale Abkommen zum Schutz unserer Natur innerhalb der Staatengemeinschaft verhandelt. Wir wollen 30 Prozent der Weltmeere bis 2030 wirksam unter Schutz stellen. Dafür ist insbesondere der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen zum Schutz der Hohen See von absoluter Relevanz. Der Schutz der Antarktis hat ebenfalls Strahlkraft für all diese Prozesse. Wir fordern Russland und China auf, ihre Blockadehaltung innerhalb der Antarktis-Kommission abzulegen und endlich den geplanten Schutzgebieten zuzustimmen. Für den durchschlagenden Erfolg dieser zahlreichen Verhandlungsprozesse fordern wir ein nachhaltigeres Engagement auf höchster diplomatischer Ebene.

3) Meeres- und Küstenökosysteme als natürliche Klimaschützer stärken

Unsere Meere sind wichtige Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise. Sie haben bisher etwa ein Drittel der menschengemachten CO2-Emissionen aufgenommen und rund 90 Prozent der zusätzlich entstandenen Hitze absorbiert. Doch die Fähigkeit der marinen Ökosysteme, Kohlenstoff zu speichern, ist radikal mit ihrem ökologischen Zustand verbunden. Nur gesunde Meere können das Klima schützen. Deswegen wollen wir Meeres- und Küstenökosysteme auch im Sinne des Klimaschutzes wiederherstellen. Besonders klimawirksame Ökosysteme wie Seegras- und Salzwiesen können einen erheblichen Beitrag für den Klima- und Artenschutz leisten und sollen im Rahmen des natürlichen Klimaschutzes gefördert werden. International wollen wir den natürlichen Klimaschutz auch im Bereich Meeresschutz noch stärker finanzieren.

4) Wirksame Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee

Die Meeresschutzgebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) in der deutschen Nord- und Ostsee bestehen seit dem Jahr 2004 – bisher jedoch lediglich auf dem Papier: Weiterhin gibt es hier flächendeckend Berufsfischerei, mitten in den Schutzgebieten in der AWZ werden Ressourcen wie Sand und Kies abgebaut, Schifffahrtslinien führen hindurch und Militärmanöver der NATO wie zum Beispiel Minensprengungen finden in ökologisch sensiblen Gebieten statt. Das Label Meeresschutzgebiet wird so ad absurdum geführt. Wir wollen in Verhandlungen mit den Nachbarstaaten die Fischerei in Schutzgebieten endlich einschränken, in der Diskussion mit der International Maritime Organization (IMO) Änderungen bei den Schifffahrtswegen herbeiführen und die Schutzgebiete wirksam managen und kontrollieren.

5) Munitionsaltlasten im Meer umweltverträglich bergen

Am Grund von Nord- und Ostsee liegen insgesamt um die 1,6 Millionen Tonnen Munitionsaltlasten. Diese bilden schon heute eine erhebliche Umwelt- und Sicherheitsgefahr. Doch diese Giftquelle am Meeresboden wurde über Jahrzehnte von der Bundesregierung weitestgehend ignoriert. Es ist dem Engagement der Küstenländer, der Forschung und der Wirtschaft zu verdanken, dass diese Gefahr bekannt ist und Techniken zur Bergung der Altlasten entwickelt wurden. Es gilt daher, endlich eine langfristige Strategie zur vollständigen und umweltfreundlichen Bergung der Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee zu erarbeiten. Dabei muss der Bund mehr finanzielle Verantwortung übernehmen und auch die Kapazitäten zur Vernichtung dieser Altlasten ausbauen. Pilotprojekte zur Bergung in den Versenkungsgebieten müssen schnellstmöglich starten.

6) Meere retten – Plastikflut stoppen

Die Meere drohen zum Endlager für Plastikmüll zu verkommen. Die Verschmutzung unserer Meere ist dabei ein weiterer rasanter Treiber für das Artenaussterben und stellt einen massiven Stressor für marine Ökosysteme dar. Unser Ziel ist es, die Verhandlungen für ein internationales Abkommen gegen Plastikmüll voranzutreiben und verbindliche Müllvermeidungsziele in Deutschland festzuschreiben. Wir wollen die Maßnahmenvorschläge des Runden Tisches Meeresmüll ambitioniert umsetzen und die Problematik der Geisternetze wirksam angehen.

7) Keine Erdölförderung in der Nordsee

Erdölförderanlagen bergen ein Risiko für Natur und Umwelt durch Unfälle, ölhaltigen Bohrschlamm mit Bohrabfällen und die Abfackelung von Gas. Die Mittelplate vor Heide in Schleswig-Holstein ist die letzte deutsche Bohrinsel in unseren Hoheitsgewässern. Wir setzen uns deshalb auf europäischer und internationaler Ebene für ein Ende der Förderung fossiler Energieträger in der Nordsee ein. Außerdem wollen wir ein Ende von Kies- und Sandabbau in deutschen Meeresschutzgebieten, wie den Natura-2000-Gebieten in der AWZ, erreichen.

8) Industrialisierung der Meere stoppen – Tiefseebergbaumoratorium jetzt

Mit großer Sorge betrachten wir einen sich zuspitzenden Wettlauf um die Ressourcen der Tiefsee. Wir lehnen eine weitere Industrialisierung der Weltmeere und der Ausbeutung der Tiefsee strikt ab. Deshalb unterstützen wir die Forderung des Europäischen Parlamentes und fordern gemeinsam mit der internationalen Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und Vertreter*innen der deutschen Wirtschaft ein Tiefseebergbaumoratorium.

9) Offshore-Windkraft umweltverträglich vorantreiben

Der Ausbau der Offshore-Windkraft ist ein wichtiger Bestandteil der Energiewende in Deutschland und muss in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Unter Achtung der ökologischen Belastungsgrenzen der Meere muss der Ausbau mit anderen Nutzungsansprüchen abgestimmt und notfalls prioritär behandelt werden. Zur Vereinbarkeit mit dem Meeresschutz müssen andere Stressoren heruntergefahren werden. Zur Ordnung der Nutzungsansprüche gilt es, die marine Raumordnung als zentrales Instrument zu nutzen.

10) Eine Zukunftsperspektive für nachhaltige Fischerei schaffen

Die Fischerei, wie wir sie heute kennen, steht in Deutschland vor dem Aus. Die Bestände wurden über Jahrzehnte überfischt, sauerstoffarme Todeszonen breiten sich aus und die Klimakrise verhindert eine ausreichende Reproduktion von Fischen wie dem Hering. Deshalb wollen wir eine neue Zukunftsperspektive für die nachhaltige Fischereiwirtschaft schaffen. Hierbei müssen langfristige und sichere Perspektiven für jene Fischer*innen geschaffen werden, die sich höchsten ökologischen Standards verpflichten. Es müssen auch finanzielle Brücken gebaut und innovative Konzepte erarbeitet werden, um die Fischerei als Kulturgut und strukturellen Faktor der Küstenregionen zu erhalten. Langfristig sollen durch Meeresschutzgebiete stabilisierte Fischbestände wieder eine dauerhaft bessere Perspektive für die Fischereiwirtschaft ermöglichen. Besonders schädliche Fangmethoden müssen dafür aus Meeresschutzgebieten vollständig verbannt und streng reguliert werden.